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Verkehr

„Da müsste man ja halb Köln abreißen“

Montag, 19. Mai 2014 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Wassily Nemitz

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

„Ach, aus Köln kommen Sie“, sagt Professor Gerd-Axel Ahrens, „da sind die Verkehrsprobleme ja noch ganz anders gelagert als hier!“ Er kommt gerade aus der Vorlesung, gleich muss er einen Vortrag als Vertretung halten. Trotzdem nimmt er sich gut 45 Minuten Zeit für das Gespräch. Der 65-Jährige ist Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrs- und Infrastrukturplanung an der Technischen Universität Dresden. Mit ihm sprach „Meine Südstadt“ über die Entwicklung des Verkehrs, kostenlosen Nahverkehr und andere Lösungsansätze für eine moderne Stadt.

Meine Südstadt: Herr Prof. Ahrens, nicht nur bei uns in Köln wird immer wieder geklagt, das Verkehrsproblem werde immer größer, die Zeit im Stau immer länger und die Parkplatzsuche immer unerträglicher. Haben die Leute Recht?
Prof. Gerd-Axel Ahrens: Nein. Es werden empirische Befunde ignoriert. In Städten nimmt der Verkehr teilweise bereits seit den 1990er Jahren deutlich ab.

Wieso bemerken das viele Menschen nicht?
Das Thema Stadtverkehr ist ein insgesamt sehr emotionales Thema. Der Mensch neigt dazu, Vorteile nicht zu sehen, sondern nur Nachteile zu bewerten. Wir in Deutschland klagen auf einem – weltweit betrachtet – sehr hohem Niveau. Köln ist anders als Dresden, auch hier wird sich viel über Staus und schlechte Straßen beschwert. Dabei werden Sie sicher bemerkt haben, dass im Vergleich zu Köln kaum Anlass zur Klage besteht.

Aber was steckt hinter dieser Sichtweise? Die Leute, die sich über den starken Verkehr beschweren, sind ja selbst Teil davon – nach dem Motto „Sie stehen nicht im Stau, Sie sind der Stau“…

Genau, der Mensch ist immer für den ÖPNV – damit der Nachbar ihn benutzt und er selbst besser mit dem Auto fahren kann. Der Stau sind wir in der Tat selbst. Aber: wie gesagt – die Autonutzung geht immer weiter zurück. Vor allem junge Leute kaufen sich zum Beispiel sehr viel seltener einen Neuwagen (siehe Grafik Abb.2).

 

Gerade in dicht bebauten Stadtteilen wie der Kölner Südstadt wird vor allem über fehlende Parkplätze geklagt. Dass es hier nach wie vor ein Problem gibt, können Sie ja nicht in Abrede stellen, oder?
Nun ja, wenn Sie sich die Parkleitsysteme in den Städten anschauen, sehen Sie meist überall freie Plätze. Der Bürger nimmt das aber gar nicht wahr, er interessiert sich nur für Plätze, wo er kostenlos stehen kann. Viele denken, es sei ein Grundrecht, überall zu parken. In unserem Baurecht ist es aber so geregelt, dass Stellplätze auf Privatgrundstücken zu sichern sind – keiner hat ein Anrecht, irgendwo im öffentlichen Straßenland kostenlos rumzustehen!

Trotz rückläufiger Tendenz gibt es nach wie vor sehr viel Verkehr. Von politischer Seite wird häufig gefordert, die Kapazität zu erhöhen, also zum Beispiel Straßen zu verbreitern. Ist diese Forderung sinnvoll?
Die Kapazität muss tatsächlich erhöht werden. Wenn wir das aber mit einem extrem ineffizienten Verkehrsmittel zu tun versuchen, werden wir Schiffbruch erleiden. Kein Wirtschaftszweig leistet sich derart ineffiziente Materialien, wie wir das im Individualverkehr mit den privaten Autos machen: Das ist eine Maschine, die nur eine Stunde am Tag im Einsatz ist. Ansonsten steht sie irgendwo rum und beansprucht Platz. Bei diesem Verkehrsmittel nach Effizienz zu schreien, das ist schon ein Widerspruch in sich!

