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Lükes Liebes Leben

Dauernd Vollmond

Montag, 18. September 2023 | Text: Reinhard Lüke

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Vorletzten Samstag waren auf der Severinstraße bei 30° im Schatten ein paar Leute in Karnevalskostümen unterwegs, aber nicht unbedingt bester Laune. Am rechten Rheinufer ging die Sause „Jeck im Sunnesching“ über die Bühne und in Vorberichten war zu lesen, dass es diesem Tag auch in rund fünfzig Kölner Kneipen närrisch zugehen sollte.

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In der Südstadt wollte bei diesem grotesken Treiben offenbar dann doch kein Lokal mittun. Aber irgendwo werden die Sommer-Jecken schon noch fündig geworden sein. Seit Montag letzter Woche locken Dominosteine und Zimtsterne in den Läden. Auch nicht weniger absurd.

Ich bin Fußgängerzone

Ich habe mich ja schon öfter darüber gewundert, dass manche meiner Mitmenschen nur noch sich selbst wahrnehmen und gleichzeitig offenbar dauerhaft derart unter Strom stehen, dass sie schon beim kleinsten Anlass komplett die Nerven verlieren. Letztens radle ich über die Mittelstraße, als da mitten auf der Fahrbahn ein Typ mittleren Alters steht und auf seinem Handy rummacht. Als ich fast auf seiner Höhe bin, setzt er sich plötzlich in Bewegung. Natürlich ohne auch nur eine Sekunde sein Spielgerät aus dem Blick zu lassen. Ich kann gerade noch sowas wie „Hey!“ rufen, um einen Crash zu vermeiden. Ich an seiner Stelle hätte jetzt sowas wie „sorry“ gesagt. Doch stattdessen schimpft der Typ mich lauthals „Penner, Idiot“ und mahnt mich, ich solle doch verdammt nochmal aufpassen. Wo immer ich stehe, ist Fußgängerzone. Logisch.

Neulich im Supermarkt waren wieder zwei so Nervenbündel unterwegs. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ging es darum, dass der eine dem anderen vorwarf, an der Scanner-Kasse seinen Einkaufskorb nicht ordentlich zurückgestellt zu haben. Große Sache. Nach einem kurzen Wortgeplänkel in Zimmerlaustärke ging es gleich ordentlich zur Sache. In lautem Gebrüll warfen sich die Kontrahenten die gängigen Schimpfwörter an die Köpfe und waren kurz davor, die Fäuste sprechen zu lassen. Während ich dem absurden Treiben einigermaßen fassungslos zusah, bemerkte eine ältere Dame hinter mir knapp: „Ist schon wieder Vollmond?“ Chapeau.

Kindheit auf Festplatte

Die Zahl an Fotos, die es von mir aus Kindertagen gibt, ist überschaubar. Weihnachten, Einschulung, Kommunion und ein paar Bilder von Sonntagsspaziergängen mit den Eltern. In der Regel bin ich darauf zu sehen, wie ich, das Haupthaar ordentlich gescheitelt, mehr oder minder angestrengt in die Kamera zu lächeln versuche. Schließlich waren Fotos in den 60er Jahren noch eine große und nicht zuletzt teure Sache. Deshalb wurde nicht mal eben geknipst, Schnappschüsse waren viel zu riskant. Für ein Bild wurde sich ordentlich hingestellt und nach Möglichkeit ein freundliches Gesicht aufgesetzt. Die fertigen Fotos wurden anschließend in ein Album mit Trennblättern aus Pergament geklebt und im Wohnzimmerschrank verstaut. Von mir gibt es auch so ein Sammelwerk, das aber nur zur Hälfte gefüllt ist.

Spielplatz als Fotostudio

Wer heutzutage aufwächst, kann sich später vermutlich gleich mehrere Festplatten aushändigen lassen, auf denen sein Kindsein nahezu lückenlos dokumentiert ist. Auf dem Spielplatz vor meinem Fenster sind täglich Eltern zu bestaunen, die binnen zwei Stunden locker fünfzig mal auf den Auslöser drücken, um die Aktivitäten des Nachwuchses festzuhalten. So als wäre das Areal mindestens Disney World und die Kinderchen kämen aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Keine Ahnung, was mit all diesen Schnappschüssen passiert. Werden die abends mit Begeisterung dem anderen Elternteil gezeigt? „Schau mal, da sitzt Paula Julia mit ihrem Eimerchen im Sand!“ Gibt’s da eine Auslese per Löschtaste oder wird einfach geknipst, bis der Speicher voll ist? Und wenn es total spektakulär wird und ein Kind die Rutsche runtersaust, darf es auch gern mal ein Video sein. Aber Erwachsene filmen ja auch ganze Konzerte, um sich später die Auftritte ihrer Helden auf dem Handy anzuschauen.

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Interessant finde ich eher, wie unterschiedlich die lieben Kleinen mit der Foto-Wut ihrer Erziehungsberechtigten umgehen. Da gibt es die einen, die der Zirkus kaum interessiert und die mehr oder minder in Ruhe gelassen werden. Aber auch die anderen, die sich sofort in Pose stellen, sobald sie bemerken, dass Mutti ihr Handy gezückt hat. Letztere rennen dann auch gleich los, um das Ergebnis ihres Shootings in Augenschein zu nehmen. Ist das Resultat für sie nicht zufriedenstellend, bieten sie sofort an, die Aktion zu wiederholen. Ich habe keine Ahnung, woher das kommt und wohin das führt. Ich finde es nur seltsam.

Text: Reinhard Lüke

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