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Gesellschaft Kultur

„Beim dritten Mal ist es Tradition“

Mittwoch, 7. Juni 2017 | Text: Jaleh Ojan | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Es ist Markus Reinhardts Ansicht nach schon eine feste Größe im Kölner Kulturleben geworden: das Zigeunerfestival, das auch dieses Jahr wieder auf der LVR-Wiese am Deutzer Kennedy-Ufer stattfindet. „Beim dritten Mal ist es eine Tradition“, sagt der Initiator des Festivals lachend. Ich traf den Violinisten im Innenhof der Lutherkirche, dem Veranstaltungsort der Kölner Zigeunernacht am 16.06. Die „Zigeunerfestival-Gala“ bildet den krönenden Abschluss einer Kultur- und Infowoche rund ums 3. Rheinische Zigeunerfestival am 15. Juni.

„Eine Sache, die von uns kommt“

Ist Köln zum Zentrum der Zigeunerkultur geworden? Diesen Wunsch hatte Markus Reinhardt im Jahr 2012 einer Kollegin von „Meine Südstadt“ gegenüber geäußert. Damals stand das 1. Rheinische Zigeunerfestival gerade in den Startlöchern. Reinhardt ist sichtbar stolz auf die Entwicklung der letzten fünf Jahre, zeigt sich aber eher vorsichtig optimistisch. Auch im so häufig als weltoffen beschworenen Köln gebe es eine latente Angst vor Überfremdung, höre ich aus seinen Worten heraus.
Veranstaltungen wie das Zigeunerfestival sieht der alteingesessene Kölner aber als einmalige Chance für die Community, selbstbewusst ihre eigene Kultur – die der größten europäischen Minderheit – zu präsentieren. Dabei soll ein Ort geschaffen werden, an dem man sich unbefangen und auf Augenhöhe begegnen kann. Es gilt, mit den Menschen zu reden, nicht über sie. Das Zigeunerfestival sei „eine Sache, die von uns kommt, das hat eine andere Qualität. Und diese Qualität, die muss zu Köln gehören, und Köln kann sich damit präsentieren.“

Eine deutschlandweit einzigartige Veranstaltung

Eine Neuheit ist die Info- und Kulturwoche (10.-16.06.2017) am historischen Zigeunerwagen in unmittelbarer Nähe des Festivalgeländes, die dank der Unterstützung des Kultusministeriums ermöglicht wurde. „Das finde ich sehr, sehr schön, weil sich da die ganzen Gruppierungen präsentieren können. Wir haben gesagt, wir wollen alle haben – alle die wollen, und alle die können.“ So etwas habe es in ganz Deutschland so bislang noch nicht gegeben, erzählt Reinhardt – nicht ohne Stolz.
Mit dem vielfältigen Veranstaltungsprogramm wird dem Besucher die Auswahl nicht leicht gemacht. Neben dem Begegnungscafé und dem Info-Stand am Wohnwagen gibt es Filmvorführungen, Lesungen, eine Gedenkfeier für die NS-Opfer und eine „poetische Tanzreise“ – um nur einige Programmpunkte zu nennen.

Bands aus aller Herren Länder

Waren 2012 und 2015 überwiegend Musiker aus Südosteuropa vertreten, ist das diesjährige Festival noch internationaler aufgestellt. Neben deutschen Acts wie der Balkan Brass Band werden Künstler aus Spanien, den Niederlanden, Frankreich und dem ehemaligen Jugoslawien am 15. Juni die Festivalbühne rocken und sie zum Swingen bringen. Mit den Dhoad Gypsies of Rajasthan verschlägt es sogar ein Ensemble aus Indien an den Rhein.

 

Markus Reinhardt und Band. /Foto: Jan Krauthäuser

Der Norden dieses Landes gilt als Herkunft der Tziganes, Gitanos, ?igani – und wie die Roma und Sinti sonst noch genannt werden in ihren europäischen Heimatländern. Am 15. Juni bekommt der Festivalbesucher die Gelegenheit, hautnah zu erfahren, wie sehr ihre reiche Tradition die Musik des Abendlandes geprägt hat. Schließlich liegen die musikalischen Wurzeln des Markus Reinhardt Ensembles auch im Gypsy-Jazz des weltberühmten französischen Gitarristen Django Reinhardt, der Großonkel des Kölners. „Rumba Gitana“ wiederum ist eine Stilrichtung des andalusischen Flamenco, der maßgeblich von der Musik der Zigeuner beeinflusst wurde. Der Name der Band ist also Programm.

