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Kultur

Den Rahmen sprengen?

Donnerstag, 16. Oktober 2014 | Text: Gastbeitrag | Bild: Maria Litvinova

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Alltägliche Apokalypsen“ – wo kann man sie besser finden als in den Texten Eugene Ionescos, Altmeister des Absurden? Das Moskauer Regie-Duo Maria Litvinova und Viacheslav Ignatov präsentiert im „Freies WerkstattTheater“ eine temporeiche Inszenierung. Sie kommt bildgewaltig daher und brilliert mit einem gelungenen Mix aus Theater, Tanz und traumhaft schönem Schattenspiel.
Die Handlung ist rasch erzählt: Ehepaar Martin besucht Ehepaar Smith, allesamt bekannt aus Ionescos „Die kahle Sängerin“. Dazu gesellt sich Dienstmädchen Mary. EingeRahmt wird diese Handlung durch überdimensionierte Rahmen, in und mit denen die Figuren agieren. Es ist erschreckend anzusehen, wie die Rahmen förmlich an den Menschen kleben, nicht abzuschütteln sind, sie in Gefängnisse sperren. Andererseits geben sie auch Halt, werden zur Sitzgelegenheit, zum Fenster mit Ausblick.

Nun, wie das bei Besuchen so ist, man erzählt einander Geschichten aus dem Leben, die haben es dann in sich und nicht zu knapp. Auf die Frage seiner Frau „Wo war das noch gleich?“, antwortet Mr. Miller: „Wo? Das spielt keine Rolle, wir sind doch überall zusammen.“ Und dann legt sich eine heitere Musik über die Szene, Mrs. Miller schwingt ihr Kleid und im Schattenspiel sieht man Straßenlaternen,  Häusersilhouetten und die Alleen von Paris vorüberziehen. Ein Moment voller Poesie und Zartheit, der sich ablöst mit dem Bild von Mr. und Mrs. Miller, ein mit Stoff bespannter Rahmen trennt sie. Ihre Versuche, einander zu berühren und wenn es auch nur mit den Fingerspitzen ist, sind zum Scheitern verurteilt und man fragt sich, wie viel Ferne und Fremdheit in ihrem „überall zusammen sein“ lauert.

Weitaus verstörender ist ein Dialog zwischen Mr. und Mrs. Smith. Was heißt Dialog, eigentlich führen sie Monologe, sie reden aneinander vorbei, obwohl sie Schulter an Schulter auf der Erde liegen und ihre „Geheimnisse“ preisgeben. Mrs. Smith erzählt von ihrem nach Australien ausgewanderten Sohn, der mit seinen Eltern nichts mehr zu tun haben will, denn: „Ihr habt die Vögel getötet, ich habe sie in den Straßen liegen sehen und auch die toten Menschen.“ Leugnet Mrs. Smith noch das Töten, so gibt Mr. Smith zu, seine auf der Straße im Sterben liegende Mutter einfach liegen gelassen zu haben, er hat sich auf einem Ball amüsiert und als er wiederkam, da war sie schon tot und verscharrt.

 

Können normale Menschen derartig monströs sein? Und wissen sie, was sie tun oder haben ihre „Rahmen“ sie so weit verbogen, dass sie zwangsläufig verrohen und abstumpfen müssen?

Man kann das Stück durchaus so interpretieren, dass es eine pessimistische Antwort auf diese Frage gibt. Das furiose Tanz-Finale, dessen Auftakt gegeben wird mit: „Leben ist das, was auf der einen Hälfte der Erde passiert und auf der anderen Hälfte ignoriert wird.“, verwandelt die Erde in ein Schlachtfeld. Es gibt ein Hauen und ein Stechen, da fällt Mensch über Mensch her und meuchelt brutal nieder, was gerade über den Weg läuft. Niemand wird verschont, niemand überlebt. Auch der Tod ist ein Rahmen, vom Beginn unserer Existenz an, gehen wir unweigerlich auf ihn zu. Das ist die letzte, die bitterste Konsequenz unseres Lebens.

Eine optimistischere Lesart würde den Zuschauer dazu einladen, sich zu fragen: was sind meine Rahmen? Welche Konsequenzen haben sie? Und was wäre, wenn ich den Rahmen sprengen könnte? Denn das der Mensch nicht zwangsläufig der Wolf des Menschen sein muss, dafür gibt es genügend Beispiele. Erfreulicherweise.
Das Stück könnte überall verortet werden, es ist alterslos, zeigt Menschen so, wie sie sind, immer schon waren und sein werden. Dennoch lassen sich ohne weiteres aktuelle Bezüge herstellen, wir sprechen dann allerdings nicht von Apokalypsen, sondern von Krisen. Ob es Ebola in Afrika ist, Kampf um Kobane oder Krieg in Syrien: DA passiert und DORT wird ignoriert. Das ist Brutalität, da wie dort.

Das bestens aufgelegte Ensemble, dem eine große Leistung abverlangt wird, wird verdientermaßen mit nicht enden wollendem Applaus und „Bravo“-Rufen gefeiert. Was Ida Keški?, Julia-Lena Lippoldt, Johanna May, Raphael Souza Sá, Slim Weidenfeld an Expressivität, insbesondere auch im Tanz und Schattenspiel (Choreographie: Bibiana Jimenez), zeigen, ist mehr als sehenswert.

„Alltägliche Apokalypsen“ ist ein leichtfüßiger, ästhetischer Genuss, dem ganz hinzugeben, sich lohnt. Die Inszenierung wird nicht eine Sekunde langweilig, so dicht getaktet folgt Szene auf Szene, wechselt Theater auf Tanz oder Schattenspiel. Die rasante Abfolge verweist auch darauf, wie der Mensch heute wahrnimmt: ein Mausklick und ich sehe das nächste Bild. Und klick und klick und klick. Man ahnt, warum das russische Regie-Duo 2013 den bedeutendsten Theaterpreis Russlands bekommen hat. Noch erscheint der Genre-Mix ungewöhnlich, aber wer nach Formen modernen Theaters sucht, der muss sie entwickeln.

Eine Inszenierung, die man sich nicht entgehen lassen sollte! Sie wird übrigens 2015 auch in Russland zu sehen sein. Und im Gegenzuge wird Svetlana Fourer, die künstlerische Leiterin dieses Austausch-Projektes zwischen Köln und Moskau, 2015 in der russischen Hauptstadt eine Produktion auf die Bühne bringen.

 

Die nächsten Termine: 17.10., 4. und 5.11.2014.

Freies Werkstatt Theater?

Zugweg 10, 50677 Köln

 

 

Die Autorin Alida Pisu, eigentlich waschechte Ruhrpöttlerin, fühlt sich seit vielen Jahren in der Südstadt zu Hause. Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft arbeitete sie an verschiedenen Kölner Theatern, schrieb für Künstler Kabarett-Programme und hatte auch ein eigenes Literatur-Programm. Sie ist im Team der Lutherkirche als Presbyterin tätig und gestaltet dort regelmäßig Gottesdienste.
 

Text: Gastbeitrag

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