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Politik Umwelt

Der große Etikettenschwindel vom „alternativen“ oder „grünen“ Investment

Montag, 28. September 2015 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Was passiert, wenn sich das große Geld die Äcker der Welt schnappt? Nichts Gutes, sagt Filmemacher Kurt Langbein. In seinem Dokumentarfilm „Landraub“ zeigt er, wie Agrarinvestoren in großem Stil Landflächen in Afrika und Asien aufkaufen, um darauf Pflanzen für die Weltmärkte anzubauen. Kleinbauernfamilien und die Natur bleiben auf der Strecke. Und wir – als Konsumenten und Anleger – sind es, die das ganz große Rad in die falsche Richtung drehen, erklärt der Regisseur im Gespräch mit Meine Südstadt.
Der große Etikettenschwindel vom „alternativen“ oder „grünen“ Investment.

Herr Langbein, wenn es so weiter geht wie bisher, wann ist die Welt ausverkauft???

Ich wage keine Prognose in Jahreszahlen. Aber wir stehen vor einer Weichenstellung. Wenn in diesem Tempo immer mehr junge Menschen auf der Welt ohne Land und Boden da stehen, ohne Perspektive, dann drohen riesige soziale und ökologische Verwerfungen. Das soziale Gefüge und auch die Umwelt sind bedroht. Die Agrarindustrie ist nur in ihren attraktiven Aussagen die Retterin der Welt. In Wahrheit ist sie die Zerstörerin. Sie macht mit ihren riesigen Plantagen und Äckern das soziale Gefüge auf dem Land ebenso kaputt wie die Böden, und verstärkt den Treibhauseffekt.

?Ihr Film zeichnet ein Bild vom großen Investoren-Run auf die Böden dieser Erde. Ist es wirklich ein Hype, oder sind wir hysterisch?
?Es ging los 2007/8 während der Finanzkrise. Da wurde in der Finanzwelt nach Anlagemöglichkeiten gesucht, die langfristigere, stabilere Perspektiven bieten. Und schon Mark Twain hat ja gesagt: „Kaufen Sie Land. Es wird nicht mehr gemacht.“ Boden ist nicht vermehrbar, im Gegenteil: Nutzbarer Boden wird weniger durch Degradation und das Wachstum der Bevölkerung. Eine Wertsteigerung ist automatisch gegeben. Seitdem gibt es eine rasante Entwicklung, die nur unterbrochen wird von Verwerfungen in einzelnen Ländern. Aber die großen Ertragsgruppen stehen in engem Kontakt mit vielen Regierungen. Es werden auch regionale, mit der Regierung verbandelte Gruppen mitbedient. Das ist ein durchaus  korruptes System in vielen Ländern Afrikas und Ostasiens, das es möglich macht, dass Megaflächen plötzlich den großen Konzernen gehören oder in Pacht überlassen werden für hundert Jahre.

?Wer sind die Menschen hinter diesen Konzernen. Sind das Leute wie du und ich, die Anteile an einem Fonds kaufen, oder sind es ganze Staaten?
Es sind ganz wenige Staaten darunter. Fast immer sind es Mischkonzerne mit großen Beteiligungen der Finanzinstitute. Man könnte auch sagen: Es sind wir. Weil 44 Prozent der weltweiten Investitionen in die Agrargroßindustrie aus Europa stammen. Es sind die europäischen Finanzinstitutionen und Pensionsfonds, die jetzt in der Landwirtschaft Anlageformen fanden, die nicht rein spekulativ sind. Es gilt als“ alternatives“ Investment, manchmal wird es auch als „Green Investment“ verkauft. Und viele Anleger, das zeigen auch die Diskussionen mit den Zuschauern im Kino, die versucht haben, vernünftig zu investieren, sind diesem Etikettenschwindel auf den Leim gegangen.

