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Kultur Südstadt

Das Wissen verschwindet

Dienstag, 5. März 2019 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Nora Koldehoff/Stefan Rahmann

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Auch wenn sich der Einsturz des Stadtarchivs mit seinen zwei Todesopfern und den Millionen verschütteter Archivalien in diesen Tagen schon zum 10. Mal jährte, sind viele Fragen noch immer ungeklärt. Zwar wurde das Strafgerichtsverfahren um die Einsturzursache abgeschlossen; Verantwortliche und Strukturen, die zu dieser Katastrophe geführt haben, wurden nach Meinung vieler Prozessbeobachter aber nicht benannt. Und auch für die NachlassgeberInnen, die ihre Archive einst der Obhut der Stadt anvertraut hatten, bleiben die allermeisten Fragen offen. Inzwischen rechnen viele von ihnen auch kaum noch mit Antworten, und ein großer Teil von ihnen hat die Kommunikation mit der Stadt aufgegeben.

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Oliver König, Sohn des Soziologen René König und Mitglied der Interessensgemeinschaft der Nachlassgeber, betont jedoch, dass sich das nicht auf die operative Ebene beziehe: „Mit den Mitarbeitern vor Ort ist die Zusammenarbeit in aktuellen Projekten nach wie vor sehr gut. Die technischen Präsentationen der Wiederaufbereitung hören sich immer sehr eindrucksvoll an, doch an den Fragen der LeihgeberInnen gehen eben sie trotzdem vorbei.“
Die Teile, die zu kleinsten Partikeln zerstört keinerlei Aufschluss mehr über ihren Ursprung zuließen, erhielten in altbekannter Kombination von Kölner Lokalpatriotismus und Fatalismus den Namen „Köln-Flocken“.

Restaurator bei der Arbeit, Fragmente

In den vergangenen Jahren hatte die Stadt die LeihgeberInnen nach Porz ins Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum eingeladen, um sich dort einen Teil der geborgenen, gesäuberten und aufgearbeiteten Bestände anzusehen. Renate Gruber, die Witwe des Publizisten und Photokina-Mitbegründers L. Fritz Gruber, hat diese Einladung nicht annehmen können: „Das wollte ich mir nicht antun.“ Sechs Jahre nach unserem ersten Interview traf „Meine Südstadt“ Renate Gruber erneut.

Haben Sie sich von den gut erhaltenen Archivalien aus Ihrem Besitz überhaupt etwas zeigen lassen?
Nein, ich habe jede Berührung gescheut. Ich habe aber trotzdem weiter Fotos an das Archiv abgegeben. Und ich habe auch Freunde überredet, sich die geborgenen Archivalien anzusehen.

Sie haben ja sogar sehr schnell nach dem Einsturz wieder angefangen, Bestände an das Archiv zu geben.
Ja, ich wollte ein Zeichen setzen, weil ich es wichtig finde. Für jede große Stadt, Kulturstadt ist es wichtig, ein solches Archiv zu haben und zu pflegen.

Welche Nachrichten haben Sie zum Nachlass von L.Fritz Gruber bekommen?
Ich habe mehrfach Mappen bekommen, in denen dokumentiert ist, was gefunden wurde. Diese Dinge waren als Zustand eins, zwei oder drei beschrieben, wobei „eins“ einwandfrei bedeutet und man über „zwei“ und „drei“ lieber gar nicht mehr nachdenkt. Wir hatten 14.000 dokumentarische Fotografien dort. Und wenn so eine Fotografie aus der zweiten Etage in ein Loch voll Wasser fällt und Wände darauf stürzen, ahne ich, dass das nur noch Matsch ist. Uns wurde gesagt, unser restlicher Bestand würde wohl in etwa 30 bis 50 Jahren getrocknet, gesäubert, restauriert sein. Ich bin jetzt 83 Jahre alt und werde das wohl kaum noch erleben – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch meine Tochter nicht mehr.

Ist der Bestand denn inzwischen an einem Ort zusammengebracht?
Nein, das wohl nicht. Er ist zusammen mit den anderen Archivalien überall in den so genannten „Asylarchiven“ verteilt.

