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Bildung & Erziehung Gesellschaft

Der Pfad ist das Ziel

Sonntag, 12. Mai 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Was tun Pfadfinder? Warum heißen sie so? Können Sie wirklich in jeder Lebenslage Feuer machen? Oder ist das ein Klischee? Das will ich bei diesem Termin herausfinden. In der Rolandstraße und im Zugweg tagt die Bundesversammlung der DPSG – das ist die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg.

Es ist früher Abend. Aus ganz Deutschland trudeln Pfadfinder ein, 130 insgesamt, plus mehr als 30 Helfer aus Köln. Am Eingangstor steht David Dressler von der DPSG Köln und begrüßt alle. Es gibt Kölsch vom Fass und Fassbrause. Im Hintergrund läuft (überwiegend) kölsche Musik. Viele hier tragen das, was das Bild vom Pfadfinder prägt: die Kluft. Das heißt: Hemd und Halstuch. David Dressler trägt als Helfer noch eine rote Heinzelmännchen-Zipfelmütze dazu. Er ist Pfadfinder, sagt er, weil er das Gemeinschaftsgefühl immer schon mochte. Und, ja, er spielt Gitarre, und er mag Lagerfeuer.

 

Unsere Fotografin Tamara und ich gehen ins Café. Dort spreche ich mit Anna Klüsener – ebenfalls vom DPSG Köln – und mit dem Bundesvorsitzenden Dominik Naab. Jetzt will ich wissen: Warum heißt es eigentlich „Pfadfinder“? Anna Klüsener legt die Latte hoch: „Es geht darum, seinen Lebensweg zu finden. Es geht nicht nur um die Pfade im Wald, sondern um die Pfade des Lebens.“ Dominik Naab spinnt den Gedanken fort: „Wir sehen uns als kompetenter Kinder- und Jugendverband, der viel zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen beiträgt.“

Okay. Das ist eine Ansage. Und wie setzt ein Pfadfinder das um? „Wir setzen uns ein für die eigene Gruppe, aber auch für andere, zum Beispiel für sozial Benachteiligte und Menschen mit Behinderungen“, sagt Dominik Naab. „Wir sind eine internationale Bewegung, eine Solidargemeinschaft. Wir sind allerdings kein offener Jugendclub, also die Mitgliedschaft ist uns schon wichtig.“

?Die DPSG in Deutschland zählt 95.000 Mitglieder (und ist damit der größte Zusammenschluss). Sie ist ein katholischer Verband und arbeitet eng mit den Pfarrgemeinden zusammen. Allerdings kommen fast alle Pfadfinder aus Westdeutschland. Im Osten hat die Bewegung bis heute kaum Fuß gefasst. „Das ist eine doppelte Diaspora“, sagt Dominik Naab. „Als erstes sind die Kirche und das Katholisch-Sein in Ostdeutschland nicht so sexy, und als zweites sind Jugendverbände, in denen jeder ein hellbraunes Hemd trägt, im Osten negativ belastet.“

Was mich auch überrascht: In der Kölner Südstadt gibt es zwar das DPSG-Haus mit vielen Bildungsangeboten. Aber, sagt Anna Klüsener, es gibt in der Südstadt keinen eigenen Stamm. So heißen die Pfadfindergruppen an einem Ort – in der ganzen Diözese Köln sind es um die 100 Stämme. In der Südstadt aber, erfahre ich, da lief die Jugendarbeit schon so gut, dass die Kirchengemeinde Sankt Severin kein besonderes Interesse hatte. Hinzu kommt ein gewisser Mangel an Organisatoren: „Wir brauchen junge Erwachsene, die Lust haben, ein Ehrenamt auszuüben“, sagt Anna Klüsener.

Ein Personalproblem gibt es gerade auch im Bundesvorstand der DPSG: Der besteht aus einem Mann, einer Frau und einem Geistlichen, dem „Bundeskuraten“. Sein Posten ist eine Vollzeitstelle und gerade vakant – obwohl es Bewerber gab. Das Problem ist, erzählt Dominik Naab, dass die Kirche niemanden freistellen wollte – weil sie selbst zuwenig Priester hat. Merkwürdig, denke ich: Die Pfadfinder sind doch eine gute Zielgruppe für kirchlichen Nachwuchs.

Karl Bösel von den Pfadfindern in Moabit.

 

Dominik Naab sagt das ganz offen: „Wir waren enttäuscht, dass die Bischöfe die Bedeutung des Verbandes nicht erkannt haben.“ Die DPSG hat darum vor kurzem die Priesterpflicht für den Posten des Bundeskuraten aufgehoben – in der Hoffnung, nun leichter jemanden zu finden.

