Aus dem Zelt in die Wohnung: Andreas Budweg ist erster Mieter bei Housing first
Mittwoch, 8. Juli 2020 | Text: Stefan Rahmann | Bild: Stefan Rahmann
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Andreas Budweg dreht sich bedächtig eine schmale Zigarette, trinkt einen Schluck „Krümelkaffee“ und sagt dann einen Satz, der ihm in den vergangenen Jahren wohl eher nicht über die Lippen gekommen ist: „Ich bin einfach glücklich.“ Das Glück kann man sehen. Es ist eine Einzimmerwohnung mit einem Küchenbereich, der durch eine kleine Theke abgetrennt ist. Glück sind ein Herd, ein Bett, ein Sofa, ein Tisch, eine Dusche, ein Klo und eine Steckdose, um das Handy aufzuladen. Andreas Budewig hat den Winter in einem Zweimann-Zelt irgendwo in einem Waldgebiet bei Marsdorf verbracht. Und jede Menge „Krümelkaffee“ getrunken. So nennt er das wasserlösliche „Zeug“ aus dem Glas. „Gemütlich ist anders“, erinnert er sich an jene Monate im Freien: „Aber es geht irgendwie, wenn man eine halbwegs vernünftige Ausrüstung hat.“
Besser Zelt als Notschlafstelle
„Irgendwie“ war wohl gar nicht so schlecht, wenn man einem Mitarbeiter der Verwaltung glaubt, der Budweg erklärt hat, dass er selbstverständlich Anspruch auf eine städtische Notschlafstelle habe. Aber: „Sie haben ein Zelt? Dann schlafen sie besser darin als bei uns, hat der mir gesagt“, so Budweg.
Das Zelt ist Geschichte. Seit dem 15. Mai lebt Andreas Budweg in der ersten Wohnung, die die Initiative „Housing first“ gekauft hat. Irgendwo in Ehrenfeld. Er hat es nicht weit bis zum Helmholtzplatz. „Housing First“ möchte Menschen ohne Wohnung eine ebensolche bieten. Nun ist es im Moment angesichts der explosionsartig gestiegenen Immobilienpreise kein leichtes Unterfangen, in Metropolen wie Köln eine Wohnung zu kaufen. Käufer ist der Vringstreff-Verein aus der Südstadt.
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Filos Köln – et hätt noch immer jot Taverne!„Wir wurden begleitet vom Housing-First-Fonds“, berichtet Jutta Eggeling, Geschäftsführerin des Vringstreffs, einer Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung im Schatten der Severinskirche. Der Fonds wurde gegründet vom Paritätischen NRW und dem Verein Asphalt/fiftyfifty aus fiftyfifty aus Düsseldorf. „Der Housing-First-Fonds versetzt Organisationen der Wohnungslosenhilfe aus ganz Nordrhein-Westfalen in die Lage, den in Deutschland noch wenig verbreiteten, aber sehr vielversprechenden Housing-First Ansatz selbst umzusetzen“, heißt es in einer Erklärung der Verantwortlichen. Geld hat der Fonds auch. Und da kommt Köln ins Spiel. Namentlich der Maler Gerhard Richter, der in Köln lebt. Er hat dem Verein fifty/fifty einige Werke gespendet. Der Gesamtwert wird auf 1,2 Millionen Euro taxiert. Mit den Mitteln des Fonds werden die Finanzierungsgrundlagen zum Kauf von Wohnungen geschaffen.
Kredit wird über Bande abbezahlt
Kooperationspartner bekommen 20 Prozent des Kaufpreises einer Immobilie erstattet. Auch Umbauten und Kaufnebenkosten können mitfinanziert werden. Das Projekt wird durch das Land bis Ende November 2020 gefördert. „In Düsseldorf wurden bis jetzt rund 40 Wohnungen gekauft“, weiß Jutta Eggeling. Jetzt wird das Projekt ausgeweitet auf ganz Nordrhein-Westfalen. In anderen Städten ist Housing First längst etabliert. Das gilt etwa für Berlin, Münster, Stuttgart und Hamburg. Der Fonds mit dem Richter-Geld zahlt 20 Prozent des Kaufpreises von Wohnungen. Woher stammt der Anteil von 80 Prozent? Nicht zuletzt von Banken, die der Vringstreff zur Finanzierung ins Boot geholt hat. Die Rechnung ist denkbar einfach. Die Zinsen für den Kauf einer Immobilie sind im Moment auf historisch niedrigem Niveau. Das macht das Bedienen von Krediten sogar für einen Verein wie den Vringstreff möglich, weil Andreas Budweg Wohngeld von der Stadt bekommt und sozusagen über Bande die Wohnung abbezahlt.
