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Kultur

„Auf Musik könnte ich nicht verzichten“

Freitag, 18. Januar 2013 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Leben ist ein unaufhörliches Lernen und je weiter Erfahrungen in die Ferne rücken, um so besser lassen sie sich gestalten. In „Das Lied des Lebens“ erzählen alte und sehr alte Menschen über das Singen und Musizieren verbunden mit prägnanten Szenen aus ihrer Jugend. Animiert und begleitet von dem experimentellen Komponisten Bernhard König fördert die Musik auf leichte Weise Schweres zu Tage. Diese Rückblicke verband Irene Langemann zu einer Dokumentation, die durch die Offenheit und Euphorie der betagten Protagonisten berührt. Reinhard Lüke sprach mit der Regisseurin Irene Langemann über ihren Dokumentarfilm „Das Lied des Lebens“ bei der Premiere im Odeon.

Meine Südstadt: Wie kam es zum Kontakt mit Bernhard König, dem Komponisten und Chorleiter?
Irene Langemann: Die Initiative ging von ihm aus. Er hat mich im Februar 2011 angeschrieben, erklärt, wie sehr er meine Musikfilme schätzt und gefragt, ob ich nicht einem Film über seine Arbeit mit alten Stimmen machen möchte,. Er fand, dass vor allem das, was er in dem Stuttgarter Seniorenheim macht, mehr Öffentlichkeit verdient hätte.

Haben Sie spontan zugesagt?
Nein. Weil ich seine Projekte, die er mir so begeistert geschildert hatte, ja überhaupt nicht kannte. Aber ich bin dann zu einer Probe seines Kölner „Alte Stimmen“-Chors gegangen und war absolut  fasziniert von der Intensität, Freude und Offenheit, mit der die Senioren die Angebote der Profimusiker aufgenommen haben. Schließlich singen die da keine Volkslieder, sondern machen anspruchsvolle Musik. Mein erster Besuch im Altenheim in Stuttgart war dann etwas irritierend, weil an dem Tag viele Bewohner krank oder einfach schlecht drauf waren. Bernhard König hat mich aber beruhigt und erklärt, dass solche Tage hin und wieder vorkommen und man viel investieren muss, um diese Menschen immer wieder zu ermutigen, aus ihrer Erstarrung herauszukommen.

Und wann stand Ihr Entschluss fest, das Projekt mit der Kamera zu begleiten?
Als ich einige der Senioren mit ihren persönlichen Geschichten näher kennen gelernt hatte. Da war mir klar, dass diese teils sehr bewegenden Biographien mein Zugang für einen Film sein würden.

Wie lange haben Sie gedreht?
Zehn Monate.

Wie ist es Ihnen gelungen, das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen, damit sie sich vor einer laufenden Kamera derart öffnen?
Das ist ja bei keinem Dokumentarfilm besonders einfach. Wir haben sehr ausführlich und offen über alles gesprochen und relativ schnell war dann eine Vertrauensbasis gegeben. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Senioren die Dreharbeiten teilweise sehr genossen haben, weil sie ein Mitteilungsbedürfnis haben, das sie im Heim, wo es wenig Kontakt nach draußen gibt, kaum ausleben können. Überhaupt kann ich sagen, dass ich noch nie soviel Freude mit meinen Protagonisten hatte wie bei diesem Film.

Ihre Dokumentation hat ein paar echte Gänsehaut-Momente. Etwa wenn die blinde Dame nach langen Jahren zum ersten Mal wieder an einem Klavier sitzt oder der halbseitig gelähmte, ehemalige Akkordeonspieler mittels eines E-Pianos mit Tränen in den Augen feststellt, dass seine linke Hand nichts `verlernt´ hat. Spürt man solche besonderen Momente bereits beim Dreh?
Absolut. Ich bekomme selbst immer noch Gänsehaut, wenn ich diese Sequenzen sehe. Aber darin kommt auch die besondere Qualität der Arbeit von Bernhard König zum Ausdruck, der diesen Menschen mit unglaublicher Geduld und Ruhe begegnet.

Aber es gibt auch ein paar Szenen, in denen unter den Senioren durchaus so etwas wie Unmut gegenüber ihrem Chorleiter zu spüren ist. Wie wichtig waren Ihnen diese Momente für Ihren Film?
Sehr wichtig. Solche Konflikte und Auseinandersetzungen gehören nun mal zum Leben und ich will als Dokumentarfilmerin ja keine heilen Welten vorführen.

Sie haben sich in mehreren Ihrer Filme mit Musik und vor allem mit Pianisten beschäftigt. Liegt dem eine persönliche Passion zugrunde?
Unbedingt. Als ich jung war, wollte ich selbst Pianistin werden, aber das Talent hat nicht gereicht und das ist im Nachhinein auch gut so. Aber Musik spielt –auch als Inspirationsquelle- nach wie vor eine große Rolle in meinem Leben. Als Filmemacherin bin ich zwar eigentlich ein Augenmensch, aber auf Musik könnte ich nie verzichten.

Sie haben ja eine durchaus bewegte Biographie. Sie sind in der Sowjetunion geboren, haben dort als Schauspielerin und Fernsehmoderatorin gearbeitet, ein Freies Theater geleitet und sind 1990 nach Deutschland gekommen. Haben Sie mit dem Filmemachen erst hier begonnen?
Ja. Ich habe nach meiner Übersiedlung für die Deutsche Welle und auch für das Fernsehen des Senders gearbeitet. Da habe ich angefangen, kleine Magazin-Beiträge und später auch längere Filme zu drehen.

1996 haben Sie dann den krisenfesten Job für ein Leben als freischaffende Dokumentarfilmerin aufgegeben. War Ihnen klar, auf was Sie sich da einlassen würden?
 Zugegeben, ich hatte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde, die Finanzierung für meine Projekte hinzubekommen. Und es wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Am Anfang dachte ich, mit einer erfolgreichen Dokumentation und in paar Filmpreisen würden die Probleme kleiner, doch dem ist leider nicht so. Ich fange bei jedem Projekt praktisch wieder bei Null an. Ohne Fernsehgelder lassen sich Dokumentarfilme ja kaum produzieren und inzwischen ist es so, dass ein Sender allein auch nicht mehr reicht. Und mehrere Anstalten für ein Projekt zusammenzubringen, kostet jedes Mal viel Zeit und Nerven.  

 

Was bedeutet Ihnen eine Kinoauswertung Ihrer Filme?
Sehr viel. Nicht nur, weil es natürlich toll ist, die eigene Arbeit auf einer großen Leinwand zu sehen. Inzwischen ist es auch so, dass Dokumentationen im Kino mehr öffentliches Interesse finden als bei ihrer Fernsehausstrahlung, die bei den meisten Sendern ja nur noch um Mitternacht stattfindet. Selbst wenn sie den Film selbst produziert haben. Eine absurde Situation.

 

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Irene Langemann, 1959 im sibirischen Issikul geboren, studierte in Moskau Schauspiel und Germanistik, arbeitete anschließend als Darstellerin und Moderatorin beim Fernsehen, bevor sie für vier Jahre ein Freies Theater leitete. 1990 übersiedelte sie nach Deutschland und drehte  Filme für das Fernsehen der Deutschen Welle. Seit 1996 hat Irene Langemann, die in Köln lebt, als freiberufliche Filmemacherin rund ein Dutzend Dokumentarfilme (u.a. „Russlands Wunderkinder“, „Die Martins-Passion“, „Rubljowka“ Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit“,  „Liebesgrüße aus Ramstein“) gedreht, für die sie mehrere Auszeichnungen erhalten hat. 

Text: Reinhard Lüke

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