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Kolumne

Bitte einmal ganz schön laut!

Samstag, 9. Juli 2011 | Text: Kathrin Rindfleisch

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Bahnhof Duisburg. Feierabendverkehr. Menschen mit langen Gesichtern und hängenden Schultern blicken aus müden Augen ins Nichts. Alle wollen nach einem anstrengenden Arbeitstag nur noch eines: ihre Ruhe.  

 

Bahnhof Duisburg. Feierabendverkehr. Menschen mit langen Gesichtern und hängenden Schultern blicken aus müden Augen ins Nichts. Alle wollen nach einem anstrengenden Arbeitstag nur noch eines: ihre Ruhe.  

 

Vier Kinder, acht PET-Flaschen, eine große Mülltonne. Den Lärm, den die Vier verursachen – pardon, die Musik! – ist so ohrenbetäubend, dass ich unweigerlich anfange zu tanzen (für ´ne Unterhaltung ist es eh zu laut). Die Kids klopfen und johlen, trommeln und singen und geräuschkulissenmäßig gleicht der vormals verschlafene Bahnhof der Tageswerkentrichter einer Hippiekommune auf LSD. Ich finde das ganz wunderbar und lass mich mitreißen von der Freude der Kinder, dem ausgelassenen Spiel und der herrlich naiven Ignoranz, mit der sie sich keinen Deut um ihre missmutigen Mitreisenden kümmern.
Zu Gute halten muss man den Duisburg-Pendlern, dass sie ihre Gesichter nicht noch länger gezogen haben –  gut, noch länger wäre auch gar nicht möglich – doch so gibt es statt einer Diskussion mit Fremden über unsere viel zu laute Brut ein internes Gespräch darüber, wie wir (ein Vater, drei Mütter) Kinderlärm empfanden, als wir selber noch keine hatten. Pauls Mutter Alex ist sich ganz sicher: „Genervt hat’s mich! Oft genug!“, und ihr Verständnis für die armen Stressgeplagten wirkt ein wenig nach Hohn, in Anbetracht des krakelenden Paul, den sie mit keinem Wort der Ermahnung zur Ruhe zu bringen gedenkt.
Aus meinem Mund kommt hingegen gleich ein vehementes „Nein! Mich nie!“ geschossen, und dass ich im Gegenteil viel zu oft lärmende, ausgelassene Kinder in Verbindung mit entspannten Eltern vermisst hätte. Endlich mal Action, und wer da was dagegen hätte, sei meiner Ansicht nach sowieso schon längst scheintot. Sprach es und schüttelte innerlich den Kopf über das temperamentfeindliche Klima in unserer Gesellschaft.

 

Zwei Tage später. Ich muss unbedingt dieses Portrait fertig kriegen, schiebe ich es doch schon allzu lange vor mich hin. Direkt neben meinem Haus: eine Baustelle. Bei diesem Lärm kann ich einfach nicht arbeiten. Im Büro: Telefongespräche der anderen. Da kann ich mich wirklich nicht auf meinen Text konzentrieren. Im Café am Römerpark: wunderbar! Nur ich und mein Laptop, ’ne Tasse Kaffee und ein Rhabarberkuchen. Mit Sahne. Ich esse und schaue, schreibe und trinke. Lausche den leisen Caféhausgesprächen und tippe tief inspiriert in die Tasten. Gleich hab ich es geschafft, der lange unvollendete Text findet ein Ende. Tatsächlich. Hier im Römerpark Café, zwischen Kaffeemühle und Milchaufschäumer.
Wie eine Horde fallen sie ein. Fünf Kinder und vier Mütter. Laut, maßlos und raumeinnehmend. Einmal Apfelschorle für alle! Mit Strohhalm versteht sich. Zum Schlürfen. Furchtbar ignorante Kinder mit noch viel schlimmer vollentspannten Müttern. Diese Kombination! Nicht auszuhalten für hart arbeitenden Menschen, befasst mit höchst komplexen Denkaufgaben. Nicht, dass das eine dieser Mütter interessieren würde, i wo. Quatschen und tratschen und trinken Milchkaffee mit Sojamilch, während die Brut beginnt zu trommeln. Das muss man sich mal vorstellen! Ein Krach ist das! Mitten im Café!
Und plötzlich muss ich lachen. Über die temperamentfeindliche Gesellschaft, deren Vorsitzende ich höchst selbst wohl bin. Und schieb mein Laptop zur Seite um die kleinen Freundchen zu beobachten, die sich nacheinander alle ein Töpfchen Honig bestellen, dass die Mütter wieder einsammeln, weil eines für alle reicht. Weil die Mütter Acht geben auf ihre Kinder und sie Kind sein lassen. Und bevor sie einfach zu laut werden, mit ihnen wieder raus gehen, schließlich gibt’s jetzt gleich auch Abendessen.
Dann wird’s wieder ruhig und ich schreibe innerhalb von zehn Minuten meinen Text zu Ende, angeregt von so viel Temperament hat er am Schluss nochmal so richtig Fahrt aufgenommen. Danke Kids!

Text: Kathrin Rindfleisch

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