Archiveinsturz: Schweigendes Gedenken, konstruktive Gespräche
Mittwoch, 4. März 2015 | Text: Stefan Rahmann | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Seit am 3. März 2009 um 14 Uhr das Stadtarchiv der Ikarus-Figur an der Fassade des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums vor die Füße gestürzt ist, muss das in Köln als Mahnung und Warnung für alle Zeiten gelten. Ausgerechnet Ikarus, der glaubte, sich mit Flügeln aus Federn und Wachs immer höher in die Lüfte erheben zu können, im Übermut der Sonne zu nahe kam und ins Meer fiel. Ein Sinnbild für den Hochmut all jener, die bis vor sechs Jahren glaubten, die Welt sei jederzeit und überall mit Technik absolut beherrschbar. Zwei unbeteiligte Männer wurden beim Archiveinsturz Opfer dieser Selbstüberschätzung der Veranwortlichen. Den finanziellen Schaden, der durch den Einsturz verursacht wurde, schätzt Stadtdirektor Guido Kahlen vorläufig auf eine Milliarde Euro.
Etwa 100 Menschen gedachten gestern an der Einsturzstelle der Opfer. Zum Waidmarkt gekommen waren neben Kahlen auch Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes, KVB-Chef Jürgen Fenske, die Stadtarchiv-Leiterin Dr. Bettina Schmidt Czaja, SPD-OB-Kandidat Jochen Ott und aus der Südstadt unter anderem Dr. Martin Stankowski und Pfarrer Hans Mörtter. Unter dem Motto Sechs Jahre Archiveinsturz Sechs Minuten Schweigen blockierten die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung die Straße vor der Baustelle. Die Glocken der Südstadt-Kirchen läuteten während der sechsminütigen Schweige-Zeit.
Am Abend gaben Stadtdirektor Kahlen, Baudezernent Franz-Josef Höing und Professor Dr. Werner Langen, der die Stadt als Anwalt in Sachen Archiveinsturz vertritt, bei einem Podiumsgespräch Auskunft über den Stand der Beweissicherung an der Einsturzstelle. Eingeladen hatte die Initiative „Köln kann auch anders“. Für Langen ist die Sache ganz einfach: „Aus meiner Sicht gibt es in der Schlitzwand eine Fehlstelle, die einsturzauslösend war. Bis jetzt sprechen alle Mosaiksteine dafür, dass nicht ordentlich gearbeitet wurde.“ Langen verwies auf ein Loch – oder Fehlstelle – in der Schlitzwand, das sich Ende 2014 unerwartet 20 Meter unterhalb des Straßenniveaus mit einer Größe von acht Zentimeter mal 40 Zentimeter aufgetan habe. Durch dieses Loch sei enorm viel Wasser in die Grube geflossen. „Wahrscheinlich ist, dass sich diese Fehlstelle nach unten fortsetzt und größer wird“, sagte Langen. An eben jener Stelle habe es schon 2005 Probleme beim Ausheben der Erde vor dem Gießen der Schlitzwand gegeben. Da habe sich der Bagger im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne ausgebissen. Deshalb sei die 3,40 Meter breite Schaufel gegen eine 2,80 Meter breite ausgetauscht worden. Möglicherweise seien 60 Zentimeter Boden stehen geblieben, so dass die Schlitzwand dort nicht betoniert wurde.
Entscheidend sei jedoch, dass „man die Ursachen gerichtsfest dem Verursacher zurechnen“ könne. Und deshalb müsse man Geduld haben. Schließlich hätten alle Beteiligten Sachverständige aufgeboten, die sich bei jedem Arbeitsschritt in der Baugrube absprechen müssten. „Ich mache das seit 30 Jahren. Aber so ein komplexes Verfahren habe ich noch nie erlebt“, erklärte Langen vor 80 Zuhörern im provisorischen Archiv in der Handwerkskammer am Heumarkt. Die Beweisführung sei nicht zuletzt deshalb einmalig, weil es sich auch um einen Tatort handele. Schließlich habe es zwei Tote zu beklagen gegeben. Es werde buchstäblich jeder Kieselstein einzeln umgedreht in dem Besichtigungsbauwerk, in dem Taucher die Schlitzwand Zentimeter für Zentimeter untersuchen.
Der Sachverständige des Gerichts, Professor Hans-Georg Kempfert, werde eine simple Methode einsetzen, um einen vorläufigen Beweis zu erbringen. Er werde messen, wieviel Wasser durch die Schlitzwand in die Grube dringe und die Wand anschließend vereisen. Ströme dann kein Wasser mehr, könne man von einer fehlerhaften Schlitzwand fast sicher ausgehen. Das sei aber nur ein vorläufiges Indiz. Mit einem Ende der Beweisaufnahme sei nicht vor 2017 zu rechnen.
Guido Kahlen erinnerte daran, dass außer den beiden jungen Männern auch noch eine ältere Frau gestorben sei, die in Folge des Archiveinsturzes ihren Lebensmut verloren habe. Der Stadtdirektor bat die Bürger ebenfalls um Geduld. Nicht zuletzt auch, damit der finanzielle Schaden nicht beim Steuerzahler hängen bleibe. „Wir haben bisher 100 Millionen Euro bezahlt und Rückstellungen in Höhe von 114 Millionen Euro gebildet.“ Man wolle vom Verursacher schließlich Ersatz des Schadens in Milliardenhöhe. Und angesichts der Todesopfer seien neben den zivilrechtlichen auch strafrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Kahlen räumte ein, dass auch ein mögliches Mitverschulden der Stadt zu verhandeln sei. Vielleicht habe man ein Gutachten einer Statikerin „zu kurz interpretiert“. Und als an einem Messpunkt festgestellt wurde, dass sich das Archiv um einen Zentimeter nach Westen geneigt habe, sei man zunächst von einem Messfehler ausgegangen. Diese Fehleinschätzung habe man während einer Sitzung zwei Stunden vor dem Einsturz korrigiert. Da sei es zu spät gewesen.
Linie 17 fährt ab Advent von Rodenkirchen zur Severinsbrücke
Geduld ist auch das Stichwort für alle, die irgendwann mal mit der neuen Linie 17 aus dem Kölner Süden durchgehend bis zum Dom fahren möchten. Stand jetzt wird das frühestens 2023 möglich sein. Wahrscheinlich später, weil niemand sagen kann, wann die Beweisaufnahme wirklich beendet ist. Aber es gibt im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Zum Fahrplanwechsel Ende dieses Jahres soll die Linie 17 in den Hauptverkehrszeiten morgens und abends von Rodenkirchen bis zur Severinsbrücke fahren. Tagsüber wird es einen Pendelverkehr zwischen den Haltestellen Marktstraße und Severinstraße geben. Gute Nachrichten also zum Beispiel für die Schüler der Kaiserin-Augusta-Schule und des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums.
Wie man nach der Beweissicherung mit dem Einsturzort umgehen wird, war Thema für Baudezernent Höing. „Wir wollten vielleicht am Anfang zu schnell zu viel“, analysierte er die Idee, Wohnungen in Blockrandbebauung auf dem Archivgelände zu realisieren. „Ich glaube, da werden wir nochmal neu ansetzen“, antwortete er auf die Vorhaltungen von Severin Heiermann, der für die Initiative „ArchivKomplex“ einen würdigen Gedenkort forderte. Kein Mahnmal und keine „Kranzabwurfstelle“: „Hier sind Kreative und Denker gefordert, eine gute Idee zu entwickeln.“ Auf keinen Fall dürfe die Stadt das Grundstück verkaufen. Höing schlug sich auf die Seite der Bürger: „Wir haben ja Zeit.“
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