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Gesellschaft

Besuch bei GOTtes-Kindern in der Elsaßstraße

Sonntag, 5. Dezember 2010 | Text: Dirk Gebhardt | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Die Elsaßstraße an einem klirrend kalten Winterabend. Vor dem rot-orange gestrichenen Gebäude stehen laut schwatzend  drei Jugendliche. Seit Jahren wirkt der „Offene Jugendtreff“ wie ein Fremdkörper auf mich, zwischen den Klinkerbauten aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts und der Gedenktafel an die heldenhafte Tat der Bewohner dieses Blockes zu Beginn der Nazi-Machtergreifung. Die Jugendlichen beachten mich nicht, als ich an ihnen vorbei in das Haus gehe. Marcus Heuel, der Leiter des Kinder- und Jugendzentrums „Ganz offene Tür“ (GOT) begrüßt mich freundlich, entschuldigt sich, dass er mich nicht selber begleiten kann und beauftragt seine Mitarbeiterin Brigitte,  mich mit den Kindern in Kontakt zu bringen.

 

Meine Frage habe ich Marcus Heuel bereits am Vortag gestellt: „Wie gehen die Jugendlichen und Kinder mit dem Angebot des Outdoor, Defense und More-Ladens in der direkten Nachbarschaft um?“ Nicht die Meinung der Erwachsenen ist mir wichtig, sondern die Meinung der potentiellen Kundschaft. Weckt das Angebot Bedürfnisse, erleichtert es die Beschaffung, oder ist es nur ein zusätzliches Angebot, das sie nicht besonders juckt?

 

Britta führt mich in einen Gruppenraum im Erdgeschoss. In einer Ecke sitzen fünf Jugendliche in einer Sitzecke. Ein schwarz gekleideter Betreuer, der mit seiner massigen Figur selbst auf mich Eindruck macht, steht mit dem Rücken zu mir und spricht mit ihnen. Als Brigitte sie kurz danach anspricht, um ihnen mein Anliegen zu unterbreiten, springen sie alle auf, und es fällt ihnen ein, dass die Küche noch unbedingt sauber gemacht werden muss. Im Handumdrehen haben sie den Raum verlassen und sind in der Küche verschwunden. Wir gehen in der vagen Hoffnung hinterher, dass sie uns hineinlassen.

 

Die Tür ist nur angelehnt, aber zwei Kinder stehen dahinter, lachen sich schlapp, halten die Tür halbherzig zu. Sie lassen mich rein und Brigitte legt erneut kurz dar, was ich eigentlich will. Die drei Mädchen und zwei Jungen fangen sofort an zu reden. Alle gleichzeitig. Die Aussagen sind verschieden, verwirrend und umso verwirrender, da sie sich innerhalb von einer Minute dreimal ändern. Pro Person. Während sie ihre Meinung kundtun, denken sie gleichzeitig laut über meine Motivation nach.

 

Einer sagt: “Den finde ich super“, die Erwiderung eines Mädchens ist: „Hey das kannst du doch nicht sagen der ist doch bestimmt dagegen“. Sie blickt mich auffordernd an, und als ich nicht reagiere, schließt sie den Satz mit „oder nicht?“. Erstaunt schaue ich mir dieses Wirrwarr an und beschließe erst einmal, nichts zu sagen. Mit coolen Sprüchen versuchen sie erst einmal, mich zu testen.

 

Für den Anfang möchte ich ihre Namen wissen, aber sie finden es wohl interessanter, unbekannt zu bleiben. Immerhin verraten sie mir ihr Alter: 17, 15, 15, 14, und 12 Jahre. Wer denn etwas in dem Laden gekauft hat oder sich hat kaufen lassen, möchte ich wissen. Erst ist es ruhig, dann gibt eines der Mädchen zögerlich zu, einen Totschläger gekauft zu haben. Ihr Stiefvater habe sie aber damit erwischt. Freundlich scheint er nicht mit ihr umgegangen zu sein. Sie hat ihn aber überredet, den Totschläger umzutauschen. Auf den Deal hat er sich wohl eingelassen – nun versteckt sie ihn gut. Jetzt erzählen auch die anderen, bereits etwas erworben zu haben. Ich bitte Brigitte, aus dem Zimmer zugehen, damit ich ungestört mit den Jugendlichen sprechen kann.

 

Mich interessiert, was sie im Detail gekauft haben, wer es für sie gekauft hat und was sie in den Taschen mit sich herumtragen. Ziemlich schnell holt eines der Mädchen ein Klappmesser aus ihrer Tasche. Sie hat es sich vor ein paar Tagen selbst gekauft. Mit seiner schwarzen Klinge dem roten, durchlöcherten Griff sieht es aus wie ein modisches Accessoire. Auf meine Frage, warum sie es sich gekauft habe, erhalte ich die verwunderliche Antwort: „Die Zeiten sind ja sehr gefährlich geworden. Alle tragen so was mit sich rum, dann kann ich mich besser verteidigen!“ Nachgefragt, warum sind die Zeiten so gefährlich geworden seien und wie sie sich genau verteidigen wolle, gibt sie zur Antwort: „Die Jungs auf der Straße, die Banden, die Ausländer. Und wenn man ein Messer in der Hand hat, dann tun die mir schon nichts.“ Meinen Einwand, dass sie gegen mehrere Angreifer auch mit einem Messer nichts anrichten könne, scheint sie nicht verstehen zu wollen.

 

Wir schweifen ab und witzeln rum. Dann erstellen wir im Kopf eine Liste der Dinge, die ihres Wissens von ihnen oder ihren Freunden in den letzten Tagen im Outdoor Defence-Geschäft gekauft worden sind. Wir kommen nach kurzer Zeit auf vier Totschläger, drei Messer und zwei Softair-Pistolen, von denen eine bereits defekt ist. Viele der Dinge hat ein Typ gekauft, der bereits 24 Jahre alt ist. Jedoch bekomme der keine Sachen mehr im Laden, da er bereits zu oft dort gewesen sei. Wir reden noch weitere zehn Minuten über die Gefahr, die von „Bewaffneten“ ausgeht und über die beste Möglichkeit, sich zu verteidigen. Dass Gewalt keine Option ist, scheint in ihrer Lebenswelt nur keine taugliche Idee zu sein. Ich verabschiede mich und verspreche erneut vorbei zukommen, um mit ihnen und anderen Jugendlichen in der GOT zu sprechen.

 

 

Kommentare:

 

hallo liebes team..
.. eure idee mal in die GOT Jugendeinrichtung zu gehen und ein paar Jugendliche zu befragen finde ich toll und beim lesen des Artikels fragte ich mich bereits warum eigentlich im laufe der zahlreichen vergangenen  Diskussionen nicht vielmehr auch die mit einbezogen worden sind um die es hier eigentlich geht.. nämlich die Kinder..

 

 

Text: Dirk Gebhardt

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