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Kultur

Der rote Drache der Rheinuferstraße

Sonntag, 11. Juli 2010 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Angie Hiesl und Roland Kaiser verwandeln die Südstadt für einen Sommerabend – und stellen ihr neues Buch vor.
Wie das leuchtet. Schon von weitem, knallrot in der Abendsonne. Die erste Assoziation: Ein chinesischer Drache schlängelt sich auf dem Seitenstreifen der Rheinuferstraße entlang. Eines dieser luftigen Fabelwesen, viel schlanker als unsere europäischen Märchen-Drachen. Zehn, fünfzehn Meter lang ist die Installation. Sie besteht aus hunderten von bauchigen, rot-gelben Laternen, wie sie vor dem China-Restaurant hängen. Die Laternen bilden eine kompakte Kette. Vorne wird das Ganze von einem chinesischen Lastenfahrrad gezogen. Und hinten – direkt vor der Ampel – winden sich die Laternen an einem der Bäume empor. Eine Kleingruppe von beleibten Damen bleibt stehen. Eine murmelt: „Was soll denn das bedeuten? Wir wissen das nicht, wir sind aus Bayern.“ Roland Kaiser sagt dazu später einen schönen Satz: „In Bayern gibt es auch viele Sachen, die man nicht versteht“.

Der Sommerabend ist besonders staubig und heiß. Nur für einen Tag haben die Kölner Performance-Künstler Angie Hiesl und Roland Kaiser (nein, nicht „der“ Roland Kaiser) die Kreuzung Rheinuferstraße und Mechtildisstraße mit ihren Laternen verwandelt. Ein flüchtiges Kunstwerk, ein bunter Fremdkörper im urbanen Alltag. Wie immer ein bisschen verrückt und irritierend. Schön sieht das aus – und kitschig. Die Installation heißt „Roter Fluss“ (also doch kein Drache). Ein 132er-Bus fährt vorbei. Köpfe drehen sich, Handys werden gezückt. Es dürfte das erste Mal sein, dass die Kreuzung Mechtildisstraße fotografiert wird.

 

Eigentlich ist der „Rote Fluss“ nur Beiwerk. Der Anlass des Abends ist die Präsentation eines Buchs über ein Projekt der beiden Künstler, die „china-hair-connection beijing-cologne“. Ein Zyklus zum Thema Haare. Der Höhepunkt war 2008 mit Performances im Eigelsteinviertel und in Caochangdi im Nordosten von Peking. Jetzt hat der Emons-Verlag das Projekt in einem Buch dokumentiert, mit wenig Text und wunderbaren Fotos. Sie zeigen, wie Angie Hiesl und Roland Kaiser sich in Köln und Peking mit dem menschlichen Haar auseinandergesetzt haben.

Ein Foto aus dem Buch: Ein Frisierkopf aus Plastik mit schwarzem Haar liegt auf einem Haufen Bauschutt. Im Hintergrund erkennt man eine Mauer, darauf ein verblichenes Bild einer Gruppe von Chinesen in roten T-Shirts. Alle schwenken eine rote Schirmmütze, ihre Köpfe samt Haar (oder Glatze) sind entblößt. Auf Seite 20 ist zu lesen, das Haar sei „Symbol, Fetisch, Mythos, Material, soziales und geschlechtliches Zeichen, Transportmittel der Erinnerung, erotisches Signal.“ Zitatende.

Etwa 100 Menschen stehen an diesem Abend in der Halle des Kunsthauses Rhenania auf der anderen Straßenseite. Es gibt Tsingtao-Bier, Wasser und Apfelschorle. Angie Hiesl macht deutlich, dass ein so umfangreiches, interkontinentales Projekt wie die „china-hair-connection“ ohne die Förderung von Bund, Land und Stadt nicht möglich gewesen wäre. Hans-Joachim Wagner von der Kunststiftung NRW schwärmt vom Assoziationsreichtum in den Werken von Hiesl und Kaiser und liefert Basiswissen: Haare seien lange Hornfäden, erklärt er. Sie bestünden im Wesentlichen aus Keratin, das sich aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Schwefel zusammensetze. Der Leiter des Kölner Kulturamtes schwärmt auch: Konrad Schmidt-Werthern meint, wer das Buch aufschlage, der sei beglückt. Das passt gut zu der Installation dort draußen: Auch die rote Laterne steht in China seit Ewigkeiten für das Glück. Nach den Grußworten gibt es Frühlingsröllchen, Filme und Musik.

Beim Interview einen Tag vorher erzählen die Künstler von China und der Kölner Südstadt. Angie Hiesl führt durch das Gespräch, Roland Kaiser beschränkt sich auf kurze Statements. Man spürt sofort, wie sehr beide mit dem Herzen bei der Sache sind. In China zu agieren, heißt Kompromisse zu schließen: Angie Hiesl sagt das ganz offen. So habe sie einmal unterschreiben müssen, dass sie weder politisch noch pornographisch arbeite. Denn: Offene Statements gegen das Regime sind tabu. Schon um die chinesischen Künstler von „Living Dance“ nicht zu gefährden, mit denen sie und Roland Kaiser zusammengearbeitet haben. Eine einschneidende Erfahrung haben sie 2005 gemacht: Nach einem Vortrag in Peking gab es eine kurze Performance im öffentlichen Raum, und sofort schritt die Polizei ein und kontrollierte die Papiere von einigen der chinesischen Künstler.

Am Ende landen wir in der Südstadt. Angie Hiesl hat seit vielen Jahren ihr Atelier im Kunsthaus Rhenania. Wie haben die beiden Künstler die Entwicklung des Rheinauhafens erlebt? „Das Areal hat immer noch etwas sehr Cleanes“, meint Roland Kaiser und lacht. „Ich würde mir ja mittendrin mal was ganz Banales wünschen, vielleicht einen Aldi.“

Angie Hiesl greift den Gedanken auf: „Die Anbindung an die Südstadt fehlt noch. Aber diese Unkraut-Brachen: Die sind doch wunderbar.“ In ihren Augen leuchtet es. „Ich mag die Freiräume, die noch nicht vorbetoniert sind. Und ich finde es super, wenn die Menschen sich mit Picknick-Körben auf die Freitreppen am KAP setzen. Es ist doch toll, wenn sie den öffentlichen Raum für sich vereinnahmen.“ Besonders gut gefällt ihr, dass der Obst- und Gemüsestand vom Platz „An der Eiche“ beim Haus Müller neuerdings jeden Mittwoch am Rheinauhafen steht. Ja, sagt sie, na klar habe ich da schon eingekauft.

Am Ende bleibt eine Frage, wo es doch so ausführlich um Haare ging: Bei welchem Frisör lassen sich die beiden die Haare schneiden? Roland Kaiser antwortet als erster: „Also, ich mache das immer selbst.“ „Ich auch“, meint Angie Hiesl. „Aber wenn, dann würde ich zum ‚Haarem‘ am Ubierring gehen. Und wenn ich ein Mann wäre, dann auf jeden Fall zu Salon Meyer in der Darmstädter Straße. Schon wegen der schrägen Deko im Schaufenster.“

„china-hair-connection beijing-cologne“

Angie Hiesl/Roland Kaiser
Emons Verlag, 32 Euro.
www.angiehiesl.de

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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