„Platte machen ohne Sucht ist nicht möglich“, sagte einmal der ehemalige Obdachlosenpfarrer Karl-Heinz Iffland. Andreas Budweg ist der Beweis, dass es doch geht. „Ich trinke natürlich auch mal ein Bier. Aber abhängig von irgendwas war ich nie“, sagt er. „Höchstens vom Essen. Ich koche wahnsinnig gern. Und ich rauche. Noch.“ Aber warum landet jemand wie er in einem Zelt im Wald? „Das war ein schleichender Prozess“, sagt Budweg und blickt zurück. Geboren 1978 in Frankfurt am Main wuchs er im Saarland auf. Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung als Erzieher und arbeitete drei Jahre in einem SOS-Kinderdorf. Dann kam ein Stück weit Unruhe in sein Leben. Er wurde Punker, eine Beziehung scheiterte, er ging nach Berlin, besetzte Häuser, und strandete nach Reisen durch Skandinavien und andere Länder irgendwann in Köln.
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Klemmer-Roth: Bestattungen und Trauerbegleitung in der SüdstadtDie Wohnungssuche war aussichtlos. „Negative Schufa-Auskunft und OFW-Vermerk im Personalausweis. Da nimmt dich kein Vermieter.“ OFW? „Ohne festen Wohnsitz.“ Er hat dann eine Zeitlang im Zelt gewohnt und in Lövenich gearbeitet. „Ich war in der Produktion von Chemie-Fässern beschäftigt. Ein harter Job.“ Budweg hat trotz Zelt und Job seine sozialen Kontakte weitergepflegt. Auch als er arbeitslos wurde, hat er Freunde besucht und die Oase, einem Anlaufpunkt für Menschen ohne Wohnung. „Ich hatte natürlich kein Geld für die Bahn von Marsdorf. Irgendwann wurde ich auf der Straße verhaftet und musste 74 Tage im Gefängnis absitzen. Wegen Schwarzfahrens. Ich konnte nicht mal mehr meine Sachen aus dem Zelt abholen.“ Das Wunder: Als er aus der Haft entlassen wurde, war das Zelt unangetastet. „Mein iPad lag aufgeschlagen auf dem Schlafsack.“
Obdachlos sein ist harte Arbeit
Obdachlos zu sein, sei harte Arbeit, sagt der 42Jährige. „Man muss sich eine Struktur geben. Jeden Tag überlegen, wo man Essen herbekommt und so.“ Dass er den Kontakt zur Oase gehalten hat, erwies sich als goldrichtig. Dort hat man ihn an Housing First vermittelt. Ein Jobangebot hat er auch schon. Er könnte bei einer Spedition anfangen. „Ich hoffe, dass mir das Job-Center den Lkw-Führerschein bezahlt.“ Und unabhängig von allem anderen hat die Wohnung für Andreas Budweg noch eine ganz andere Zukunftsperspektive: „Jetzt kann ich auch mal wieder eine Frau kennenlernen. Die könnte ich, wenn sie mag, sogar in meine Wohnung einladen. Das war im Zelt ja eher nicht möglich.“ In der Tat: Die Frage „Hast Du noch Lust, bei mir im Wald einen Krümelkaffee zu trinken?“ hätte doch sehr ungewöhnlich geklungen. Und höchstwahrscheinlich ziemlich aussichtslos. Damals.
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Kommentare
Sehr schöner Text. Geht nahe. Ich hoffe, Andreas hat nun auch Frauenbesuch gehabt 🙂