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Kultur

Böse Schafe – heute im Theater der Keller

Dienstag, 21. September 2010 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Die Schaukel quietscht leise in den Angeln. Sacht schwingt sie vor und zurück. Beinahe unbemerkt. Vor und wieder zurück. Die Bühne ist spärlich beleuchtet. Soja sitzt mit dem Rücken zum Publikum auf der Schaukel. Kaum zu erkennen. Eine Kloschüssel. Hinten an der schwarzen Wand. Vorne ein Aquarium, halb voll Wasser.

„Böse Schafe“ nach dem gleichnamigen Roman von Katja Lange-Müller beginnt leise, unaufdringlich, schemenhaft. Es ist die Geschichte von Soja, einer jungen Frau, Republikflüchtling, die im Berlin des Vormauerfalls ihre große Liebe kennen lernt. Harry. Eine Liebe, die alles von ihr fordert, eine Liebe, die die Grenzen des Erträglichen immer wieder überschreitet. Eine Liebe, die geprägt ist von Raub und Lügen, von Heroin und dem Virus, der allen Angst macht: HIV.

Soja bewegt sich oft nur entlang der kahlen Wände. Als ob sie Angst vor dem freien Raum hat. Sie trägt eine erdrückende Last mit sich herum. 89 Sätze. Das ist das einzige, was Harry ihr nach seinem Tod hinterlassen hat. Sie liest seine Aufzeichnungen, seine Gedanken und Perspektiven. Doch mit Entsetzen stellt sie immer wieder fest, dass sie, die sich für ihn aufgeopfert hat, mit keiner Silbe erwähnt wird. Als ob es sie in seinem Leben nie gegeben hätte.

Soja geht durch Abgründe der Erinnerung. Sie erinnert sich an die erste Begegnung, an die folgende Nacht, an all die Offenbarungen, mit denen Harry sie konfrontiert hat. Sie verliebt sich erneut in ihn, sie hasst ihn, sie verzweifelt an der Einsamkeit. Und sie fragt sich, weshalb er nicht über sie schrieb. Wieso er gegangen ist. Warum er ihr nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hat.

Das Stück ist wie eine Abrechnung mit der Geschichte. Durch die Flucht in den Westen eröffnete sich für viele Menschen die Hoffnung auf ein neues Leben. Mit all den glückseligen Momenten, die dazu gehören. Aber auch mit den Herausforderungen, die der Umbruch mit sich brachte. Soja ließ sich darauf ein. So wie sie sich auf Harry einließ. Sie kümmerte sich um ihn, organisierte Freunde, die darauf achteten, dass er nicht in die Drogen zurück fiel. Doch ihre Mühe zahlte sich nicht aus. Er nahm wieder Drogen, er schlief mit ihr – ungeschützt, obwohl er wusste, dass er HIV-positiv war.

Soja steht allein auf der Bühne. Die ganze Zeit. Sie lächelt nicht. Sie trägt und erträgt stoisch das Leiden. Ihre einzigen Begleiter sind die Kloschüssel, die sie mitnimmt, wohin sie auch geht, in die sie ihre Last versenken kann, und ein Fisch, der verdächtige Ähnlichkeit mit Nemo hat. Nemo, der Fisch, der die große Freiheit und das Risiko mit der Gefangennahme bezahlt. Der Fisch, der durch die Liebe gerettet wird. Doch mit dem Fisch geht Soja keinesfalls liebevoll um. Er wird achtlos in das Aquarium gekippt. So wie sie in das Leben gekippt wurde. Beiden ziehen sie ihre Kreise, er im gläsernen Becken, sie auf der trostlosen Bühne. Schließlich misshandelt sie ihn in einem Anfall von Wut, sie schlägt wieder und wieder auf das Wasser ein. Doch das scheint dem Fisch nichts auszumachen.

Die Stimmung auf der Bühne ist bedrückend. Manchmal dringt ein Anflug von Ironie bis zum Publikum durch. Johanna Marx spielt dieses Stück allein, beinahe ohne Requisiten. Sie zieht die Zuschauer mit sich in die Frustration, in der die Figur Soja gefangen ist. Man kann den Blick nicht von ihr abwenden. Und man fragt sich unweigerlich, ob es diesen Harry überhaupt gab, ob er nicht nur der Phantasie Soja entspringt. Ob er nicht lediglich ein Stellvertreter für all die Hoffnung ist, die Menschen in ihre Umwelt setzen, in politische Umwälzungen und die große, alles umfassende Liebe. Ein Stellvertreter auch für die Erkenntnis, nach Strich und Faden betrogen worden zu sein. Betrogen von der Liebe, die einen Neuanfang gelobte; und von sich selbst, die sie sich bedingungslos auf das Neue einließ, ohne vorher Fragen zu stellen.

Johanna Marx spielt die Soja eindrucksvoll. Sie nimmt den Zuschauer in die Befindlichkeiten der Figur mit. Sie packt sie an Schopf und zerrt sie in das bedrückende Leben Sojas hinein. Atemlos folgt man ihrem Bericht. Der wirft jedoch auch Fragen auf. Denn man nimmt ihr die große Liebe, die als Grundlage der Handlung her hält, nicht so recht ab. Sie wird behauptet und ist nicht in ihrer Gänze nachvollziehbar.

Im sich anschließenden Gespräch wird Johanna Marx, die den Roman selber zur Theaterfassung umschrieb, sagen, es habe sie interessiert, wer die Frau ist, die so einen Roman schreiben kann. Und die Autorin der Romanvorlage, Katja Lange-Müller, wird äußern, man sei ja nun mal mit einem Menschen nicht fertig, nur weil er tot ist. So entstand ihr Roman als ein einseitiger Dialog, ein Gespräch mit einem Menschen, der nicht mehr lebt.

Das Ergebnis ist ein atemberaubendes Stück unter der Regie von Nils Daniel Finkh. Und ein faszinierender Abend, der mit langem Applaus belohnt wurde.

Weitere Aufführungen:
23./28.-30. September
03./09.-10./22.-24. Oktober

Website des Theaters der Keller

Text: Stephan Martin Meyer

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