Aus Teilen der Politik wird noch heute eine „autogerechte Stadt“ gefordert. Was müsste getan werden, damit sich dieser Anspruch erfüllt?
Sie müssen es so sehen: In einer autogerechten Stadt wie Los Angeles beanspruchen 60-70 Prozent der Fläche Parkplätze und fließenden Verkehr für sich. In einer Stadt wie Köln sind es deutlich unter 20 Prozent. Das heißt, wenn man Köln autogerecht machen möchte, müsste man die halbe Stadt abreißen. Das will ja wohl keiner!

Nicht selten wird zur Entlastung des Verkehrs die Verbreiterung von Straßen gefordert, in Köln zum Beispiel am Rheinufer – bringt das überhaupt etwas?
Nein. Wahrscheinlich nicht. Staus entstehen in der Regel durch fehlende Leistungsfähigkeiten an den Kreuzungen und nicht in der Stecke dazwischen. Das ist das kleine Ein-mal-eins der Verkehrstechnik: Wenn ich an einer Kreuzung mit zwei Spuren ankomme, richte ich dort in der Regel eine Linksabbieger- und eine Geradeausspur ein.

 

Wir haben gelernt, dass bei der Ausfahrt aus Knotenpunkten nur die Zahl von Spuren aufgenommen werden muss, die rein kommt – also hier im Prinzip nur eine. Wenn ich aber zweispurig weiter baue, entsteht eine völlig ungenutzte Kapazität, die an der nächsten Kreuzung durch zahlreiche Spurwechsel sogar zu mehr Problemen führt. Das wird von Politikern nicht gesehen, in vielen Städten folgen Stadträte den Empfehlungen der Fachleute nicht. Hier müssen Kenntnis und Verständnis größer werden, solche Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind in vielerlei Hinsicht kontraproduktiv.

In letzter Zeit gibt es vermehrt Carsharing-Angebote, im Straßenbild sind solche „geteilten“ Autos aber noch selten zu sehen. Glauben Sie, dass diese Systeme Potenzial haben, oder handelt es sich eher um eine Übergangslösung hin zu mehr ÖPNV?
Das hängt von der Politik ab. Ich glaube ganz fest an mehr Multimodalität (Abb.4 unten). Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen stationsgebundenen Carsharern (z.B. Cambio) und flexiblen (z.B. DriveNow, Car2go, Anm. d. Red.). Der Anteil an Bürgern, die stationsgebundene Angebote nutzen, liegt in den meisten Städten bei unter einem Prozent. Dessen Nutzer sind vor allem umweltbewusste Menschen, die ungefähr einmal alle zwei Monate fahren.

 

 

Das Nutzerverhalten bei den flexiblen Angeboten ist aber ein ganz anderes: Die Kunden sind vor allem „Mainstream“-Männer um die 30, aber auch sie nutzen das Angebot nur einmal pro Monat. Meine These ist: Wenn wir es den Menschen mit solchen Angeboten leicht machen, auf ein eigenes Auto zu verzichten – dann gibt es auch weniger Verkehr. Habe ich mir einmal ein Auto gekauft und es vor der Tür stehen, dann will ich es natürlich auch nutzen. Wenn ich aber keines da stehen habe, dann überlege ich zuerst: Was ist am günstigsten? Hier entscheide ich mich viel seltener dafür, das Carsharing-Auto zu nehmen, da es zahlreiche Alternativen gibt.

Vor allem aus linken und grünen Kreisen wird immer wieder eine „autofreie Stadt“ gefordert – eine überzogene Vision?
Die komplett autofreie Stadt ist eine Illusion. Was wir brauchen, ist eine deutlich autoärmere Stadt. Ich plädiere immer dafür, keine Autofahrer-feindlichen, restriktiven Maßnahmen zu ergreifen, sondern attraktive, sozialverträgliche Angebote zu schaffen. Jede Politik ist zielführend, die es attraktiv macht, auf das eigene Auto zu verzichten, zum Beispiel durch kostenlose Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge – Autos nutzen statt besitzen, das muss die Maxime sein!