Und konnten sich über gute Renditen freuen.
Natürlich – die Renditen sind verflucht hoch. Und man kann sagen: Europa ist der Haupttäter und der größte Nutznießer dieser katastrophalen Entwicklung. Und es ist eine Frage der europäischen Politik, hier Weichenstellungen zu vollziehen, die dieser Entwicklung Einhalt gebieten und Menschenrechte nicht nur in Sonntagsreden vorkommen lassen, sondern einfordern, wenn es um die eigenen Konzerne geht.

Was wären solche Weichenstellungen?
Das europäische Parlament schafft die Rahmenbedingungen, wie Investments in Agrar und Grün zu laufen haben. Europäische Finanzmittel dürften eigentlich nur da eingesetzt werden, wo Menschenrechte und soziale Mindeststandards umgesetzt werden. Umgekehrt gilt das gleiche für den Import. Wir sind ja auch die größten Nutznießer: 60 Prozent von dem, was wir täglich konsumieren, wächst nicht mehr in Europa, sondern in den Ländern, in denen die Leute eh zu wenig zu essen haben. Auch da könnte man mit klaren Importvorschriften dafür sorgen, dass Importe aus Orten, wo Menschenrechte verletzt werden, wo Bauern vorher von ihrem Land vertrieben wurden, wo ökologische Standards nicht eingehalten werden, erschwert oder unmöglich gemacht werden. Die unsinnige und unkluge Ideologie des Freihandels steht dem entgegen, weil der Freihandel, so wie er von den großen Playern heute verstanden wird, dazu führt, dass die Schwächeren draufzahlen und immer noch mehr verlieren.

 

Sie haben ja auch Stimmen von Menschen, die sehr dankbar, glücklich über die Großinvestoren sind, die ihnen Arbeit, Geld und  den Kindern Bildung ermöglichen.
Es gibt natürlich Nutznießer. Aber sehen Sie unser Beispiel im Film in Sierra Leone, ein Zuckerrohrgroßprojekt des Investors Addax: Da sind 53 Dörfer betroffen, und wenn ein Zehntel dieser Menschen davon profitiert, dann sind 90 Prozent Verlierer. Das kann man nicht als Fortschritt und Gewinn bezeichnen.

Es wird oft gesagt: Kritiker von Veränderungen in der südlichen Landwirtschaft blicken ziemlich naiv auf ländliche Entwicklung, weil sie keine Ahnung davon haben, wie hart das Leben auf dem Land sein kann. Sie zeigen es ja auch in ihrem Film, was für eine Knochenarbeit das Pflügen mit Ochsen sein kann. Das alles so bleibt, ist doch nicht wirklich erstrebenswert, oder?
Eine gewisse Mechanisierung in bescheidenem Ausmaß ist durchaus möglich. Es müssen nicht immer die Ochsen sein, aber es darf auch nicht der Großtraktor sein. Weil der zu viel kostet, zu viel Energie verbraucht, und weil er die Böden kaputt macht. Entscheidend ist doch, dass die 400 Millionen Bauern, die südlich der Sahara in Afrika leben, und ebenso viele, die in Lateinamerika und Ostasien rund um den Äquator leben, eine Perspektive haben. Hochtechnologie und Megamaschinen sind für die keine Perspektive. Handarbeit dagegen ist es sehr wohl. Wir sollten einen neuen Blick auf die Agrarentwicklung werfen. Das zeigen Modelle, die wir auch in dem Film gesucht haben: Dass es eben möglich ist, mit den modernen Methoden der Wissenschaft Ertragssteigerungen möglich zu machen, dass diese Menschen nicht nur sich selbst versorgen können, sondern auch noch die Städte in ihrer Umgebung. Das ist keine Utopie, sondern eine konkrete Alternative. Der andere Weg – der Weg der Großindustrie – würde dazu führen, dass von den 400 Mio. Bauern vielleicht ein  Zehntel übrigbleibt. Und was machen die anderen, beraubt ihrer Perspektive und Möglichkeiten? Sie werden sich in Bewegung setzen.

