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Kultur

Auf hoher See ein Weihnachtsgruß von der Mutter

Donnerstag, 25. Mai 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Dieter Oeckl

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Sie sprühen vor Lebendigkeit, agieren mit einer ansteckenden Spielfreude und spannen einen weiten Rahmen um die Themen „Lieder, die sich durch ein Leben ziehen“ und „Verortung von Heimat“.

 

„Lebenslied“, die neue Produktion des Altentheaters, feierte im FWT eine umjubelte Premiere. Die Ensemble-Mitglieder lassen die Zuschauer an ihren ganz persönlichen Erlebnissen teilhaben, unter denen sich manche finden, die einen Wiedererkennungswert und Aha-Effekt auslösen. Seien es die Lieder, darunter bekannte, die zum Mitsingen einladen oder zum Nachdenken darüber, was Heimat ausmacht. Wo und wie man sich heimisch und geborgen fühlt – und was der Verlust von Heimat bedeutet.

Jedes Leben beginnt mit der Geburt und dem, was den Sprösslingen in die Wiege gelegt wird. „Als ich geboren wurde, sagte mein Vater: Schon wieder ein Junge!“ „Leben und leben lassen. Das macht mich optimistisch. So bin ich schon auf die Welt gekommen.“ „So, wie der da liegt, wird das sicher ein Beamter.“ Mit wenigen Sätzen hat jeder seine Geschichte, deuten sich Schicksale und Lebensläufe an. Ab dem Moment ist man gefesselt vom Geschehen, hört all die Geschichten und Anekdoten und wundert sich, wie diese Menschen selbst schwierigste Lebenslagen meistern konnten. Ohne dabei ihren Humor und ihre Lebenslust zu verlieren. Lieder waren ihnen oftmals Hilfe und gaben Halt, wenn es existentiell wurde.

 

Ingrid Berzau, die Regisseurin: „Es tauchen Lieder auf, die für Einzelne oder auch für Viele bedeutsam waren, zum Beispiel ‚Es waren zwei Königskinder‘, weil darin sehr viel soziale Spannung, Unüberbrückbares und Sehnsucht liegt. Oder wir haben auch Improvisationen gemacht wie: man verirrt sich im Wald oder im Nebel und singt dann gegen die Angst, um sich wieder mutig zu machen. Was taucht da für ein Lied spontan auf? Aus der Spontanität kommt viel an Gefühlsmäßigem oder an Erinnerungs-Potential hoch. Ein Lied kann ja tatsächlich Heimat sein. Früher wurde mehr gesungen. Unser Mitspieler Dieter ist in Schlesien jeden Abend mit seiner Mutter auf den Ruhberg hoch. Dort haben sie den Sonnenuntergang angesehen und ‚Goldene Abendsonne‘ gesungen. Der Vater war im Krieg, die Mutter hatte immer Angst, ob er zurückkommt. So etwas vergisst ein Mensch sein ganzes Leben nicht.“

Was nicht vergessen wurde, wird auf der Bühne wieder lebendig. Jene Frau, die Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ hingebungsvoll singt und sich mit jeder Zeile des Textes identifiziert. Ein Mann, der insgesamt siebenmal umzog, aber immer nur innerhalb des Rechtsrheinischen. Eine Frau, die den Mann heiratete, der zur Tür herein kam und sagte: „Wir zwei heiraten.“

 

Eine andere, die aus der DDR an die Mosel gezogen und dort nie heimisch geworden ist, obwohl sie als Jugendliche sogar Weinkönigin wurde. Der Seemann, der Weihnachten im Kreis seiner Kameraden über die Deutsche Welle einen Gruß von seiner Mutter hörte: „Herbertchen, wann kommste denn wieder nach Hause.“

 

„Mich interessieren schon sehr die ambivalenten Heimatgefühle“, so Ingrid Berzau. „Das Leben ist ja kompliziert. Herbert, unser Seefahrer, ist immer nur weggelaufen von zu Hause, bis er zur See fahren durfte. In den Improvisationen hat er plötzlich gesungen: ‚1.000 Meilen von zu Haus, da sieht die Welt ganz anders aus‘. Da ist für mich die Ambivalenz drin, nur weg zu wollen von zu Hause und doch gebunden zu sein. Er ist ja freiwillig weg, aber andere sind auch vertrieben worden, das sind schon Verlustgeschichten. Wie bei Dieter und einer Frau, die beide aus Niederschlesien vertrieben wurde. Da haben wir die Szene ‚Zweiklang‘ draus gemacht, weil sich die Abschiedsbilder so sehr ähneln, obwohl Dieter älter ist und etwas später vertrieben wurde. Mir war es dabei wichtig, eine Brücke zum Heute zu schlagen. Als Kind hat man den Erlebenskontext, als Erwachsener guckt man dann auch: was steht hinter der Vertreibung im gesamten politischen Kontext. Das Bilanzieren und Reflektieren ist auch ein ganz wichtiger Prozess auf der Bühne. Aus dem jetzigen Alter heraus, eine eigene künstlerische Form zu finden.“

Das ist dem Ensemble gelungen, von Anfang bis Ende! Mit einer unterhaltsamen, höchst sinnlichen Inszenierung, die durchzogen ist von Liedern, die jeder kennt und gerne mitsingt (Musikdramaturgie: Sabine Falter). Die Anteil nehmen lässt an fremden Schicksalen, exemplarisch stehend für eine ganze Generation. Die Erinnerungen weckt an eigene Erlebnisse, denn das ist das – eigentlich gar nicht mal so – Erstaunliche: Geschichten wiederholen sich zigtausendfach. Was die Einmaligkeit jeder Geschichte nicht schmälert. Und das Vergnügen, das man an ihr haben kann, auch nicht.

„Lebenslied“
Regie: Ingrid Berzau
Musikdramaturgie: Sabine Falter
Die nächsten Termine: 26., 27. Mai, 1. Juni 2017
Freies Werkstatt Theater, Zugweg 10, 50677 Köln
 

Text: Alida Pisu

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