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Kultur

Clickworking im Salon – Berit Glanz zu Gast in der Südstadt

Dienstag, 7. Februar 2023 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Elke Tonscheidt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Freitagabend in der Küche eines Privathauses in der Südstadt. „Ehrlich gesagt“, lacht Claudia Bousset, die hier wohnt und zum Salon mit Berit Glanz eingeladen hat, „habe ich ein bisschen den Überblick verloren, wer noch alles kommt.“

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In den letzten Jahren hat sich der Chlodwigplatz stetig verändert: Kleine Lädchen sind großen Ketten gewichen und urige Bäckereien konkurrie…

Sie richtet isländische Dips auf der Küchentheke an – für später. Aber wenn es voller werde, rücke man eben zusammen – auch das sei ja Salonkultur. Es wird eine fröhliche, 26-köpfige Gruppe, die entspannt bei ihr Platz nimmt und gespannt auf die Lesung der Autorin wartet.

Wenig Wissen über den Beruf Clickworker

Berit Glanz ist angekündigt, tags zuvor war sie noch in Bremen, heute also Köln. Sie wird ihren Roman „Automaton“ vorstellen und dabei sehr kenntnisreich das Thema Clickworking vermitteln. Rasch tauchen wir ein in die Welt derer, die weltweit schlecht bezahlt und oft sehr einsam im Akkord das Internet bereinigen. „Damit wir das alles nicht sehen müssen, was diese Arbeiter*innen wegklicken für uns“, sagt Claudia Bousset und auch den wichtigen Satz: „Dafür sollten wir dankbar sein, wir wissen aber viel zu wenig über solche Berufsfelder.“

Der Grund dafür, warum Berit Glanz sich dieses Themas angenommen und warum Claudia Bousset sie in die Kölner Südstadt eingeladen hat. Die in Island lebende deutsche Essayistin und Literaturwissenschaftlerin Glanz hat die komplexe Welt des Clickworkings intensiv recherchiert und daraus einen fesselnden Gegenwartsroman geschrieben. Über eine Technik, die zugleich für Überwachung, aber auch für Vernetzung steht. Über Menschen, die in diesen digitalisierten Arbeitswelten oft mühsam für Hungerlöhne arbeiten, völlig isoliert.

Virtuelle Verbindung

Erzählerisch schafft sie das deshalb so spannend, weil sie auch Aspekte von Krimi und Charakterstudie einwebt. Und so wundere ich mich auch nicht zu hören, dass Hitchcocks Thriller Das Fenster zum Hof sie inspiriert habe, wie sie erzählt, während sie „Automaton“ vorstellt. Und dass es darin auch „ganz viel um Solidarität geht“, mit der Frage: Wie gelingt es, aus belastenden Situationen auszubrechen, wie kann man sich auch virtuell verbünden?

Nach der Lesung spreche ich mit der Geschäftsführerin des Salonfestivals, Claudia Bousset. Sie lebt seit 1989 in der Kölner Südstadt und erarbeitet derzeit ein neues Format: die Salonreisen, die noch in diesem Jahr starten.

Wie hast Du Berit Glanz kennengelernt?
In Berlin über dieses Buch und meine Idee, die europäische Salonkultur voranzutreiben. Hier möchte ich Island gern als ein Land von insgesamt zehn mit ins Boot holen. Dabei fokussieren wir nicht das klassische „Old Europe“, gehen stattdessen in neue Richtungen. Für diese Idee suche ich Ansprechpartner*innen vor Ort, um gemeinsam Netzwerke aufzubauen – zum Beispiel eben Island. Das Projekt „Salonkultur Europa“ soll ab 2024 laufen – Tschechien ist schon im Boot, Anfragen in Serbien und Kroatien laufen.

Berit Glanz, nach ihrer Lesung in der Küche von Claudia Bousset, rechts neben der Autorin. Umringt von weiteren Frauen aus der Salonfestival-Community.
(v.L.) Christine Preuss, Claudine Engeser, Hilli Hassemer, Berit Glanz, Claudia Bousset, Clara von Hartz-Möllmann, Tatjana Kimmel. (Foto: Elke Tonscheidt)

Die bundesweite Initiative des Salonfestivals gibt es, koordiniert durch Dich und Dein Kölner Team, seit 2014. Über 1.200 Salons habt Ihr seitdem bereits organisiert – warum ist Dir diese Form der Begegnung so wichtig?
Bei uns darf jeder Gastgeber sein, wann er will, wo er will. Dieses „kleine Zusammensein“, dieses miteinander ins Gespräch kommen, hat eine ganz hohe Qualität. Das wird uns immer wieder von allen Seiten bestätigt. Wir nehmen hier unglaublich viel mehr mit, als hätten wir Berit in einem Saal mit 400 Personen gehört. Hier können wir direkt nachfragen, sind in einem geschützten Raum, können in den Austausch gehen: Das ist Salonkultur. Das kann jeder leben, bei sich zu Hause, bei oder mit Freunden – Salonkultur bedeutet Konzentration und Miteinander.

