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Kultur

Böses Ende

Montag, 30. März 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: ©MEYER ORIGINALS

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

PEGIDA und KÖGIDA, die AfD und all die anderen Parolen-Schreier kennen wir aus den Nachrichten. Sie tragen Plakate mit Slogans wie „Heimatschutz statt Islamisierung“. Wir regen uns darüber auf und gehen vielleicht zur Gegen-Demo, wenn wir nicht doch lieber zu Hause bleiben. Denn es regnet gerade so heftig, und es ist ja sowieso klar: mit diesen Deutschtümlern haben wir nichts, aber auch gar nichts zu tun. Oder etwa doch? Dieser Frage geht die Inszenierung von Philipp Löhles: „Wir sind keine Barbaren!“ im Theater der Keller nach.

Auf ihrem Ledersofa, dem einzigen Einrichtungsstück, lernen wir Barbara (Susanne Seuffert) und Mario (Arno Kempf) kennen. Sie eine gutmenschelnde Köchin, zeitgeistgemäß vegan, er ein gutmütiger Pantoffelheld, beide nett, aufgeschlossen und tolerant. In ihrem Liebesleben ist tote Hose, und so mokieren sie sich über eindeutige Geräusche aus der Nachbarschaft: „Würdest du einziehen und gleich losrammeln, am ersten Abend? Und wissen die eigentlich, dass ihr Vormieter sich erschossen hat?“

Die, das sind Linda (Julia Doege), die durchtrainierte Fitnesstrainerin, ebenso cool und hip wie Paul (Matthias Lühn), auch ein alberne Witze reißender Pantoffelheld, der sich einen Schutzraum baut. Wegen dem da, den die Nachbarn aufgenommen haben, diesem Bobo oder Klint oder wie er heißt. So richtig versteht man diesen dunkelhäutigen Flüchtling nicht, schließlich spricht er kein Deutsch. Von Bobo bis Bimbo ist kein weiter Schritt und so macht es Sinn, dass Bobo unsichtbar bleibt. Über ihn wird geredet und spekuliert, als wäre er ein Ding, er selbst hat kein Gesicht und keine Stimme.

Aber zunächst einmal stellen die Paare sich einander vor und obwohl man sich nicht wirklich was zu sagen hat und die Abneigung spürbar ist, wird höflich Small Talk betrieben. Mit einem Gläschen Prosecco in der Hand. Ist das verlogen? Eigentlich doch schon, aber es ist eben auch Zivilisation, denn wenn wir immer offen aussprächen, was wir denken, was dann? Dann müsste Barbara Mario sagen, dass ihr der Riesenfernseher, den er ihr zum Geburtstag schenkt, überhaupt nicht gefällt. Sie hatte sich ein Klapprad gewünscht. Natürlich sagt sie es ihm nicht. Und natürlich tut sie so, als ob… So weit, so gut. So schrecklich normal. Normal und durchschnittlich wie die beiden Paare.

Vielleicht ist diese Durchschnittlichkeit das besonders Verstörende an dem Stück. Löhle präsentiert uns keine strammen Nationalisten. Es sind eher die, die ihre Aufgeklärtheit vor sich her tragen und political correctness verkörpern. Die Mittelschicht-„Wir“s. Mit ihren Wir-Regeln. Wir-Ansichten. Was so alles auf den Müll geschmissen wird: schlimm! Waffenlieferungen? Schlimmer geht es nicht! Und den verborgen im Untergrund schwärenden Wir-Stammtischparolen. Gesprochen vom „Heimatchor“, drei schrägen Vögeln (Christoph Bertram, Raphaela Kiezka, Patrick Stauffenberg) in Glitzer-Fummeln, die das Geschehen kommentieren. „Wir rufen nach 22.00 Uhr nicht mehr an. Wir essen Bio. Wir kaufen fair.“ Das wird mit einer aggressiven Wucht vorgetragen, die sich im Verlaufe des Abends immer weiter steigert, bedrohlicher wird und unser aller Zivilisationshaut Stück für Stück abträgt. Was darunter zum Vorschein kommt, lässt erschauern.

 

Foto: ©Meyer Originals

Als Bobo an die Tür klopft, findet er Einlass. Weil Barbara eine Metapher für alle Unterdrückten dieser Welt in ihm sieht. Linda und Paul, bei denen er vergebens geklopft hatte, sehen das freilich anders: „Man darf sich nicht ausnutzen lassen. Gut gemeint ist die kleine Schwester von Scheiße.“ Bobo bleibt. Und damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn Barbara erliegt seiner erotischen Faszination, frischt ihr Liebesleben auf und auch Linda, die sich mit Barbara den einen oder anderen Zickenkrieg liefert, interessiert sich für die Größe seines „Mister Mike“.

Doch plötzlich sind Barbara und Bobo wie vom Erdboden verschluckt. Barbaras Leiche wird schließlich entdeckt, im Park verscharrt, mit dem Riesenfernseher erschlagen. Das kann nur er gewesen sein, dieser Bobo. Kommt doch niemand anderes in Frage, und Paul hatte nicht umsonst seinen Schutzraum gebaut und es von Anfang an gewusst, dass sie auf einem Pulverfass sitzen.  

Mit Anna (Susanne Seuffert), der Figur der Schwester der Verstorbenen, fliegt das Pulverfass erst so richtig in die Luft. Sie hegt Zweifel an der Täterschaft Bobos, bohrt nach und da zeigt der gutmütige Mario auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Hätte nicht auch er, der gehörnte Gatte, der Mörder sein und Barbara bestialisch erschlagen haben können? Ausgerechnet mit dem Riesenfernseher, den sie nicht mochte?

Wir werden es nie erfahren. Denn Bobo wird verurteilt und abgeschoben werden. In den sicheren Tod. Was soll’s, es gibt Wichtigeres. „Wir, das vollkommene Volk brauchen Strom, aber keinen Flüchtlingsstrom.“ So sind wir. Wir Deutschen. Das Stück endet, wie es begonnen hat. Mit der Nationalhymne. Gesungen vom blonden Barden Heino. Deutscher geht es nun wirklich nicht.

„Wir sind keine Barbaren“ besticht durch pointierte Dialoge, in der ersten Hälfte überaus witzig. Das Stück entwickelt sich hin zu einem tief schwarzen, alptraumhaften Szenario, das unsere Abgründe offen legt und Beklemmung auslöst. Die Darsteller sind durch die Bank hervorragend aufgelegt und auch, wenn der Zuschauer erst einmal schlucken muss: der Applaus ist mehr als verdient.

 

 

Die nächsten Termine: 01.04., 18.04., 30.04., 01., 10.05.2015
Theater Der Keller

Kleingedankstraße 6, 50677 Köln

 

Text: Alida Pisu

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