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Kultur

Da ist Drive drin

Dienstag, 11. Oktober 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: ©Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Was ist das?: „Wie küsse ich ein Mädchen – oh nein, ich habe Pickel – welche Rolle kriege ich im neuen Stück der Theater-AG – steh ich auf Jungs oder Mädchen – ich hasse meine Eltern, nein doch nicht – “ Genau, es ist die Pubertät, in der die Gefühle nur so durcheinander sprießen. Grün sprießt auch das Gras auf dem Bühnenboden und der großen Videoleinwand. Spielwiesen für eine Klasse pubertierender Jugendlicher, die in den Sommerferien ihre kleinen und großen Dramen erleben. Die junge, mehr als vielversprechende Regisseurin Charlotte Sprenger inszenierte „Das Tierreich“ im „Theater Der Keller“ in einem schwindelig machenden Tempo, mit frechem Witz und einer Prise Tiefgang.

Es ist was los im kleinen Kaff Bad Mersdorf. 21 Schülerinnen und Schüler schlagen sich die Sommerferien und ihre Befindlichkeiten um die Ohren. Man braucht schon eine Weile, um die einzelnen Charaktere und ihre Geschichten „wiederzuerkennen“, reihen sich die Episoden doch Schlag auf Schlag aneinander. Und werden auch die 21 Figuren von den nur acht Absolventen der Abschlussklasse aus der „Schauspielschule Der Keller“ verkörpert. Das machen sie großartig in ihrem hell-bunten Sommer-Outfit und bald schon genießt man es geradezu, etwa den Zwillingen Elisabeth und Franziska Fürle bei dem Spiel mit dem „Who is who?“ und ihrem intriganten Treiben zuzusehen. Sind sie es doch, die einer Mitschülerin deren geliebten Chinchilla klauen, der als Phantom durch das Stück geistert, um endlich geheimnisumwittert in einem Wald wieder aufzutauchen.

 

Einer der vielen roten Fäden, die sich durch das Stück ziehen. Wie auch die immer wieder gestellte: „Fändest du es schön, wenn meine Hand hier liegen würde?“ – Frage. Sie fände es natürlich wunderschön, wartet sogar sehnlichst darauf, dass seine Hand sich ihrer endlich nähert, allein da fehlt dem jungen Mann denn doch der Mumm. Oder die Schul-Umbenennungs-AG, die endlos darüber debattiert, ob man den Namen „Hindenburg-Gymnasium“ ändern soll und wenn ja, welcher dann in Frage käme. Warum nicht Albrecht Dürer oder Christoph Probst, ein Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose.

Widerstand, ach, der ist kaum spürbar bei dieser Generation von Kids. Zwar überlegt die Chefredakteurin der Schülerzeitung, einen Essay über Palästina zu schreiben: „Wir küssen uns und woanders ist Krieg“, zwar entfacht ein vom Himmel auf die Schule gefallener Leopard 2 – Panzer eine Diskussion  über Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien. Aber interessanter sind dann doch allemal sie selbst mit ihren Eifersüchteleien, Konkurrenzen, Liebessehnsüchten, Mobbingszenarien und mancherlei Banalitäten, von denen ihr Alltag geprägt ist. Allerdings steht plötzlich ein Gespräch über Ernährungsprobleme neben dem Geständnis, dass ein Vater im Gefängnis sitzt. Und Steffen, der stottert und auf Jungs steht. Ausgerechnet in Klaus hat er sich verguckt, fragt, ob er ihn mal küssen will. Klaus will, beschließt im Nachhinein jedoch, Steffen für den Kuss zu demütigen.

Und die wilde Party, die sie feiern, auf der nur Lilli und Jasper fehlen. Super Party, mit toller Stimmung, rockiger Musik, Flaschendrehen, ordentlich Alkohol und mit einer wunderbaren Szene, in der die Jugendlichen alle mit dem Rücken zum Publikum stehen und sich zärtlich streicheln. Alle? Nun, eben nicht. Lilli und Jasper sind im Jaguar unterwegs, ein tragisches Unglück und Lilli verliert ein Bein. Irgendjemand kauft ihr ein neues Bein, doch wie sagt eine Mitschülerin: „Wer sagt, das neue Dinge schöner sind als alte, der lügt.“ Schau an, sie haben doch mehr Tiefgang als gedacht, die scheinbar nur oberflächlichen Gören. Die wir alle einmal waren oder sind. In diesen Figuren erkennen wir uns wieder. Mit unseren eigenen Belanglosigkeiten und Banalitäten. Und all den absurd-grotesken, spinnerten Gedanken, die uns durch den Kopf schossen. Das genau ist es ja, was diesen Lebensabschnitt auszeichnet, in dem man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen ist.

Was anfangs anmutet wie ein chaotischer Haufen und willkürlich aneinander gereihte Szenen, entpuppt sich zusehends als fein gesponnene Story, die viele Fäden aufweist, meisterlich miteinander verknüpft. Nicht nur szenisch, auch spielerisch und choreographisch. Mal agieren alle als Gruppe, sprechen im Chor, kommentieren, beobachten, unterstützen schon mal tatkräftig Flirtversuche oder – ein wunderbares Bild! – man sieht sie als einen einzigen Vogel mit den Flügeln schlagen. Dann wieder schlüpfen sie in ihre Rollen, erzählen und agieren miteinander. Immer konzentriert und pointiert. Tolle Choreographien, herrliche Gesangseinlagen, poetische Sequenzen, gelungene Videosequenzen, die sich in die Inszenierung einbetten. Und ein Stück, das einen witzigen Blick nicht nur auf Banales, sondern auch auf existenzielle Themen wie Identitätsfindung, Homosexualität, Zweiklassen-Gesellschaft wirft.
Tosender Beifall für das Ensemble. Eine klasse (Abschluss)-Klasse der „Schauspielschule Theater Der Keller“. Und eine tolle Regie-Arbeit.

 

„Das Tierreich“ von Michel Decar und Jakob Nolte
Regie: Charlotte Sprenger, Bühne: Thomas Garvie
Mit: Frank Casali, Penelope Frego, Romi Maria Goehrlich, Liliom Lewald, Denis Merzbach; Anna Röser, Franziska Seifert, Margaux Tiltmann
Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln?
Die nächsten Termine: 12., 25. Oktober, 13., 16., 17. 30. November 2016
 

Text: Alida Pisu

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