Gemeinsam jammen: ein Weg aus der Perspektivlosigkeit

Von Anfang an gehörte es zum Festivalkonzept, Musiker aus der Region mit einzubinden und zu fördern. Reinhardt gerät ein wenig ins Schwärmen, wenn er von seiner Arbeit mit jungen Sinti und Roma aus geflüchteten Familien spricht. Oft sei sie zwar ermüdend und frustrierend, doch die Mühe lohne sich für ihn. „Als wir anfangen haben, war die Motivation nicht so stark, weil keiner wusste, wo es hingeht, wie das im Endeffekt ausschaut.“

Jetzt seien die jungen Leute ganz anders motiviert, würden ihre Instrumente auspacken, sich formieren und austauschen, erzählt Reinhardt weiter. „Bei uns sind so ganz junge Leute, auch Sieben-, Achtjährige, die proben jetzt schon – oder haben Anfang des Jahres geprobt – für das Festival nächstes Jahr, zum Beispiel. Das ist eine ganz große Motivation, die wir anfangs nicht gehabt haben.“

Was gesagt werden darf

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Reinhardt als „Zigeuner“ bezeichnet und mit der er sogar eine großangelegte „Zigeunerveranstaltung“ ins Leben ruft, kann einen stutzig machen. Für den Sinto ist das vermeintliche Tabuwort jedoch ein Ausdruck von Stolz und Selbstbewusstsein. Er könne zwar gut verstehen, warum manche Romagruppen in ihren Ländern die Selbst- und Fremdbezeichnung „Zigeuner“ ablehnen. In Deutschland wollen aber die meisten Zigeuner auch so genannt werden. Auch keiner der auftretenden Künstler habe mit dem „politisch unkorrekten“ Begriff ein Problem. „Komischerweise haben wir die meiste Kritik von den Nicht-Zigeunern gekriegt“, sagt Reinhardt.

Das beste Argument für die Bezeichnung „Zigeuner“ ist für ihn: „Es gibt nicht nur Roma und Sinti, es gibt so viele Gruppen: Kalderasch, Kalé … Ich kenn sie ja gar nicht alle. Und die Leute sind auch beleidigt, wenn sie gar nicht genannt werden.“ Oder, schlimmer, wenn sie sich im Gedenken an den Porajmos (NS-Völkermord an den Sinti und Roma) nicht als betroffene Volksgruppe mitgemeint fühlen.

 

Die politisch korrekte Bezeichnung schütze außerdem nicht vor Antiziganismus. Während einer Österreich-Tournee hat Markus Reinhardt ein Plakat gesehen mit dem Spruch „Sinti und Roma raus“. „Die Aussage ist die gleiche“, meint er. Dass rassistische Diskriminierung und latente Vorurteile nach wie vor in allen Bevölkerungsgruppen vorkommen, bestätigt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2014, der zufolge jedem fünften Deutschen Sinti oder Roma als Nachbarn unangenehm oder sehr unangenehm wären. Danach gefragt, was ihnen spontan zum Begriff „Zigeuner“ einfalle, antworteten gerade einmal 1,3 % der Befragten, es seien „Menschen wie du und ich“.

Keine Berührungsängste auf der Tanzfläche

Dass Zigeuner als Menschen „mit den gleichen Ängsten, Schwächen, Stärken“ wahrgenommen werden, dazu haben die letzten beiden Festivals in Reinhardts Augen entschieden beigetragen.  Er hofft, „dass es diesmal genauso ist, oder noch mehr – wegen dieser Info-Woche: dass die Leute ganz bewusst kommen und fragen“. Raum für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen gibt es also reichlich. Für Reinhardt ist es aber vor allem wichtig, die Menschen über Musik, Tanz und Party zusammenzubringen, denn „die Leute sollen ja auch Spaß haben“. Über die Musik komme man wiederum ins Gespräch. „Da kommen ganz andere Fragen. Und das ist schön und spannend. Dafür steht dieses Festival.“

Reinhardt würde sich wünschen, dass das Festival jedes Jahr stattfindet. Dafür müsse aber bei den Behörden das Bewusstsein dafür wachsen, wie wichtig diese Veranstaltung sei, für Zigeuner und Nicht-Zigeuner gleichermaßen. „Mein Traum ist, dass genau das zu Köln gehört, wie Karneval.“ Bevor er sich wieder in den Kölner Norden zu „seinen“ Flüchtlingskindern aufmacht, verrät er noch, dass er den historischen Wohnwagen gerne dauerhaft als Kulturzentrum nutzen würde. Realisierbar ist dieser bescheidene Wunsch allemal.

 

Mehr im Netz
Das Programm gibt es auf: www.zigeunerfestival.de und auf www.facebook.com/events/1876839505923434/

Vom 10. – 16.06. lädt der Maro Drom e.V. zur Kultur-und Infowoche ein. Am Kennedyufer unweit des Festivalgeländes wird ein historischer Zigeunerwagen und ein Infostand über die Zigeunerkultur informieren, u.a. durch eine Foto-Ausstellung zur Geschichte der Kölner Zigeuner. Neben Infos und Gesprächspartnern aus verschiedenen Sinti-und-Roma-Gruppen wird es kleine Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen im und vor dem historischen Wohnwagen geben.

Text: Jaleh Ojan

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