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Gesellschaft Kultur Politik

Der Abgeschriebene

Sonntag, 11. Dezember 2011 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Herder Verlag/Überarbeitung MS

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Nicht schon wieder Guttenberg (1). Er hat der ,Zeit‘ ein Interview gegeben, reicht das nicht? (2) Warum sollten wir hier, auf „Meine Südstadt“, über das neue Buch berichten und damit so jemandem auch noch Platz bieten? (3) Überhaupt: Wenn das Buch ein Vehikel für ein politisches Comeback sein sollte, dann ist das kaum geglückt (4) Mit Sicherheit kommen wir auch ohne ihn gut klar (5). Aber: Wir werden nicht an Guttenberg vorbeikommen, denn er kommt zurück (6). Dieser Mann hat eine ganze Nation berauscht (7). Sie sollte ihn nicht ungelesen weglegen, ganz gleich, wie gerecht der Zorn (8).

Erstens: Die Person ist bei uns generell oft Gegenstand der Polarisierung (9). Bei Guttenberg besonders (10). Weil sein Image – um es markentechnisch zu sagen: sein Markenkern – lautet: Ich bin anders, ich rede Klartext, ich bin unabhängig und aufrichtig (11). Zu fragen bleibt, wer seine Ratgeber waren bei diesem hastigen Schritt zurück in die Öffentlichkeit – ohne Gel im Haar, ohne Brille, aber noch vor Weihnachten! (12) Mit dem enorm hohen Medieninteresse für das Buch hat der Herder-Verlag gerechnet, ebenso damit, dass das Echo geteilt ausfallen würde (13). Keine Angaben macht Herder zu der Frage, ob und wie sich die beiden Autoren den Erlös teilen. (14)

Wovon das Buch handelt? In einem Schlagabtausch unterhalten sich Giovanni di Lorenzo und Karl-Theodor zu Guttenberg über die Plagiatsaffäre und deren Folgen (15). Anders gesagt: Nennt nur zwei Namen, und es kommen in Haufen / Leser und Leserinnen gelaufen (16). Stimmt das? Bislang liegt das kleinformatige 200-Seiten-Werk in der Südstadt – zum Beispiel im „Buchladen am Chlodwigplatz“ – wie Blei auf den Tischen (17). Auch im „Anderen Buchladen“ wurde es nur ganz zu Anfang nachgefragt, inzwischen kaum noch (18). Woran das liegt? Die Kunden in der Südstadt sind eher rot-grün, und das Buch richtet sich vermutlich an ein konservatives Klientel, das nach einer starken Führerpersönlichkeit schielt (19). Die „Buchhandlung am Chlodwigplatz“ hat jedenfalls bislang nur zwei Exemplare verkauft, und bei beiden Kunden soll das nicht ganz freiwillig geschehen sein, sondern eher auf Wunsch aus der Verwandtschaft (20). Übrigens: Das Buch von Helmut Schmidt und Peer Steinbrück verkauft sich in der Südstadt genauso schlecht (21).

Zum Inhalt.  Guttenberg hat hohe politische Fähigkeiten (22). Und es steht einiges mehr drin im Buch als nur die Plagiatsaffäre – zum Beispiel seine Einschätzung zur Wirtschafts- und Eurokrise (23). Giovanni di Lorenzo hat zudem mit seinen Fragen nachgehakt, wo er nachhaken konnte – so wie allerdings Guttenberg als Politiker Profi genug war, auch die passende Antwort zu finden (24). Die Kritik: Guttenberg hat es wieder einmal nicht geschafft, ein eigenes Buch zu schreiben, sondern nur ein Interview in Buchform (25). Es bleibt zudem ein unbegreiflicher Fehler, dass Guttenberg sein – zudem halbherziges und verspätetes – Reuebekenntnis mit einer Frontalattacke auf die gesamte politische Klasse kombiniert hat (26).

Die Konsequenz: Es kann inzwischen überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Bemühungen von Karl-Theodor zu Guttenberg um ein schnelles Comeback als Ehrenmann sowie diejenigen des Chefredakteurs der Zeit um journalistische Integrität vorerst gescheitert sind (27). In diesem Zeitdokument entlarvt und demontiert sich der einstige Liebling der Nation gründlicher, als es all seine Feinde tun könnten (28). Das Plädoyer zeigt einen Menschen, der sich selber die Eignung zum Politiker abspricht(29). Es ist eine populistisch-cäsaristische Selbstüberhöhung, die sich in Demutsgesten kleidet. Widerlich (30).

