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Gesellschaft Kultur

„Das Zeigen der Vulva rettet die Welt“

Donnerstag, 10. April 2014 | Text: Jasmin Klein | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Claudia Richarz ist Dokumentarfilmerin und lebt in Köln. Einem größeren Publikum wurde sie durch ihre 10-teilige Serie „Abnehmen in Essen“ bekannt, die im WDR und auf arte lief und für die sie 2000 den Grimme-Preis erhielt. Ihr Film „Vulva 3.0 – Zwischen Tabu und Tuning“, den sie mit Ulrike Zimmermann realisiert hat, lief auf der diesjährigen Berlinale und wird auf dem  Internationalen Frauenfilmfestival am kommenden Sonntag (13.04.14) um 16 Uhr im Filmforum NRW im Museum Ludwig, Bischofgartenstr.1 zu sehen sein (Tickets gibt es hier).
Ab dem 25. April kann man den Film auf DVD kaufen.

Wir besuchen sie am frühen Morgen in ihrer Wohnung im Kwartier Latäng. Eine zierliche, sympathische Frau öffnet die Tür, bietet uns Kaffee an, und am Küchentisch reden wir über Vulven.

Meine Südstadt: Warum Vulva 3.0 und nicht 2.0 oder 1.0?
Claudia Richarz: Der Titel bedient sich der Sprache, die ursprünglich nur für technische Entwicklungen wie beispielsweise Web 2.0 benutzt wurde. Vulva 3.0 wäre dann das aktuellste oder kommende Upgrade.

Wann entstand die Idee zu dem Film?
Meine Kollegin Ulrike Zimmermann drehte einen Film im Irak. Sie erfuhr dabei zufällig, dass dort viele Frauen genitalverstümmelt sind und somit die Genitalverstümmelung auch in Europa angekommen ist. Sie erzählte mir davon, und wir begannen, nachzudenken. Wir hatten keine Grundidee, aber wir wollten uns genauer mit dem Thema beschäftigen. So kam es dazu, dass wir im Film den Bogen von der Genitalverstümmelung über die Sexualität bis zur Anatomie spannen, wir haben uns grundsätzlich mit der Vulva beschäftigt. Die meisten sagen ‚Vagina’, dabei ist das nur ein Teil der Vulva. ‚Vulva’ ist die richtige Bezeichnung, aber das sagt kaum jemand. Selbst in einigen Rezensionen zum Film wird immer wieder von der ‚Vagina’ geschrieben, obwohl der Film „Vulva 3.0“ heißt. Als würde man sich nicht trauen, einen anderen Begriff zu benutzen.

Sie waren Anfang Februar mit dem Film auf der Berlinale. Haben Sie die Reaktionen überrascht?
Wir waren über die äußerst positive Resonanz überrascht und haben uns sehr gefreut. Dabei war der Film nicht vom Fernsehen oder mit Fördermitteln finanziert. Wir waren manchmal nur zu zweit beim Dreh, also sogar ohne Tonmann oder -frau. Ulrike Zimmermann hat den Film aus eigenen Mitteln produziert, weil uns das Thema so interessierte. Und weil es wichtig ist. Für jeden wichtig ist. Auch Jugendliche können sich den Film ansehen. Der Film ist ab 16.? Im Film sind auch explizite, frontale Aufnahmen von Vulven zu sehen, da habe ich von manchen gehört, dass sie das schockiert oder ihnen gar missfallen hat.

Ist das Zeigen der Vulva, das Freirasieren und Optimieren nicht auch etwas Feministisches? Das stolze Zeigen der Vulva? In den Siebzigern und Achtzigern trafen sich Frauen, um sich gemeinsam mit Handspiegel ihre Vulven anzuschauen.
Es existiert ein Idealbild, wie Vulven auszusehen haben. Wenn man sie rasiert, dann meinen manche Menschen, dürften die Schamlippen nicht zu sehen sein. Dabei widerspricht das bei vielen Frauen ganz einfach ihrer Anatomie, da die Schamlippen mit Eintritt der Pubertät größer werden und dann auch zu sehen sind. Das ist einfach so. Sie sind oft auch unterschiedlich lang, und da glauben auch viele Frauen, sie so optimieren zu müssen, dass sie gleich lang sind – die Zahl der Operationen im Intimbereich ist in den letzten Jahren enorm angestiegen.

