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Bildung & Erziehung Gesellschaft

Bildungswoche Teil 2: Von wegen „Durchlässigkeit nach oben“

Montag, 30. August 2010 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Ernesto Solis / designwork.eu

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Es gibt kaum eine Frage im Bereich der Schulbildung, an der sich die Geister mehr scheiden – Wie lange gemeinsam lernen? 4, 6 oder gar 10 Jahre? In Hamburg ist die schwarz-grüne Regierung mit ihrem Vorhaben gescheitert, die Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre zu verlängern. In einem Volksentscheid sprach sich die Mehrheit der Hamburger Bürger dagegen aus, die so genannte „Primarschule“ einzuführen. Dem voraus gegangen war eine oft als „Schulkrieg“ bezeichnete, heftige Diskussion. Beide Seiten begründeten ihre Argumentation mit Studien, die –wie sollte es anders sein- jeweils das gewünschte Ergebnis hervorbrachten.

In NRW erwägt unsere neue rot/grüne Landesregierung ebenfalls, die Zeit des gemeinsamen Lernens zu verlängern – zwar möchte sie diese nicht „verordnen“, wie NRW-Schulministerin Löhrmann betonte, aber „ermöglichen“. Ist das sinnvoll? Ja!
Ich selbst war wie alle anderen Schüler bisher vier Jahre lang auf der Grundschule und bin dann auf das Gymnasium gewechselt. Damals war ich zehn Jahre alt. Mit zur Kaiserin-Augusta-Schule gegangen sind zwei oder drei andere Schüler aus meiner Klasse – die restlichen Freundschaften aus der Grundschulklasse sind mehr oder weniger zerbrochen, zu den wenigsten habe ich heute wenigstens noch sporadischen Kontakt. Wir und die anderen mit Gymnasialempfehlung hatten Glück – nach dreieinhalb Jahren hatte man uns in die obere der drei Schubladen einsortiert. Nach gerade einmal dreieinhalb Jahren! Viele andere „mussten“ in Real- oder gar Hauptschule. Meiner Meinung nach ist das absolut verfrüht – nach einer solch kurzen Zeit ist es noch nicht möglich, abschließend über das spätere Leben eines Menschen zu entscheiden! Denn, wie inzwischen jeder wissen müsste, die Chancen in Real- oder Hauptschule sind leider nach wie vor sehr viel schlechter als im Gymnasium. Wer vielleicht am Anfang seiner Schulzeit, das heißt in der vierjährigen Grundschule, Probleme mit seiner eigenen Lernfähigkeit oder Konzentration hat, der hat im Endeffekt keine Chance mehr, diese später wieder auszubügeln. Denn die insbesondere von der FDP propagierte „Durchlässigkeit nach oben“, sie existiert so gut wie nicht.

In der Grundschule hieß meine Klasse „Spatzenklasse“, wir duzten unsere sehr nette Lehrerin, die Klasse war gemütlich eingerichtet und die Schule verhältnismäßig klein. Im immer noch recht zarten Alter von 10 Jahren wurden wir aus dieser Welt herausgerissen und in sehr viel größere, unpersönlichere Schulen gesteckt. Ich persönlich hatte damit wenige Probleme, meine Kaiserin-Augusta-Schule ist selbst nicht so groß und eher persönlich. Aber – denkt man an die Europaschule oder die Gesamtschule Rodenkirchen: Abschreckende, riesige Betonklötze, viele ältere Schüler. Und auch hier sind die Real- und Hauptschüler im Nachteil: Wer als Fünftklässler in einer solchen weiterführenden Schule ankommt, erlebt oftmals ein noch sehr viel anderes Klima: Ohne alle Real- und Hauptschulen gleichermaßen als schlecht hinstellen zu wollen, kann man dennoch von einer sehr viel raueren Atmosphäre dort sprechen. Und was macht man als Zehnjähriger dann? Zunächst ist man wahrscheinlich verunsichert, doch schon nach kurzer Zeit passt man sich an. Und dann ist es oftmals zu spät, nicht nur für die „Durchlässigkeit nach oben“.

Um das zu verhindern, hat man sich jetzt also die „Gemeinschaftsschule“ ausgedacht, oftmals aus dem bürgerlichen Lager auch als „Einheitsschule“ abgetan. Und neben den erwähnten Gründen ist diese mehr als notwendig: Gerade in ländlichen Regionen schmelzen die Schülerzahlen nur so dahin; dass eine Gemeinde alle drei Schulformen gleichzeitig betreiben kann, ist in vielen Fällen kaum noch möglich. Wird jetzt also in Gemeinde A die Hauptschule wegen zu geringer Anmeldezahlen dicht gemacht, müssen die verbleibenden Hauptschüler in Gemeinde B, Kilometerweit entfernt fahren. Wohnortnahe Schulversorgung sieht eindeutig anders aus.

Es kann also eigentlich langfristig nur im Interesse aller sein, die Gemeinschaftsschule einzuführen. Denn – so wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Sorge, die Qualität der Ausbildung könnte exorbitant nachlassen, ist meiner Auffassung nach unbegründet: Warum nicht innerhalb der neuen Gemeinschaftsschule weiterhin Kurse auf unterschiedlichen Levels anbieten? Ich selber bin zum Beispiel in Mathe alles andere als begabt, in Sozialwissenschaften dafür relativ gut. Wäre doch nicht schlecht, wenn ich in Mathe den Kurs im B-Level besuchen kann, in Sozialwissenschaften aber den im A-Level, oder?

Außerdem werden nicht, wie von Gegnern dieser neuen Schulform immer wieder behauptet, alle Schulen geschlossen. Wo sollen denn die neuen Schulen untergebracht werden, wenn nicht in schon bestehenden Schulen?
Also: Eine so frühe Aussortierung nach dreieinhalb Jahren ist unfair und kann gar nicht funktionieren, der Übergang von Grund- zu weiterführender Schule ist für viele Schüler sehr schwierig und schließlich lässt der demographische Wandel im Endeffekt keine andere Wahl – die Gemeinschaftsschule ist für eine Lösung dieser Probleme sicherlich keine schlechte Wahl!


Wassily Nemitz ist 17, Schüler und Chefredakteur der Kölner Südstadt Zeitung.

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