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Kultur

Aufgewacht – warum Vanessa Musik macht

Freitag, 28. April 2017 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Es ist kalt und sonnig auf dem Chlodwigplatz, direkt vor der Severinstorburg. Das erste, was ich von Vanessa sehe, ist der Hals ihrer Gitarre. Er ragt am Ende des Tores auf der rechten Seite ins Bild. Die Gitarre bewegt sich auf und ab. Ein paar Schritte weiter, und ich höre die Stimme: ruhig, getragen, eine Alt-Stimme. Vanessa singt „Ain’t no sunshine“. 

 

Dann kommt der Bus aus der Severinstraße. Die 106 biegt ab und fährt dabei fast über die braune Gitarrentasche, die aufgeklappt auf dem Pflaster liegt. Es ist 16 Uhr, und in den nächsten 30 Minuten kommen viele Busse. „I know, I know, I know“, singt Vanessa. 

 

Sie steht hinter dem Tor, mit dem Rücken an der Mauer, ihr Blick fällt auf den türkischen Supermarkt. Jeans, Sweater, braune, schulterlange Haare mit Pony, der Mund nah am Mikrofon. Ein Kabel, eine kleine Lautsprecherbox. Vanessa Schäfer ist 20 Jahre alt und macht seit anderthalb Jahren Musik. 

 

„So weit gekommen, und so viel gesehen“

 

Die meisten Lieder sind Coverversionen: Ed Sheeran, Wincent Weiss, Silbermond und Luxuslärm (die Band gibt es nicht mehr – leider, sagt Vanessa). Sie ist hier aufgewachsen, direkt am Chlodwigplatz. Im Winter 2015 lernt sie den Straßenmusiker Leyliam kennen. Sie sieht ein Video von ihm auf Facebook, ist begeistert von der Stimme. „Das ist coole Musik“, sagt sie. Heute sind die beiden befreundet. Leyliam ist ein Grund dafür, dass sie hier steht.

 

Vanessa singt jetzt „80 Millionen“ von Max Giesinger: „So weit gekommen, und so viel gesehen“, der Song wurde zum EM-Song 2016. Ein Paar mit Kinderwagen bleibt im Sonnenschein stehen, ein paar Meter vor Vanessa, der Mann wirft Münzen in ihre Gitarrentasche, ein rotes Liegefahrrad fährt vorbei.

 

 

Das Gitarrespielen hat sich Vanessa selbst beigebracht. Mit Videos auf Youtube. „Irgendwann singt man mit, und irgendwann ist es auch gar nicht mehr so schlecht“, sagt sie. Irgendwann postet sie den ersten Schnipsel von sich bei Instagram, damals gehen nur 15 Sekunden: „Crazy in Love“, von Beyoncé. Bei Instagram ist sie bis heute, inzwischen dürfen die Videos eine Minute lang sein. Bei Facebook ist Vanessa doppelt – ein privates Profil und eine Seite für die Musik. Aber Instagram läuft besser, sagt sie.

 

Dann taucht plötzlich Hermann-Josef auf

 

Es ist viertel nach vier, Vanessa darf noch 15 Minuten spielen. Sie erklärt mir die Regeln aus Kölner Stadtordnung, §9: Zur vollen Stunde stellst Du Dich hin und spielst 30 Minuten. Dann musst du den Ort wechseln und kannst zur nächsten vollen Stunde neu anfangen. Vanessa ist jetzt nicht mehr allein: Ein zweiter Musiker taucht auf und bleibt ein paar Meter weiter stehen. Es ist Hermann-Josef, erfahre ich später. Menschensinfonieorchester, Taxifahrer, Rentner, Hausmann, Kölner: Er braucht wenige Wörter für sein Leben. Die beiden kennen sich nicht.

Hermann-Josef bläst in eine Mundharmonika. Es sieht ganz zufällig aus, aber er spielt zu Vanessas Akkorden. Es klingt gut, aber dann kommen schon wieder Busse. Einer aus Norden, einer aus Süden. Die Busse hupen. Ein Lkw auf der Ecke vor dem „Früh em Veedel“ steht im Weg, ein paar Minuten lang geht gar nichts. Vanessa und Hermann-Josef, eingekeilt im Stadtverkehr, Vanessa lacht. 

 

Hermann-Josef fragt jetzt, ob er mitspielen kann. „Alles gut, so lange es zu meiner Musik passt“, antwortet Vanessa. Sie hat Musiker erlebt, die sich einfach dazustellen, und es passt nicht. Hermann-Josef stellt sich mit Mundharmonika und Gitarre im rechten Winkel zu Vanessa, damit er sie sehen kann. Er schaut auf ihre Hände an der Gitarre, er sieht und hört ihre Akkorde, er improvisiert zu ihrem Gesang. Seine Lautsprecherbox ist noch viel kleiner als die von Vanessa, aber seinen Blues hört man trotzdem. Schöner Moment.

