Bürgerbeteiligung: Ein großes Wort – ein dehnbarer Begriff
Montag, 2. März 2015 | Text: Stefan Rahmann | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Verwaltung könnte so schön sein, wenn nur der Bürger nicht wäre. Jetzt ist er aber da, und damit fangen die Schwierigkeiten an. So oder so ähnlich lautete jahrzehntelang das Glaubensbekenntnis unserer Stadtverwaltung. Dieses Credo war damals schon von gestern, soll seit kurzem aber morgen nicht mehr gelten. Die Staatsdiener möchten den Bürger nicht länger als Gegner, sondern als Partner sehen. Das Stichwort heißt Bürgerbeteiligung. Ist es Einsicht, ist es Angst, ist es Weitsicht oder Mut gespeist aus viel Verzweiflung? Wir ahnen die Antwort: Von allem etwas. Aber gut. Ab jetzt soll es von oben nach uns unten nicht mehr länger heißen: So sollen sie leben. Nein! Wir werden gefragt: Wie wollen wir leben?
Zum Beispiel in Mülheim-Süd, auf dem ehemaligen Güterbahnhof Ehrenfeld und auf dem benachbarten Helios-Gelände, bald am Deutzer Hafen und erst recht im Sanierungsgebiet zwischen Südstadion und Südbrücke auf dem heutigen Großmarktgelände und drumherum. Das mit der Bürgermitsprache hört sich gut an. Ist wohl auch gut gemeint. Und damit zu oft das Gegenteil von gut gemacht. Es gibt nämlich in Köln keine Standards für die Beteiligungsverfahren, auf die sich die Bürger verlassen und berufen können.
In Mülheim-Süd und auf dem Güterbahnhofsgelände wurde die Bürgerbeteiligung im „Schweinsgalopp“ durchgezogen. Auftaktveranstaltung mit Bürgern, Zwischenpräsentation der Planer, kurze Diskussion mit Bürgern, Abschlusspräsentation, Ende des öffentlichen Verfahrens. Wie früher: Bürgerbeteiligung beschränkte sich auf „diszipliniertes Zuhören“. Das war unbefriedigend für alle, die sich wirklich einbringen wollten. Nehmen wir zu Gunsten der Verwaltung an, dass man in beiden Fällen noch geübt hat.
Ganz anders liegt der Fall beim Helios-Gelände. Dort stellte sich der Verwaltung und dem Investor Paul Bauwens-Adenauer eine kompetente und breit aufgestellte Bürgerinitiative entgegen, die sich das Tempo der „Gegenseite“ nicht aufzwingen ließ. Das vom Investor gewünschte Einkaufszentrum wurde verhindert. Auch weil Bauwens-Adenauer einlenkte. Nun sollen auf dem Helios-Gelände eine Schule und Wohnraum entstehen. Vordergründig ein großer Erfolg der Bürgerinitiative, der aber zu Lasten der kleinen Handwerksbetriebe vor Ort ging. Die werden weichen müssen. Nicht zuletzt, weil den Bürgern nach der Verhinderung der Shopping-Mall ein schlüssiges Konzept für die Entwicklung des Helios-Geländes fehlte. Da kam Dezernentin Dr. Agnes Klein wie „Kai aus der Kiste“ mit dem Schulneubau gerade recht. Aufatmen auf allen Seiten, diskutiert wurde über die Schule eigentlich nicht mehr. Nicht zuletzt, weil ein derart intensives Engagement, wie es in Ehrenfeld geleistet wurde, neben Job und Familie ehrenamtlich auf Dauer nicht zu leisten ist.
Parallelen zwischen Helios und dem Sanierungsgebiet Großmarkt drängen sich auf. Dort haben die Bürger, die sich im Bürgernetzwerk Südliche Innenstadterweiterung (Büsie) zusammengeschlossen haben, das vom Land geplante Justizzentrum verhindert. Jetzt warten sie auf das Bürgerbeteiligungsverfahren. Soll ja ein großer Wurf werden angesichts der „Jahrhundertaufgabe“. So nennen Oberbürgermeister Jürgen Roters und Baudezernent Franz-Josef Höing die Verlängerung des Inneren Grüngürtels und den Bau von Wohn- und Büroraum auf 115 Hektar Fläche. Die Bürger müssen hellwach sein. Denn von einem zweijährigen Beteiligungsverfahren, das der Stadtentwicklungsausschuss im vergangenen Jahr beschlossen hat, ist im Moment keine Rede mehr. Schon Anfang 2016 sollen fünf Planungsbüros Ergebnisse präsentieren. Dabei hat das Verfahren noch nicht mal angefangen. Aber anders als in Ehrenfeld ist Büsie vorbereitet. In einem Positionspapier hat man klare Forderungen an Planer, Politik und Verwaltung für die Gestaltung des neuen Viertels formuliert. Die Bürger warten nicht auf Vorschläge, um dann nur noch sagen zu können „Finden wir jetzt aber blöd“. Ob sich die anderen Akteure auf diesen Dialog einlassen können, der so konstruktiv wie intensiv geführt werden muss? Auch wenn es angesichts der „Jahrhundertaufgabe“ ein, zwei Jahre länger dauert?
Völlig übergangen fühlen sich die Anwohner am Eifelwall. Das neue Stadtarchiv wurde dort im Prinzip ohne Mitwirkung der Bürger geplant und wird, wie es aussieht, in Kürze vom Rat durchgewunken. Dieser Neubau scheint Politik und Verwaltung zu dringlich zu sein, um gemeinsam mit den Bürgern einen besseren Standort für das Archiv zu suchen. Der muss schnell her, weil die Unterbringung der Archivalien in anderen Städten richtig ins Geld geht. Dabei haben die Anwohner viele Argumente auf ihrer Seite, das neue Stadtarchiv an der Carl-Nipperdey-Straße zu bauen. Sie werden nicht gehört.
Unser Baudezernent glaubt zu wissen, worauf er sich in Sachen Bürgerbeteiligung einlässt: „Das alles wird uns Nerven kosten.“ Die Bürger auch. Zumindest am Eifelwall hat Höing seine geschont.
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