Was können Sie denn tun, um das verschüttete Wissen über die Kölner Fotografiegeschichte weiter zu geben? Gerade dokumentarische Fotografien leben ja davon, dass man weiß, wer auf ihnen abgebildet ist – auch womöglich angeschnitten oder von hinten, mit wem sie reden, was sie sich gerade interessiert ansehen …
Absolut. Man kann nur Aussagen machen, erzählen, die Geschichten weiterhin weitergeben. Und das Wissen nutzen, das es noch gibt. Das muss ich nun tun, solange ich noch lebe, sonst geht dieses Wissen ja verloren. Wer soll das in fünfzig Jahren noch können? Ich habe meinen Mann drei Jahre lang gequält, diese 14.000 Bilder zu beschriften. Jedes bekam eine Nummer, und ich habe dann nach seinen Angaben am Computer dokumentiert, wer wann wo warum darauf abgebildet war. Gelegentlich sagte er dann: „Hast Du etwa wieder eine Kiste gefunden?“ Und ich antwortete: „Nein, nein, Du kannst ruhig Deine Zeitung lesen…“ …(lacht)

Auch René Böll hat im Interview vor sechs Jahren erzählt, er habe – erfolglos – angeboten, bei der Zuordnung der Fundstücke zu helfen, weil er die Handschrift seines Vaters gut kennt und auch aus dem Kontext gerissene Fragmente einordnen könnte. Man wünscht sich ja eigentlich, dass das übergeordnete historische Interesse über den persönlichen der Verantwortlichen liegt …
Auf jeden Fall. Ich kann es auch nicht verstehen, dass die Stadt das große Wissen von Menschen wie Herrn Dr. Eberhard Illner nicht nutzt. Er kannte sich so gut aus und wusste so gut Bescheid über den Bestand. Und er hat immer der Wahrheit die Ehre gegeben.

Empfinden Sie die Auseinandersetzung mit dem Einsturz noch immer als schmerzhaft?
Ja, schon. Einmal bin ich zur Einsturzstelle gegangen, auch weil ich es meinem Bruder zugesagt hatte, Hartmut Misgeld, der sehr aktiv in der Gruppe „ArchivKomplex“ ist. Für diese Gruppe würde ich auch sehr gern werben.

Stadtarchiv Einsturz

Oberbürgermeisterin Henriette Reker (r.) bei der Gedenkveranstaltung, bei der Sonja Kling (l.) und Irene Schwarz jeck-nachdenkliche Texte rezitierten.

Aktuell bemüht sich „ArchivKomplex“ darum, einen Raum zu konzipieren, der unterirdisch, gleich neben dem Wasserloch in der Einsturzstelle intakt aufgefunden wurde. Eigentlich ist das ein Raum der KVB. Nach Gesprächen mit KVB und Stadt soll der Raum jetzt ausschließlich zum Gedenken und für kulturelle Zwecke genutzt werden.

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Das Gefühl des Verlustes ist immer noch sehr stark, die Empörung, die Enttäuschung, der Kummer. Mein Mann war sehr glücklich, dass wir das Stadtarchiv als Ort für unsere Dinge gefunden hatten. Man gibt so etwas ja an eine Institution in dem Gedanken, dass es dort besser aufgehoben ist. Hier, in einem Privathaus, kann ja jederzeit auch mal ein Rohrbruch passieren.

Würden Sie denn heute nach zehn Jahren sagen: Es war einfach ein furchtbares Schicksal, oder es gab Versäumnisse und der Einsturz hätte verhindert werden können?
Es gab menschliches Versagen und Versäumnisse. Und sowas macht einen unglücklich und wütend. Auch heute noch. Ich kenne diesen Ingenieur gar nicht, der da verurteilt worden ist. Zu Beginn des Prozesses habe ich zu meinem Bruder gesagt: Wenn da am Ende nur drei kleine Leute, Arbeiter, verurteilt werden, werde ich das nicht hinnehmen.

Text: Nora Koldehoff

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