Wer entscheidet das? Woher glaubt man, beurteilen zu können, wie die optimale Vulva aussehen soll?
Das liegt an der Entwicklung der Abbildungstradition. Die Fotografen in der Erotik/Porno-Industrie glauben, man dürfe die weiblichen Schamlippen nicht zeigen, sonst würden ihre Bilder zensiert, oder sie würden erst ab 18 zugelassen. Eine verbreitete Theorie. Sie ist aber falsch. Auch im Film sagt der Fotograf, er müsse die Schamlippen wegretuschieren, weil es da Vorschriften gebe – aber auch, weil es nicht so schön aussehe. Bei einem kleinen Mädchen sieht die Vulva anders aus, die darf man zeigen. Aber die Vulva der erwachsenen Frau nicht.

Seit 2012 produzieren Sie zusammen mit Ulrike Zimmermann DVDs über Sexualität und Körperbewusstsein. Was ist dabei Ihr Anliegen?
Mit unseren DVDs unter dem Label lauramedia kann man lernen, sich in der Sexualität weiterzuentwickeln, seinen Körper und den des Partners/der Partnerin genauer zu entdecken und wahrzunehmen. Die meisten DVDs, die es bisher über Körperentdeckung, Tantra oder sexuelle Massage gab, gefielen uns nicht so gut. Wir haben mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten DVDs produziert, die Lust machen sollen und durch die man lernen kann, wie man seine sexuelle Energie entdeckt und entwickelt. Unsere DVDs sind authentisch, denn die Modelle  verhalten sich wahrhaftig. Wir wollen im besten Sinne aufklären und zeigen, dass es viele Wege in der Sexualität gibt.

Kürzlich gab es ja nochmal die Diskussion in den Medien, ob man nun Schamhaare tragen soll oder nicht. Zurück zum Haar?
Jeder soll das so machen, wie er will. Jeder Jeck ist anders. Man sollte da soviel experimentieren, wie man will. Wenn man sich mal die Haare abrasiert, empfindet man anders. Das finde ich auch schön. Man kann genauer anschauen, wie man aussieht. Man kann sich überall seine Haare stutzen, das macht man auf dem Kopf ja auch. Warum soll das jetzt bei anderen Haaren anders sein? Die Frauen haben schon immer die Schamhaare an den Oberschenkeln in der „Bikini-Zone“ wegrasiert. Ein Problem ist es allerdings, wenn die Vulva rasiert sein MUSS. Davon berichtet Helga Seyler, eine Gynäkologin aus Hamburg, die auch in unserem Film vorkommt. Zu ihr kommen viele junge Frauen in die Praxis, und die sagen, die Jungs finden die Schamhaare eklig. Und dann müssen sich die jungen Frauen wegen der Jungs rasieren. Man lässt sich als junge Frau da schnell verunsichern.

Was raten Sie jungen Frauen?
Helga Seyler, die Gynäkologin, sagt, es fehlen die älteren Frauen, die den jüngeren Frauen sagen: ‚Du bist okay, so wie Du bist! Deine Vulva sieht gut aus, so wie sie aussieht. Ja, genau, Deine Schamlippen sind unterschiedlich lang, das ist aber auch richtig so.’
Man braucht eine Gruppe, auf die man sich bezieht und die einem zeigt, dass man schön ist, so wie man ist. ?Gestern war ich in dem Film ‚Exposed’. Der ist super. Die Protagonisten/innen gehen ihren eigenen Weg, so schwierig das auch sein mag. Achte auf Dich selbst und Deinen eigenen Körper, und lass Dir nicht irgendwas einreden, wie Du auszusehen oder wie Du zu fühlen hast.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Die Überschrift entstammt einem Zitat der deutschen Journalistin Mithu Sanyal aus ihrer Kulturgeschichte der Vulva, die 2009 im Wagenbach Verlag erschien. Ihr begegnet man auch in dem Film.

 

Mehr im Netz:
youtu.be/nffYIytkKxw
Webseite zum Film: www.vulva3.de
Facebook-Seite des Films: www.facebook.com/vulva3.0
 

Text: Jasmin Klein

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