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Kultur

„Das Leben ist eine schlau ausgelegte Falle“

Montag, 25. März 2013 | Text: Susanne Finken | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: eine Minute

Tschechow. Russland im ausgehenden 19. Jahrhundert also. Eng und düster wirkt die Bühne von Erik Salvesen. Eine Ikone mit Kerzenbeleuchtung am linken Bühnenrand, den Boden bedecken Perserteppiche in gedeckten Farben. Kein Fenster, aber an der Wand hängt ein Sehnsuchtsbild vom unerreichbaren Draußen: Himmel, Gras, ein  kleine menschliche Figur – eine Gegenwelt,  unendlich weit weg – und auch nicht gerade heiter. ?Von der Decke baumeln Requisiten: Weiße Schirme, wie sie die Damen aus Tschechows Bühnenstücken mit sich führen könnten, wenn sie spazierengehen und sich nach Moskau sehnen. Aber was im Freien Werkstatt Theater zu sehen ist, hat nichts mit dem Ennui einer überflüssig gewordenen Klasse wie in den Komödien zu tun.

 

Tschechow war Arzt, ein wissenschaftlich geschulter Beobachter. Auf Reisen durch den Osten Russlands verschaffte er sich ein Bild über Zwangsarbeit im Straflager, und er kannte den Umgang mit psychisch Kranken im Russischen Reich. Beides floss in die Novelle „Zimmer Nummer Sechs“  von 1892 ein. Zeitlich und räumlich ziemlich weit weg, möchte man meinen. Aber die Produktion schließt sich dann doch nahtlos an den gegenwartsbezogenen Spielplan an, nicht durch vordergründige Aktualisierungen, sondern in den verhandelten Themen: Der Mikrokosmos auf der Bühne ist eine geschlossene Anstalt für psychisch Kranke,  Paralytiker oder Paranoiker, wie es heißt. Heilung ist hier keine Option, es geht ausnahmslos ums Wegsperren – und schon da sind wir, Stichwort  „Wegsperren und zwar für immer“, wieder am Grundsatzgedanken der FWT-Leitung, dass Theater gesellschaftliche Debatten anregen und begleiten kann.

 

„In einen Zauberkreis geraten“, Till Brinkmann und Kai Hufnagel. / Foto: Meyer Originals

 

Fünf Schauspieler schultern den Abend, darunter Doris Plenert als Wärterin Nikita, die inbrünstig zum Gebet ruft und auch gerne mal zuschlägt, sowie Kai Hufnagel als Arzt Ragin, optisch als alter ego Tschechows konzipiert, der, wie er feststellen muss, „in einen Zauberkreis geraten“ ist, „aus dem es keinen Ausweg gibt.“ Es fängt damit an, dass er seine distanzierte Arzt-Routine aufbricht und mit dem Patienten Gromow (Till Brinkmann) Gespräche führen will, weil er in ihm einen Seelenverwandten sieht, doch Gromow verweigert sich; es endet damit, dass er, nach ruinösen Reisen und einer unglücklichen Liebe, auf die andere Seite einsortiert wird und der Willkür seines Nachfolgers ausgeliefert ist. Jetzt endlich, findet Patient Gromow, kann man auf Augenhöhe mit einander sprechen.

 

Regisseur Ulrich Meyer-Horch mischt realistisch inszenierte mit abstrahierteren, formalisierteren Szenen: Das abendliche Erholungsbier unter Freunden rinnt „in echt“ durch die Kehle, die  Gewaltdarstellungen andererseits trennen theaterpoetisch Ursache und Wirkung, die ritualisierte Leere religiöser Floskeln zeigt sich im Turbo-Vortrag, der neue Arzt-Kollege beweist seine Guru-Qualitäten schon rein körperlich durch motorisch ausgefeilte Auftritte. Ein atmosphärischer Theaterabend mit Tiefgang, auf 80 Minuten konzentriert.

 

„Zimmer Nummer Sechs“ nach Anton Tschechow im Freies Werkstatt Theater
Mit: Doris Plenert, Franziska Schmitz, Till Brinkmann, Kai Hufnagel, Lucas Sánchez?

Inszenierung: Ulrich Meyer-Horsch

?Bühnenbild und Kostüme: Erik Salvesen

Text: Susanne Finken

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