Es geht um das Thema Bürgergesellschaft, in der jede*r idealerweise mitwirken sollte. Ist mein Eindruck richtig, dass wir Deutschen da, bedingt durch die Coronazeit, fauler geworden sind? Und dass das Thema deshalb noch wichtiger wird?
Ja, Corona hat uns gezeigt, dass wir gerade jetzt initiativ sein, uns vernetzen müssen. Wir müssen uns klarmachen: Wir KÖNNEN mitwirken und jede Handlung zählt.

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Die Aktionsgemeinschaft, kurz ABC, entstand bereits im Jahr 2009 als Folge des Archiveinsturzes und den damit entstandenen Problemen für die…

In Zeiten von Corona gab es Euch dann „nur“ digital?
Genau, wir haben sehr schnell digitalisiert: 10 Tage nach dem 1. Lockdown waren wir digital. Das war für viele ein echtes Geschenk, trotz allem miteinander sein zu können. Seitdem bin ich ein großer Freund davon geworden.

Weil doch sehr viel mehr teilnehmen können – ein klassischer Salon ist auf bis zu 40 Personen begrenzt – und vor allem von allen möglichen Orten?
Wie du sagst, unglaublich viele Zuschaltungen aus ganz Deutschland sind da möglich, aber wir versuchen dennoch auch hier den Rahmen von bis zu 40 Personen einzuhalten, damit es den Saloncharakter behält. Nur bei Robert Habeck haben wir eine Ausnahme gemacht.

Habeck wollten wie viele hören?
Um die 300. Kein Salon in dem Sinne, aber auch das war eine gute Erfahrung, denn wir hatten hier eine Kooperation mit einem Jugendnetzwerk, was neu für uns war und auch Robert Habeck richtig gut fand.

Eine schöne Ausnahme also, was habt Ihr für Köln vor?
Neben den Salons, vor Ort und weiter digital, machen wir viele Schreibseminare, aber ich wiederhole es bewusst: Jeder, der in Köln – oder anderen Städten – einen Salon machen will, kann das zusammen mit uns tun, wann immer er will. Meldet Euch bei uns!

Und dann?
… gehen wir ins Gespräch, schauen gemeinsam, wo gibt es Vorlieben, welche Interessenfelder sind vorhanden. Wir machen Vorschläge, nehmen Ideen auf, ein echtes Miteinander schon im Vorfeld. Jeder soll sich ja wohlfühlen mit dem jeweiligen Gast. Man pirscht sich an ein Thema ran, wird irgendwann fündig und dann wird es eines Tages gemacht.

Die Autorin Berit Glanz (Foto: María Rúnarsdóttir)

Ihr macht derzeit die bundesweite Initiative „Das Salonfestival liest ein Buch“. Gelesen wird John von Düffel´s Buch „Das Wenige und das Wesentliche“. Warum dieses Buch?
Es bringt genau die Themen mit, die ich mir für einen Salon wünsche. Wie lebe ich in der Zukunft? Wie und was kann ich beitragen? Wie kann Wandel funktionieren? Das perfekte Buch für den Salon, weil es genau den Gesprächsstoff für uns liefert.

Zum Schluss der Blick aufs Reisen, denn es soll demnächst auch Salonreisen geben …
Richtig, wir planen jetzt mit Künstler*innen und Autor*innen gemeinsame Literaturreisen, z.B. nach London/Oxford. Und wir fahren an den Chiemsee und möchten nach Südfrankreich. Noch ist dieses Angebot nicht auf der Website, aber bald!

Mehr Infos über Automaton von Berit Glanz
Ein empfehlenswerter Dokumentarfilm über die Arbeit von Clickworkern:
https://www.bpb.de/mediathek/video/273199/the-cleaners/

Text: Elke Tonscheidt

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