Wie ergeht es Stephanie zu Guttenberg in dieser Situation? (31). Jede Frau trifft es ins Mark, ihren Partner vorgeführt zu sehen (32). Sein Lächeln ist hin – dieses heile, selbstgewisse Lächeln, das seinen Vater früh veranlasste, ihn „meinen Sonnenbub“ zu nennen (33). Tja. Wer in jungen Jahren gleich zweimal Minister wird, dann vom Wahlvolk als Rockstar bejubelt wird, der hat keine Zeit, Urteil und Augenmaß zu schärfen (34).

Fazit: Karl-Theodor zu Guttenberg funktioniert nicht ohne die Medien (35). Oder, noch besser: „Die Sache? Interessiert in Paris und in Bentschen… keinen Menschen. Dieweil lieber Freund, zu jeder Frist, die Hauptsache das Persönliche ist.“ (36)

Jörg-Christian Schillmöller (37)

 

(1) Daniela Vates, „Frankfurter Rundschau“, 9.12.2011, S.11.

(2) Ebd.
(3) Doro Hohengarten auf der Redaktionskonferenz von „Meine Südstadt“, 7.12.2011, gegen 9.30 Uhr.
(4) Hans Schumandl, „Buchhandlung am Chlodwigplatz“, Ubierring 6-8, im Gespräch mit dem Verfasser, 9.12.2011, gegen 14.30 Uhr.

(5) Familienministerin Kristina Schröder, CDU, im „Tagesspiegel am Sonntag“, 11.12.2011.
(6) Friederike Dobisch, „Der Andere Buchladen“, Ubierring 42, im Telefonat mit dem Verfasser, 9.12.2011, 13 Uhr.
(7) Josef Joffe, „Die Zeit“, 8.12.2011, S.14.

(8) Ebd.
(9) Bernd Gäbler, ehem. Geschäftsführer Grimme-Institut, im „Deutschlandfunk“, 18.2.2011, 18.40 Uhr.

(10) Ebd.
(11) Ebd.
(12) „Bunte“, 8.12.2011, S.84.
(13) Andreas Bernheim, Pressesprecher Herder-Verlag, im Gespräch mit dem Verfasser, 9.12.2011, gegen 16.30 Uhr.
(14) Ebd.
(15) Klappentext linke Innenseite, aus: „Vorerst gescheitert: Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo.“ Herder Verlag. Freiburg im Breisgau 2011.
(16) Kurt Tucholsky, „Das Persönliche“, in: Ders.: „Kopf ab zum Gebet“. Gedichte und Satiren. Arena Verlag 2004, S. 595.
(17) Hans Schumandl, „Buchhandlung am Chlodwigplatz“ im Gespräch mit dem Verfasser, s.o.
(18) Friederike Dobisch, „Der Andere Buchladen“, im Telefonat mit dem Verfasser, s.o.
(19) Hans Schumandl, „Buchhandlung am Chlodwigplatz“ im Gespräch mit dem Verfasser, s.o.
(20) Ebd.
(21) Ebd.
(22) Horst Seehofer, „Welt am Sonntag“, 11.12.2011.
(23) Andreas Bernheim, Pressesprecher Herder-Verlag, im Gespräch mit dem Verfasser, s.o.
(24) Ebd.
(25) Francisca Zecher beim Grünkohlessen in der Wohnung des Verfassers, 7.12.2011, gegen 21 Uhr.
(26) „Bild am Sonntag“, 11.12.2011
(27) Johan Schloemann, „Süddeutsche Zeitung“, 6.12.2011, S.11
(28) Josef Joffe, „Die Zeit“, 8.12.2011, s.o.
(29) Ebd.
(30) Johan Schloemann, „Süddeutsche Zeitung“, 6.12.2011, s.o.
(31) „Bunte“, 8.12.2011, S.84
(32) Ebd.
(33) Ebd.
(34) Josef Joffe, „Die Zeit“, 8.12.2011, s.o.
(35) Daniela Vates, „Frankfurter Rundschau“, 9.12.2011, S.11
(36) Kurt Tucholsky, „Das Persönliche“, in: Ders.: „Kopf ab zum Gebet“. Gedichte und Satiren. Arena Verlag 2004, S. 595.
(37) dankt der deutschen Presse, dem Team von „Meine Südstadt“ und den Grünkohlgästen vom 7.12. für die Ideen und Zitate.

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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