„Der kleine Kaiser“ oder „Warum ich Fan der deutschen Ländermannschaft bin.“
Freitag, 2. Juli 2010 | Text: Roger Lenhard
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Gesucht: Ein deutscher Fußballer.
Sein erster Verein als Siebenjähriger war der Fußballclub BSG Motor Fritz Heckert. 1988 wechselte er zum FC Karl-Marx-Stadt, der sich nach der Wende in Chemnitzer FC umbenannte. Hier erhielt er 1995 seinen ersten Profivertrag und zeitgleich seinen Spitznamen „Kleiner Kaiser“. Zwei Jahre später absolvierte alle Partien und schoss zehn Tore.
Gesucht: Ein deutscher Fußballer.
Sein erster Verein als Siebenjähriger war der Fußballclub BSG Motor Fritz Heckert. 1988 wechselte er zum FC Karl-Marx-Stadt, der sich nach der Wende in Chemnitzer FC umbenannte. Hier erhielt er 1995 seinen ersten Profivertrag und zeitgleich seinen Spitznamen „Kleiner Kaiser“. Zwei Jahre später absolvierte alle Partien und schoss zehn Tore.
Otto Rehagel holte den 21-jährigen 1997 zum Erstliga-Aufsteiger Kaiserslautern. Der Gesuchte kam auf sechzehn Einsätze und wurde mit dem FCK sofort deutscher Meister. Er blieb ein weiteres Jahr, wurde Stamm- und Führungsspieler und ging dann für drei Jahre zu Bayer Leverkusen. Im Jahr 2000 wurde er zur tragischen Figur, als ihm im letzten Spiel gegen Unterhaching ein Eigentor unterlief und er damit den Gewinn der deutschen Meisterschaft verhinderte. Zwei Jahre später gehörte er zur legendären Leverkusener Mannschaft, die das Triple holte und in der Champions League, in der Meisterschaft und im Pokal Zweiter wurde. Einmalig in der europäischen Fußballhistorie – Kölner erinnern sich besonders gerne daran. Mit der Ländermannschaft wurde er 2002 Vizeweltmeister, wobei er im Enspiel gesperrt war, nachdem er im Halbfinale uneigennützig, sich der Konsequenz völlig bewusst, in höchster Not ein taktisches Foul begehen musste. Als Vizeallergiker beschritt er nicht den Weg der Desensibilisierung, sondern wählte die bayerische Erfolgsleiter bis 2006. Mit nun insgesamt vier Deutschen Meisterschaften und drei Pokalsiegen im Gepäck trat er seine Reise zum FC Chelsea an, wo sein Aufenthalt 2010 endete (Meister 2010, 3x Pokalsieger).
Genau: Michael Ballack, 33, Mittelfeldspieler, unglaubliche 42 Tore in 98 Länderspielen. Die Fußballbegeisterten haben sofort gewusst, wer gemeint war. Andere weniger Interessierte vielleicht etwas später, jedoch die Allermeisten irgendwann. Ballack war natürlich einfach, eine Null-Euro-Frage. Aber auch bei den anderen Spielern, egal ob Tim Wiese, Thomas Müller, Stefan Kießling oder wer auch immer, wäre die Trefferquote enorm hoch gewesen. Selbst bei Spielern in der Liga, die über einen längeren Zeitraum eine gewisse Bedeutung im Spielbetrieb haben oder hatten, sind uns ohne Anstrengung Eckdaten vertraut.
Wir, die wir all die Jahre den Fußball erleben und erleiden, finden in den Fußballspielern Weggefährten, von denen uns einige über Jahre begleiten und mit uns älter werden. Die Spieler kommen uns nahe, werden zunehmend vertrauter. Bilder vom Anfang und vom oftmals verletzungsbedingtem Ende ihrer Laufbahn tauchen in unseren Erinnerungen auf. Wir kennen ihre Stärken und Schwächen; ihre Glanztaten und ihr Versagen. Sehen Entwicklungslinien in ihrem fußballerischen Vermögen: Steigerung oder Sillstand, manchmal Rückschritt. Das alles ist zugegebenermaßen gefiltert durch die Zuneigung zu unserem jeweiligen Verein. Wir lieben unsere Spieler und verachten die Spieler anderer Vereine. Aber die Verachtung bezieht sich doch, sofern wir ehrlich sind, eher auf die unangenehmen Farben und obskuren Embleme der Trikots, als auf die Spieler selbst, von einzelnen Ausnahmen abgesehen.
Das alles kann ich von den Spielern anderer Länder nicht behaupten. Die meisten sind mir nicht bekannt und die mir bekannt sind, sind mir nicht vertraut. Die mir vertraut sind, spielen schon länger in der Bundesliga und haben leider keinen deutschen Pass. Und dieser Pass, bzw. Staatsangehörigkeit ist für Deutschland wie für die anderen Länder auch die zweite Bedingung, neben dem y-Chromosom, um am sportlichen Kräftemessen des Weltturniers für männliche Fußballer teilzunehmen.
Selbstverständlich drücke ich der deutschen Mannschaft beide Daumen ohne den Hauch von Deutschtümelei. Habe ich schon 1974 als Junge so gemacht und werde es auch weiterhin so halten. Pathetischer „ich-liebe-mein-Veterland-Patriotismus oder gar Nationalstolz sind mir nicht nur fremd, sondern ein Greuel. Selber zu existieren ist so allerunwahrscheinlichst, dass nur ein klitzekleines Fitzelchen zur Unmöglichkeit fehlt. Zur Entstehung dieser Fast-Unmöglichkeit hat keiner auch nur irgendetwas beigetragen. Wie kann man darauf stolz sein und warum schwingt man bösartig die Keule gegen Menschen anderer Herkunft, die ebenso wenig dafür können? Keine Ahnung!
Die Keule sich vor den eigenen Kopf zu knallen, ist allerdings auch keine Lösung. Es sei denn, einen Sprung in der Schüssel zu bekommen ist ein erstrebenswertes Ziel, und den bekommt man auf jeden Fall, falls er nicht schon vorher da war: Es gibt tatsächlich Leute, die hier leben und aufgewachsen sind und die partout immer den Gegnern der DFB-Auswahl den Sieg gönnen. Diese Deutschlandverachtung, obgleich nicht gefährlich, kann ich genauso wenig nachvollziehen wie den Stolz auf die eigene Abstammung. Zumal da Mannschaften unterstützt werden, deren Zuschauer einen rustikaleren Nationalismus pflegen als den Party-Patriotismus vieler Deutscher. Genug damit. Eigentlich freue ich mich nur wie wahnsinnig auf die Knallerbegegnung am Samstag und habe mit dem Schreiben wieder prima ein bisschen Zeit überbrückt.
Und ihr lieben Spieler, solltet ihr tatsächlich dem Angriffswirbel der Argentinier standhalten und mit schnellem variantenreichen Konterspiel zu spielentscheidenden Toren kommen, bitte haltet Euch bei einer Keilerei nach dem Spiel zurück oder schickt Tim Wiese vor.
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