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Umwelt

Der Sittich ist der letzte Nachmieter

Montag, 20. November 2017 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Als ich 2011 in Bayenthal lebte, sagte mein Vermieter: „Wenn grüne Papageien vorbei fliegen, ist das normal.“ Das sehen viele, die im Kölner Süden leben, heute anders. Schon kam eine Böllerschussanlage zum Einsatz, ausgerechnet vor einer Kita. Die Halsbandsittiche haben die Bevölkerung polarisiert, die Presse dramatisiert und die Stadtverwaltung hat beschlossen, es müsse sofort vergrämt werden. Aber wie? Der Ornithologe Achim Kemper, der Biologie studiert hat und auch als Naturfotograf und Musiker agiert, sammelt fleißig Fakten. Nur so könne man das heiße Eisen richtig anfassen und die Vögel artgerecht schützen, sagt er im Interview mit „Meine Südstadt“.

Kürzlich hieß es in einer Kölner Tageszeitung sinngemäß: Ein Experte sei noch nicht gefunden, für die Umweltausschusssitzung im Oktober solle aber jemand kommen „der sagt, wie es gehen könnte.“ Waren Sie das?
Achim Kemper, lacht: Na ja, wir haben vom NABU Köln aus sachlich über die neue Schlafplatz-Entwicklung nach der Vergrämung berichtet. Stichwort alternative Vergrämungsmethoden. Man merkte schnell: Das Thema ist ein ganz heißes Eisen. Da sitzen die Verantwortlichen zwischen allen Stühlen.

Bei so einem Thema?
Es ist ziemlich komplex. Da gibt es einflussreiche Lobbies, u.a. die Firmen im Rheinauhafen, Anwohner, Kindergärten, Restaurantbesitzer, Tierärzte; ich nenne nur mal einige Gruppen. Auf der anderen Seite der Tier- und Artenschutz. Unser Gedanke war: Wie kann der NABU mit der unteren Naturschutzbehörde zusammenarbeiten, um den Sittichen zu helfen und den Zeitdruck aus dem Procedere zu nehmen.

Weil es diesen Beschluss auf Verwaltungsebene gibt…
Genau. Alle Parteien, mit Ausnahme der Linken, haben ja im Februar für eine sofortige Vergrämung der Vögel gestimmt. Aus Beschwerdegründen, wie es hieß, und es sei unzumutbar. Dabei gab es fast keine Fakten aber viele Emotionen…

Wie geht es weiter? Den Sittichen an den Kragen?
Nein, erst mal nicht, denn die Situation ist total komplex, rechtlich und auch, was die Zuständigkeiten betrifft. Der Halsbandsittich hat sich bei uns als Neozoe etabliert, er brütet hier seit 48 Jahren und gilt als potentiell invasiv (= eine sich möglicherweise ausbreitende gebietsfremde Vogelart, Anm. der Redaktion). Man vermutet, er KÖNNE zur heimischen Vogelwelt als Konkurrent auftreten – was zur Zeit nicht untersucht ist! Es gibt dafür keine Belege oder Nachweise. Ich habe wochenlang recherchiert…

 


Der Halsbandsittich, auch Kleiner Alexandersittich (Psittacula krameri).
Foto: ©Andreas Eichler/CC-BY-SA 3.0 wikimedia

Wissenschaftler sind sich nicht eins, die Länder auch nicht. Kluger Ansatz, das Ganze zu versachlichen. Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Fakten?
1. Die Phase der Ausbreitung hat sich konsolidiert. Sie pegelt sich auf den Bestand ein, der da ist. Für Köln heißt das: Je nach Jahreszeit haben wir zwischen 1300 und 2300 Sittiche.
2. Die Art ist intelligent genug, als ausgesprochener Kulturfolger die ökologischen Nischen im städtischen Lebensraum zu besetzen, die er vorfindet: So brütet er bevorzugt in (Halb)-Kolonien oder auch einzeln, wenn er als Höhlenbrüter nicht genügend Nisthöhlen vorfindet.
3. Er ist Generalist, er frisst was er vorfindet, hat sein Spektrum auf 120 Pflanzenarten ausgeweitet. Das bedeutet auch, er frisst anderen nicht gleich alles weg, weil er sich alternative Nahrungsquellen erschließen kann.

Können Sie verstehen, dass Menschen so narrisch werden und auf die Tiere schießen? Was steckt dahinter?
Oh wei. Ich verstehe natürlich, dass das Gekreische auf die Nerven gehen kann. Dass Vogelkot stört. Aber dass ein Vater, wie in der Südstadt geschehen, eine Böllerschussanlage baut, dafür habe ich kein Verständnis. Das sind Wildwest-Methoden!

Sie meinen die Kita in der Kölner Südstadt, wo angrenzende Bäume als Schlafplatz der Sittiche fungierten… wenn Kinder im Spiel sind, sitzt der Colt scheinbar locker, oder?

So ist das vielleicht gewesen. Aber es gibt Gesetze, nach denen man privat nicht einfach mit solchen Methoden gegen Vogelschwärme vorgehen kann. Ich finde es grenzwertig, abends Handzettel mit der Warnung auszuteilen, morgen werde geschossen, aber man solle sich nicht sorgen, und das war es dann. Das ist doch ein Vergehen gegen gültiges Tierschutzrecht!

