Berlinale-Süd #5 – Waisenkinder und Komparsen
Mittwoch, 12. Februar 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: J.C. Schillmöller
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Vormittags um halb elf in Berlin. Es ist wolkig heute, und an der Tiergartenstraße gleitet Botschaft an Botschaft an uns vorbei, Indien, Südafrika, Türkei. Dann biegt unser Taxi links ab in die Hiroshima-Straße, und vor dem verglasten Gebäude mit der Hausnummer 12-16 warten drei riesige Buchstaben auf uns: N R W.
In der nordrhein-westfälischen Landesvertretung haben heute die Studenten der deutschen Filmhochschulen das Sagen. Das hier ist ihr jährlicher Empfang, und sie haben ihn selbst organisiert. Mit dabei auch die Kunsthochschule für Medien aus der Altstadt-Süd und die Internationale Filmschule Köln.
Kurz nach elf im Vorführ-Saal: Knapp 150 Menschen sitzen auf roten Konferenzstühlen und nacheinander treten die Studenten ans Pult oder einfach vor die Leinwand, um ihre Projekte zu erklären und Trailer, Sequenzen und Fotos zu zeigen. Das Ziel: Sie alle wollen tat- und finanzkräftige Helfer finden: Produzenten, Fernseh-Redakteure, Editoren und Sponsoren. Und natürlich hoffen viele auf eine Einladung zu einem Festival.
Gleich im ersten Block stammen drei von zehn Projekten von den beiden Kölner Hochschulen: „Sternstunden“ von Henning Drechsler (KHM), „Die Stille zwischen den Tönen“ (Robert Windisch, KHM) und „Kirgistans Waisen“ von Maria Titova (IFS).
Besonders gut kommen die „Sternstunden“ beim Publikum an – es geht um Komparsen im Filmgeschäft, und die wenigen Minuten aus der Dokumentation bringen Heiterkeit in den Saal. Die Menschen auf der Leinwand erzählen von Freud und Leid des Statisten-Daseins, und sie tun das mit so viel Hingabe (und Selbstironie), dass es spontan Applaus gibt.
Trailer von „Sternstunden“, Screening beim Filmempfang, Film von Henning Drechsler (KHM).
Regisseur Henning Drechsler erzählt uns später draußen am KHM-Stand, er sei inzwischen schon von einer Redakteurin angesprochen worden. Daumen drücken. Die Idee zu der Komparsen-Doku kam ihm bei seiner Arbeit als Kameramann (denn das ist er auch). „Das ist wie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Auf der einen Seite Schauspieler und Crew, auf der anderen die Statisten, und zu denen gibt es eigentlich keinen Kontakt, dafür hat man keine Zeit und eigentlich auch kein Interesse.“
Henning Drechsler fing an, Komparsen zu fotografieren und entdeckte Menschen, die inzwischen sogar eine Art Freundschaft verbindet und die sich immer wieder am Filmset treffen. Aus den Gesprächen entstand die Idee, die Statisten zu Hauptdarstellern zu machen und daraus wurden dann „Sternstunden“.
Auch Regisseur Robert Windisch und Kameramann Jakob Beurle sind KHM-Studenten, Jakob wohnt in der Achterstraße. Ihr Kurzfilm „Die Stille zwischen den Tönen“ entstand an einer Reihe von Orten in und um Köln: Gedreht haben sie bei einem Orgelstimmer in Köln-Mülheim, in der Kalker Kapelle, in Dellbrück und im Krankenhaus Leverkusen.
„Es ist ein sehr stiller Film“, erzählt Jakob Beurle. „Es ist nicht so leicht, innere Zerrissenheit darzustellen und Bilder dafür zu finden.“ Der Film erzählt die Geschichte eines Mannes, dessen Frau im Koma liegt und der sich in einer Art Schwebezustand befindet und versucht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Mitten in unser Gespräch platzt Peter Kreutz von der Firma „aquafilm“ aus Köln herein: ein potenzieller Kunde? Die beiden Filmemacher erklären ihr Projekt, geben Peter Kreutz eine DVD, beide Seiten tauschen Visitenkarten. Genau dafür ist dieser Empfang gedacht.
Auch Maria Titova von der IFS ist heute schon kurz nach ihrer Präsentation von einer Kölner Firma angesprochen worden. Sie hat zusammen mit Zsazsa von Ammon das Projekt über Waisenkinder in Kirgistan entwickelt. Der Rohschnitt steht, jetzt suchen die beiden Frauen Editoren, Redakteure und Produzenten. „Ich bin gerade fertig mit dem Studium“, erzählt Maria, „da ist jede Unterstützung gut.“
In ihrem Film geht es um zwei Kinderheime in Kirgistan. Die beiden Frauen berichten, dass dort noch Erzieher aus sowjetischen Zeiten arbeiten, dass die Kinder nur Russisch lernen und nichts über ihr eigenes Land wissen. Der Berliner Verein „Uplift“ hat begonnen, einheimische, also kirgisische Frauen in den Heimen zu engagieren, die zum Beispiel als „Massagemütter“ arbeiten. Denn: Viele Kinder – vor allem Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen – sind weit hinter dem Entwicklungsstand ihres eigentlichen Alters zurück und erfahren durch den körperlichen Kontakt so etwas wie Nähe und Liebe.
Die Zeit in der NRW-Landesvertretung vergeht schnell. Wir schauen auf die Uhr und müssen los zum nächsten Film: „Aimer, boire et chanter“ von Alain Resnais im Friedrichstadtpalast. Leider eine Niete: Wir langweilen uns mehr als anderthalb Stunden, drei Plätze rechts von uns kämpft eine junge Frau mit dem Schlaf. In dem Film geht es, sehr vereinfacht formuliert, um den todkranken Lebemann George (der nie in Erscheinung tritt) und um dessen Liebesleben – verkörpert von drei Frauen, die alle einen neuen Partner haben und sich trotzdem darüber streiten, wer George am nächsten steht.
Ich bin froh, danach mal einen Abend frei zu haben (Freundin Kathrin muss auf einen Geburtstag). Es gibt Currywurst, kaltes Bier und ein spannendes Fantasy-Buch: Herz, was willst Du mehr.
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