Die digitale Welt ist ein Experiment
Dienstag, 31. Mai 2022 | Text: Gaby DeMuirier | Bild: Gaby DeMuirier
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Griesgrämig, eigenbrötlerisch, wortkarg und muffig – wer solch ein Bild von älteren Menschen hat, der hat die Darsteller*innen des FWT-Altentheaters noch nicht erlebt. In beeindruckender Weise zeigen die 17 Ensemble-Mitglieder in ihrem aktuellen Stück „Vom Sagen und Schreiben“ im Freien Werkstatt Theater, wie die „Alten“ unter uns leben und fühlen. Es wird rezitiert, getanzt, gesungen und auf berührende und gleichzeitig unterhaltsame Weise aus dem Leben erzählt.
Mit einem Brief fing alles an
Die Corona-Pandemie hat neben dem öffentlichen Leben auch alle Theateraktivitäten zum Erliegen gebracht. „Alles war tot.“ Doch dann kam ein Brief aus dem Theater, der die kreativen Kräfte der 67- bis 91-jährigen Laien-Schauspieler*innen wieder in Gang setzte. „Als ich noch mit der Hand schrieb…“, begann Ingrid Berzau, künstlerische Leiterin des Altentheaters, ihre Nachricht. Nach ersten Verwirrungen kamen handgeschriebene Briefe zurück und das Projekt schlug erste Wurzeln.
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Lotta wünscht sich was – Köstlichkeiten aus deutschen ManufakturenCorona kann uns ausbremsen, aber nicht unsere Spiellust nehmen
Sehr erleichtert über die Wiederbelebung und mit großem Enthusiasmus haben sich die Darsteller*innen an das Thema „Kommunikation im Wandel der Zeit“ herangearbeitet. Alte Schreibmaschinen, Schiefertafeln, Briefpapier und Tagebücher wurden rausgekramt. Auch für sie eine Reise in die Vergangenheit, denn längst sei man in der digitalen Welt angekommen, versichern alle. „Wir treffen uns regelmäßig in WhatsApp-Gruppen.“
Nach und nach fanden sich die motivierten Ensemblemitglieder in kleinen Gruppen im Theater zusammen. Die Konstellationen wechselten dabei stetig, sodass ein Kontakt zwischen allen irgendwie möglich war.
„Es war eine Erlösung, sich mal wieder im Theater zu treffen.“
Mit Hilfe von szenischen Improvisationen entwickelten sie so im Laufe der nächsten 2 Jahre Schritt für Schritt das neue Stück „Vom Sagen und Schreiben“. Es entstand eine beeindruckend persönliche Inszenierung, in deren Fokus die Kommunikation steht: vom Klang des Wortes, dem Ausdruck der Bewegungssprache, von der Sinnlichkeit und Ästhetik des Handschreibens und der dazu gehörigen Werkzeuge bis hin zu virtuellen Austauschmitteln der Jetztzeit mit Smartphone, Bildsprache und Emojis.
Die Original-Texte der Ensemblemitglieder machen dabei den besonderen Charme und die Vielfalt aus.
Persönliche Geschichten, die berühren
Das Stück besticht durch die vielen persönlichen Geschichten der Darsteller*innen, die berühren, aber teilsweise auch sehr humorvoll sind. Der Tisch in der Bühnenmitte wird dabei mal zur Supermarktkasse, mal zum Schreibtisch. Die Projektion einer Live-Kamera macht zusätzlich Dinge sichtbar, die aus anderen Perspektiven nicht zu sehen ist. Da ist Christel, die den Füllfederhalter ihres vor 17 Jahren verstorbenen Mannes und damit das Schreiben von Hand wiederentdeckt. Herbert erzählt äußerst vergnüglich, lebendig und laut von seinem über 4 Jahre dauernden Leben in Ecuador. Und wie er mit seinen Freunden in einer Radioübertragung ein Autorennen kommentierte, ohne dass sie selbst vor Ort waren.
Ein anderer Darsteller erzählt, wie er nach Jahren das Tagebuch seines längst verstorbenen Vaters in die Hände genommen und gelesen hat. Dabei hat er Dinge aus seinem Leben erfahren, von denen er nichts wusste. Charlotte liest am Ende einen Brief an die Jugend von heute, in dem sie um Verständnis für Fehler bittet. Mahnend und Mut machend zugleich. „Ihr habt das Recht Fehler zu machen. Probiert euch aus, und wenn es sein muss, korrigiert euch. Ich bin so gespannt, wie Ihr unsere Welt verändert und ich bin sicher: Ihr werdet es gut machen!“
Ausstellung und Aufführungen
Die enorme Spielfreude, der Einfallsreichtun und die Kreativität der Ensemblemitglieder stecken das gesamte Publikum an.
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Privatpraxis für Physiotherapie Frauke StöberBegleitend wird eine Ausstellung gezeigt, die Aktionen des Altentheaters vor und hinter den Kulissen und seine Präsenz über die digitalen Medien in den letzten zwei Jahren sichtbar macht. Die Ausstellung ist jeweils eine Stunde vor und nach der Aufführung geöffnet.
Am Pfingstsamstag, dem 4. Juni, um 15 Uhr wird das Altentheater noch einmal spielen. Für die neue Spielzeit im Herbst sind weitere Termine geplant.
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