Was löst das Geballere bei den Tieren aus? Ich habe die Vögel, so wie sie am Rhein hin und her fliegen, als etwas verwirrt empfunden…
Das kann gut sein, Fakt ist: Wir wissen es nicht wirklich. Selbstverständlich ist klar: Die Sittiche treffen sich an zentralen Schlafplätzen, das ist ein Schutzbedürfnis, dem sie folgen. Bereits viermal wurde vergrämt – was diese massiven Eingriffe jedoch ausgelöst haben, wurde nie untersucht! Also habe ich auch vor dem Ausschuss gesagt: Wir müssen hier sehr vorsichtig sein mit dem, was wir tun.

Nun ist Fakt, dass durch die Beschlusslage etwas passieren muss. Sie und der NABU sind ja dabei, was wird Ihres Erachtens passieren, wenn die Diskussion versachlicht ist?
Für mich ist klar: Die Rechtslage muss vereinheitlicht, die Sittiche geschützt werden. Wie, das wissen wir noch nicht.

 


„Aber es gibt Gesetze, nach denen man privat nicht einfach mit solchen Methoden gegen Vogelschwärme vorgehen kann.“

Anders als Politiker sagen Sie das ganz offen…
Oh, ja, es bringt doch nichts anderes zu behaupten. Ich plädiere dafür, von Köln aus ein breites Netzwerk aufzubauen, die Funktion – wie in Düsseldorf bereits geschehen – eines Sittich-Beauftragten zu besprechen, das Thema und die Belange der Kölner Halsbandsittiche an die Öffentlichkeit zu tragen. Vielleicht kann man daraus auch für die vielen Köln-Touristen etwas Positives machen…

Als ich mir das Spektakel der einfliegenden Papageien vor dem Musical Dome angeschaut habe, waren viele begeistert, andere haben es gar nicht bemerkt…
Eben, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Ich empfehle den Umweltpolitikern der Stadt dringend: Habt Geduld, kooperiert mit Vogelexperten, fasst keine vorschnellen Beschlüsse, wir brauchen Jahre eines Sittich-Monotorings, um das Thema sachgerecht zu behandeln und im positiven Sinne eines Artenschutzes zu entscheiden.

Sie erwähnten Düsseldorf, wo die Vögel auf der Kö gackern, und es gibt viele andere Städte – gibt es hier keinen Austausch, so dass Köln von der Erfahrung anderer lernen kann?
Genau das war meine zentrale Kritik: Stellt Euch breiter auf! Als ich im Ausschuss z.B. von den Bemühungen aus Israel berichtete, wo man Fruchtplantagen mit dem Skyhawk, also Modellflugzeugen, die wie Habichte aussehen, schützt, wurde das mit großem Interesse verfolgt… Der Sittich ist weltweit fast auf allen Kontinenten zuhause.

Abschließend möchte ich Till Töpfer, Sektionsleiter Ornithologie im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn, erwähnen. Wie ich las, warnt er davor, Papageien und heimische Vogelarten gegeneinander auszuspielen. Dass sie sich z.B. Nistplätze streitig machten, hält er für unwahrscheinlich. Außerdem gebe es auch positive Effekte für die Vogelwelt, weshalb er zu dem Schluss kommt, die Vögel würden „gut miteinander leben“. Wie sehen Sie das?
Genau so! Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass Ökologie auch bedingt, dass jede Nische, die weg fällt, sofort wieder besetzt wird. Und wir Menschen schaffen einen Großteil dieser Nischen! Der Sittich ist nur der letzte Nachmieter, weil er so schlau ist. Er ist Teil unseres Ökosystems, da kann ich doch nicht sagen: Der muss weg.

Wenn Sie abschließend in die ferne Zukunft schauen – dann geht Köln mit den kleinen Papageien wie um?
Ich hoffe, dass mein Wunsch Realität wird und der Halsbandsittich zur Kölner Vogelwelt gehört wie der Dom zum Kölner Stadtbild. Paradebeispiel dafür sind die Sittiche, übrigens es sind zwei Arten um die es hier geht: Der Halsbandsittich und der große Alexandersittich. Nach dem ökozentrischen Ansatz hat jede Art ihre Existenzberechtigung. Die Natur hat so eine Kraft und Energie, das ist doch genial!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Wer die Sittiche im Anflug auf ihre Schlafplätze beobachten will, sollte die abendliche Dämmerung abwarten. Etwa eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit beginnen sie bevorzugt einzutrudeln und sich auf Platanen niederzulassen, manchmal blitzschnell, meist in kleinen Formationen. „Das ist hier ja fast wie im Zoo“, lacht eine Passantin am Rheinufer, wo sich die grellgrünen Vögel am Abend momentan bevorzugt in Höhe Maritim Hotel und des Musical Dome einfinden. Als ich am anderen Morgen wieder dorthin gehe, sehe ich die AWB Laub und anderes einsammeln. Einer sagt mir: „Wir machen hier jeden Morgen sauber, auch wegen der Vögel, ja.“

Text: Elke Tonscheidt

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