Das tun sie doch eh schon. Die Perspektiven sind ja jetzt schon schlecht auf dem Land – angesichts von harter Arbeit, Armut, Hunger. Bereits jetzt machen sich viele auf den Weg in die Stadt.
Auf dem Weg in die Stadt gibt es im Süden aber keine Perspektive. Weil im Gegensatz zu bei uns vor 150 Jahren, dort keine Industrialisierung stattfindet, die eine Jobperspektive schafft. Es kann also in der Zukunft nur eine kleinbäuerliche Perspektive geben, eine ökologische auch, die Böden und natürliche Ressourcen bewahrt, so dass auch für die künftigen Generationen noch etwas bleibt.
Dort, wo moderne kleinbäuerliche Modelle funktionieren, haben die Leute eine Perspektive und bleiben. Es gibt da ganz erstaunliche Entwicklungen: Bauern, die selber noch vor 15 Jahren damit gekämpft haben, zu überleben, verdienen jetzt so viel, dass sie ihre Kinder zum Studieren schicken können. Da passieren riesige Entwicklungen in eineinhalb Generationen. Das heißt aber nicht, dass die Regionen entvölkert werden.
Und es braucht dazu die Wissenschaft und damit auch die Unterstützung von uns. Statt in Megaplantagen zu investieren, wäre Europa aufgefordert, in vernünftige, intelligente Agrartechnologien für die Landwirtschaft zu investieren. Es gibt viele Ansätze, die in die Richtung führen. Das Wissen, das bei uns und auch in vielen Schwellenländern vorhanden ist, würde ausreichen, um die Entwicklung möglich zu machen. Unsere großen Megamaschinen und unsere Hochtechnologie ist jedenfalls nicht die Lösung.

Wir als Verbraucher und Mini-Investoren: Was können wir tun?
Wir sind als Konsumenten gefragt. Warum essen wir Palmöl in jedem zweiten Supermarktprodukt? Das Palmöl haben wir von 40 Jahren hier auch nicht gegessen. Und es hat uns nicht gefehlt, oder? Warum greifen wir für unser Essen auf die Ressourcen der Äquatorzone zurück? Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, außer den der Industrielogik: dass sich Palmöl halt so billig herstellen lässt. Wenn wir regionale Produkte essen, frisch und saisonal essen und Nahrung wieder mehr selbst zubereiten, dann ändern wir daran schon ganz viel. Weil das Wachsen der industriellen Nahrungsmittelproduktion ein guter Teil dieser verzerrten Entwicklung ist. So gesehen wird auch Essen zu einem politischen Statement.
 

Herr Langbein, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Gastautor

Dehá

 

 

„Landraub“ wird ab 8.10.2015 im Odeon Kino gezeigt.

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2015 zum „Internationalen Jahr des Bodens“ ausgerufen. In LANDRAUB zeigen Regisseur Kurt Langbein und Autor Christian Brüser in großen, eindrucksvollen Bildern die Folgen und die Dimensionen: Zwei Jahre sind sie um die Welt gereist und besuchten die Investoren und Opfer des neuen Kolonialismus. In ihrem Film zeigen sie, wie indigene Völker und einzelne Bauern in Europa, Afrika, Asien und Südamerika vertrieben werden und Nahrung nicht für die Region, sondern im großen Stil für die Märkte der wohlhabenden Länder produziert wird. Was hat dieser Landraub mit uns zu tun? Es sind EU-Programme, mit deren Hilfe unter anderem riesige Zuckerrohr- und Palmöl-Plantagen entstehen – angebaut für Lebensmittel, Biosprit und Kosmetikprodukte in Europa. Und es sind Entwicklungshilfe-Gelder, mit denen schwerreiche Investoren sich absichern und damit Millionen Bauern ihre Lebensbasis und Entwicklungschancen rauben.

 

Text: Gastbeitrag

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