Ich frage auch nach dem Thema sexueller Missbrauch. Und ich erfahre: Seit Jahren geht die DPSG nach eigenen Angaben sehr konsequent mit dem Thema um. Dominik Naab ist selbst in der Prävention tätig, und die DPSG schaltet seit 2007 bei allen Verdachtsfällen externe Beratungsstellen ein. Online findet man auch die Stellungnahme der Ko-Vorsitzenden Kerstin Fuchs, die sich erschüttert über vertuschte Missbrauchsfälle beim US-Verband „Boy Scouts of America“ äußert.

Am nächsten Morgen schaue ich mir noch das Plenum der Bundesversammlung an: Die 130 Pfadfinder tagen im Zugweg in der Aula des Berufskollegs. Die Szenerie erinnert mich an einen Parteitag: Oben auf der Bühne sitzt an einem langen Tisch der Vorstand, unten an Tischen sitzen die Delegierten. Hinten rechts an einem Tisch mit zwei Laptops hat Christian Schnaubelt vom Medienteam seinen Platz. Er macht nicht nur Fotos, er filmt auch Videosequenzen für den Internetauftritt.

Die sozialen Netzwerke werden ebenso bespielt: #dpsgbv13 heißt der Hashtag bei Twitter, und auch unter www.facebook.com/dpsg.de berichten die Pfadfinder in Echtzeit über ihre Versammlung. Und noch ein Detail: Im Eingangsbereich liegen kleine Zettel mit den wuseligen, viereckigen Codes, die jeder mit dem Handy scannen kann – und dann zum Beispiel direkt auf der Homepage der „World Organization of the Scout Movement“ landet (das ist einer der beiden großen, internationalen Dachverbände).

?Am meisten beeindruckt mich heute Karl Bösel aus Berlin. Er ist von Beruf Polizist und erzählt von seinem Pfadfinder-Heimatstamm in Moabit. Den Stamm gibt es seit 80 Jahren, mit einer Pause während der Nazizeit. Moabit ist bis heute kein einfaches Pflaster. „Manchmal“, sagt Karl Bösel, „kommt ein Kind nachmittags zu mir und fragt als erstes: Habt ihr was zu essen? Das ist zwar nicht unsere Aufgabe, aber ich sage dann eben trotzdem: Okay, wir gehen eine Pizza essen.“ Im Endeffekt aber, sagt er, sind wir Amateure. Das heißt für ihn: Wenn ein Kind erzählt, dass es zuhause geschlagen wird, dann endet die Zuständigkeit des Amateurs. Dann bekommen die Behörden, also Fachleute, den Fall übergeben.

In Moabit haben die Pfadfinder auch eine Schulkooperation, berichtet Karl Bösel. „Als Reaktion auf den Offenen Ganztag“. Klar: wenn die Schüler nachmittags in der Schule sind, haben sie keine Zeit für das Pfadfinderleben. „Also machen wir eine Gruppenstunde als AG, als zusätzliches Angebot zum Offenen Ganztag.“ Die Grundschule ist begeistert“, sagt Karl Bösel, „aber bei uns im Stamm war das ein größerer Schritt.“ Warum? „Weil auch wir traditionell sind, weil wir so etwas noch nicht hatten. Und weil es nicht einfach ist, Leute zu finden, die vor 16 Uhr Zeit haben.“

Bundesversammlung in der Aula der Berufsschule Zugweg, in der Kölner Südstadt.

 

Mein Fazit nach dem Besuch bei den Pfadfindern: Die „Kluft“ aus Hemd und Halstuch bleibt mir fremd, auch wenn ich verstehe, dass damit Identität entstehen und soziale Unterschiede ausgeglichen werden sollen – so wie bei einer Schuluniform. Aber die Pfadfinder, die ich getroffen habe, sind mit Leidenschaft bei der Sache. Sie sind weltoffen, sympathisch und haben Interesse an ihrem sozialen Umfeld. Und sie bieten – so wie ein Fußballverein – eine Anlaufstelle, eine Gemeinschaft. Mir gefällt das Bild vom „Pfad finden“, also dass ein Pfadfinder letztlich vor allem eines sucht: seinen Weg im Leben. Am Ende habe ich nur eines vergessen: Die Frage, ob Pfadfinder wirklich überall Feuer machen können.

 

 

Mehr zum Thema:

Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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