 

Es ging nicht schief bei „Luxuslärm“

 

Vanessas erster eigener Song heißt „Jetzt wacht er auf“. Sie meint den Traum. Den Traum, nicht mehr unter der Dusche zu singen. „Musik ist, was ich will, das ist, was ich brauch“, heißt es im Text. Bei „Luxuslärm“ durfte sie mal auf die Bühne – als Fan, um ein Lied mitzusingen. Es ging nicht schief. Später ein Song mit dem Straßenmusiker Leyliam im „Kurfürstenhof“: „Don’t“, von Ed Sheeran. 

 

Heute spielt sie regelmäßig in der Stadt. Auf dem Chlodwigplatz, am Rheinufer in der Altstadt. Im Winter seltener, zu kalt. Für die richtige Innenstadt, sagt sie, braucht sie einen größeren Verstärker. Mit dem, den sie jetzt hat, klingt ihre Stimme noch etwas dumpf. Es gibt drei fertige Songs, zwei sind in Arbeit. Sie war schon bei einem Bekannten im Studio. Ihre erste Aufnahme.

 

 

Um halb fünf ist die Spielzeit rum, und Vanessa packt Mikrofonständer, Lautsprecher und Gitarre ein. Wir gehen durch die Severinstorburg zurück auf den Chlodwigplatz und stellen uns in die Sonne. Gleich hören wir Hermann-Josef, der jetzt allein spielt. Die Musik lässt uns nicht los. Aber Vanessa macht sich keine Illusionen: Musikerin, als Beruf? Eher nicht. Mehr Leute zu erreichen mit ihren Liedern: das schon. Gerade macht sie eine Ausbildung in einer Tierarztpraxis in Poll. Im Sommer ist sie dort fertig und möchte in die Medien. Ein Praktikum beim Morgenmagazin hat sie, danach will sie vielleicht studieren. Mediendesign liegt ihr, sagt sie.

 

Das Kölsche liegt ihr weniger, zumindest in der Musik. An Karneval, kein Problem. Sie war selbst mal „Hauptpräsidentin“ an der Grundschule Zugweg. Lange her. Bei älteren Leuten findet sie es normal, wenn die Kölsch reden. In meinem Alter, sagt sie, klingt das komisch. Darum gibt es keine kölschen Songs von Vanessa. Und keine politischen. „Ich bin kein politischer Mensch“, sagt sie.

 

„Und wenn ich im Dunkeln dann durch die Straßen zieh’…“

 

Eines ihrer drei Lieder heißt „Stern am Himmel“. Es erzählt von der besten Freundin ihrer Mutter. Vanessa kannte sie ein Leben lang. Bis sie sich vor acht Jahren das Leben nahm. Es ist die Melodie dieses Songs, die ich im Kopf behalte, als ich nach Hause schlendere und die Eindrücke sortiere. Vanessa Schäfer: Straßenmusikerin, Südstädterin, Ex-Humboldt-Schülerin. Bei „Stern am Himmel“ denke ich an Silbermond. Es ist die gleiche Stimmung, ein bisschen melancholisch, aufgeladen mit Gefühl, ein Song zwischen Traurigkeit und Wehmut, ein Ohrwurm. Und er passt gut zu der ruhigen Singstimme von Vanessa, an diesem Nachmittag in Köln, gleich hinter der Severinstorburg.

 

„Und wenn ich im Dunkeln dann durch die Straßen zieh’, habe ich das Gefühl, dass du der Stern am Himmel bist, der am allerhellsten leuchtet, der von oben auf mich acht gibt und immer zu mir hält, der die Welt um mich dreht, damit mein Leben immer weiter und weiter geht.“

 

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Hier zum Nachlesen der Auszug aus der Kölner Stadtordnung:

 

§ 9 Darbietung von Straßenmusik und -Schauspiel und anderer Straßenkunst

(1) Straßenmusik und -schauspiel darf nur in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde in einer Lautstärke dargeboten werden, dass unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden. Die zweite Hälfte jeder vollen Stunde ist spielfrei zu halten. In der Zeit von 22 Uhr bis 10 Uhr darf keine Straßenmusik gespielt werden. Nach jeder Darbietung ist der Standort so zu verändern, dass die Darbietung am ursprünglichen Standort nicht mehr hörbar ist; der neue Standort muss mindestens 300 Meter entfernt sein. Jeder Standort darf pro Tag und Musiker nur einmal bezogen werden. 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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