In Köln beschweren sich Anwohner darüber, dass ihnen Parkplätze durch Carsharing-Autos genommen werden!
Ein empirischer Befund ist, dass ein Carsharing-Fahrzeug sieben bis neun Privatautos ersetzt. Daher bedeutet ein Platz für Carsharing durchschnittlich acht Nachfrageeinheiten weniger. Das sieht der einzelne Anwohner aber leider nicht, für ihn ist das nur Konkurrenz.

Nicht nur die Piratenpartei tritt mit einer Forderung nach kostenlosem öffentlichen Nahverkehr in Erscheinung – könnte der ÖPNV so wirklich attraktiver gemacht werden?
In der estnischen Hauptstadt Tallinn ist der ÖPNV inzwischen gratis. Was meinen Sie, wie stark die Zahl der Fahrten seitdem gestiegen ist?

Verraten Sie es mir.
Um circa ein Prozent. Ich gehe damit also eher skeptisch um. Der ÖPNV muss zwar bezahlbar sein, allerdings – irgendjemand muss es ja bezahlen. Und das ist wiederum eine verfassungsrechtliche Frage. Was ich vor allem befürchte: Was nichts kostet, ist nichts wert. Ich könnte mir vorstellen, dass die Betriebe sich viel weniger anstrengen werden, gute Qualität zu liefern, da die Kunden ja ohnehin nichts zahlen. Der Anreiz, besser zu werden, fehlt.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig hat mit einem Vorschlag für Furore gesorgt, wonach Autofahrer jedes Jahr zusätzlich 100 Euro für den Erhalt der Straßen abführen sollen. Meinen Sie, das ist nur ein Debattenanstoß oder ein sinnvoller Vorschlag?
Sowohl als auch. Der Anstoß ist richtig, wir müssen auch über Nutzerabgaben reden. Allerdings hat der ADAC nicht Unrecht, wenn er sagt, dass die Autofahrer durch die Mineralölsteuer bereits ausreichend belastet sind. Steuern sind aber grundsätzlich nicht zweckgebunden. Zwei parteiübergreifende Kommissionen haben schon festgestellt, dass wir unsere Infrastruktur systematisch verfallen lassen. Es sind heute schon jährlich 7,5 Milliarden Euro notwendig, nur um die Straßen zu erhalten!

 

Diese 100 Euro pro Fahrzeug würden uns dieses Problem nicht lösen, wir brauchen vielmehr ein gesamtheitliches Konzept. So etwas hat die Verkehrsministerkonferenz übrigens im Oktober letzten Jahres schon beschlossen. Da wir ja vor allem über kommunalen Verkehr sprechen: Wenn die Mineralölsteuer nach Fahrleistung verteilt würde, müssten die Kommunen ein Drittel der Einnahmen erhalten, denn auf kommunalen Straßen findet ein Drittel des Verkehrs statt. Die bekommen aber nichts davon ab.

Zum Schluss: Wie sieht Ihre Traumstadt in 50 Jahren aus?
Wir müssen bis dahin von Vergaser-Fahrzeugen wegkommen – hin zu Elektroautos. Aber keineswegs 1:1 – vielmehr sagen sich die Leute: Wieso ein eigenes Auto kaufen, wenn wir doch überall die öffentlichen Autos stehen haben? Und auch die nutzen sie nur im Notfall. Die Investitionen gehen nicht mehr so stark in den Bau von Straßen, sondern in den ÖPNV. Utopisch ist das Ganze gar nicht: Schon heute wenden sich die Bürger in den Städten,  wo bald 80% der Menschen leben werden,  zunehmend stärker dem OPNV zu. In München fördert die dortige Verkehrsgesellschaft den Mobilitätsverbund und damit auch die Fahrradnutzung, vor allem um die Fahrten in den eigenen ÖPVV-Fahrzeugen durch die enorm gestiegene Nachfrage nicht unerträglich werden zu lassen.

Herr Prof. Ahrens, vielen Dank für das Gespräch.
 

Text: Wassily Nemitz

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