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Kultur

Die Faszination des Nicht-Möglichen

Mittwoch, 11. Januar 2017 | Text: Judith Levold | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Fast immer gegen die Intuition anspielen!“

Wieder einmal wird das ODEON seinem Ruf als das Premieren-Kino Kölns gerecht: Die exzellenten Gäste Chris Kraus (Regie) und Lars Eidinger (Hauptrolle) sprachen mit dem Matinee-Publikum (und mit mir!) am Wochenende über ihren bemerkenswert unterhaltsamen Film – den Film über den Holocaust-Forscher Totila Blumen (Eidinger), der als Angestellter der Zentralen Stelle in Ludwigsburg seit Jahren einen Auschwitz-Kongress vorbereitet, dessen geistiger Mentor stirbt und dem eine „nervige“ französische Studentin als Praktikantin aufgedrückt wird, die zudem mit seinem Chef ein Verhältnis hat.

 

„Die Blumen von gestern“ sind wirklich die Blumen von gestern, leicht morbide, aber immer noch Blumen, und das Heute könnte anders als das Gestern werden. Kraus und Eidinger kommen pünktlich, haben noch Luft, da der Film wegen des riesen Andrangs verspätet startete, und sie sind entspannt und gesprächsbereit. „Ich mach´ alles!“ spaßt Lars Eidinger und pappt sich ein Amaretto Kekschen vom Kaffee an den Wangenknochen.

 

Klingt vielversprechend, denke ich, da frag ich doch mal drauflos, bevor die beiden in den Kinosaal zum Publikumsgespräch gehen.

 

 

Meine Südstadt: Das ist schon auch ein Film über Borniertheit, oder?

Chris Kraus: Ja, also, es ist ein Film über menschliche Schwächen. Über Engstirnigkeit, Dummheit. Borniertheit passt sogar als Begriff ganz gut, denn es ist keine Dummheit in der Art von mangelnder Intelligenz. Die haben ja kein intellektuelles Problem, zum Beispiel bei dem Polen-Witz (in der betreffenden Szene streitet sich Totila Blumen mit seiner Antagonistin, der ihm zugeteilten französischen Praktikantin Zazie, und blafft wütend „Jaja ich weiß, Polen, das Land der guten Putzfrauen.“, Anm. der Red.), da reflektiert er ja nachher sehr gut und weiß genau, dass das echt daneben war.

 

Er stößt so schmerzhaft vor seine eigenen Grenzen, und er und Zazie (toll: Frankreichs Shootingstar Adèle Haenel) prallen voll als die Prinzipienreiter zusammen – die Nazis waren ja auch die totalen Prinzipienreiter.

Chris Kraus: Richtig, und diese Analogie hat mich auch interessiert, das ist ja bewusst so angelegt, dass sie genau so stark ideologisch sind wie ihre Vorfahren. Es geht ja um den Umgang mit dem Holocaust in der Dritten Generation, also unseren Umgang damit. Und das hat viel komödiantisches Potential, weil sie sich so gegen das wehren, was sie in sich tragen. Sie sind so restriktiv, so ideologisch unterfüttert. Da ist der innere Widerspruch.

 

Wenn Sie nicht Schauspiel, sondern Geschichte studiert hätten und Holocaustforscher geworden wären, wären Sie dann wie Totila Blumen?

Lars Eidinger: Nee, ich wär nicht so. Ich merk das auch beim Spielen, ich muss fast immer gegen meine Intuition anspielen. Das ist eine große Herausforderung, ich muss, auch so wie ich unseren Beruf verstehe, versuchen, den Totila Blumen in mir zu finden, die Figur oder diese Anteile ihres Charakters, in dem Fall das Cholerische. Und mich dann aus der Logik der Figur heraus verhalten, und das ist anders als ich selbst bin. Das ist auch schwierig vorzubereiten, ich muss ja für die Situation am Set frei sein, muss damit umgehen, was ich da vorfinde. Da ist die Vorbereitung wirklich nur, eine Fantasie dafür zu entwickeln. Man muss natürlich inspiriert sein vom Stoff. Und dann findet man viel heraus über sich.

 

Woher der Name Totila?

Chris Kraus: Ach, das ist eine Spielerei, eine Verkleidung für die Figur. Blumen, der Nachname sollte sich nicht nach SS-Offizier anhören und Totila ist ein germanischer Name, der aber nicht so auffällig danach klingt.

 

(Unser Fotograf Dirk Gebhardt kommt dazu und fragt auch nach dem Namen Totila – der sei ihm nämlich bislang nur einmal im Leben begegnet)

 

Chris Kraus: Ach, Du kennst den Namen, woher denn?

 

Dirk Gebhardt: Ja, aus so einem Buch, das mir mein Nazi-Opa geschenkt hat. „Ein Kampf um Rom“ war der Titel, und da hieß irgendein Ostgote so.

 

Chris Kraus: Genau, aus genau dem Buch ist der Name auch, das kennt fast keiner. Aber noch mal zu den Analogien der Figuren im Film zu den Nazis: die lassen ihre Aggression ja auch so ungehemmt raus. Was mir gefallen hat an den Figuren, ist, dass sie extrem sind. Extrem intelligent, extrem borniert und extrem aggressiv. Aber wenn alles extrem ist, wird es leicht zur Karikatur, ich hatte da große Sorge. Denn es ist so leicht, deine Figur an den Gag zu verraten.

 

 

Aber es funktioniert nur genau durch das Zusammenspiel der beiden. Sie sind ja beide so extrem, Toto UND Zazie und alle drumherum, deshalb funktioniert das.

Chris Kraus: Ja, kann sein, das stimmt. Sie gehen beide glaubwürdig mit dem extremen Charakter um.

 

Lars Eidinger: Mit dieser übertrieben Reaktion von ihr, zum Beispiel, als sie den Hund aus dem Auto wirft, hält sie sich ja von sich weg. Das kommt mir so vor wie bei der Lego-Eisenbahn mit den Magneten an der Lok, wisst ihr, wo man, wenn man zwei Waggons mit den gleichen Polen aneinander hielt, die sich immer so anziehen, aber nicht richtig, sie kommen nicht zueinander.

 

Chris Kraus: Die Geschichte „Boy meets Girl“ geht immer, aber das wollte ich nicht. Ich wolle den Umgang mit dem Holocaust, die Erben von Tätern und Opfern. Diese Welt hatte ich also schon. Und dann hat mich das Nicht-Mögliche fasziniert. Dass das eine unmögliche Liebesgeschichte ist. Aber sie findet statt.

 

Ich bedanke mich für das Gespräch, das genau wie der Film auch schön alberne Momente hatte und die beiden verschwinden mit Fotograf Dirk Gebhardt für das klassische Kino-Portrait in Richtung Saal. Den hatte ich eine Stunde zuvor für dieses Interview vorzeitig verlassen, nach etwa zwei Dritteln des Films, gerade als Totila und Zazie in einem China-Restaurant am Tisch sitzen und die Anspannung mit Händen zu greifen ist – ein spitzen Cliffhanger für meinen zweiten Besuch einer Vorstellung von „Die Blumen von gestern“.

 

Ab 12. Januar 2017 im Kino – unbedingt sehenswert. Wer mehr und anderes und auch von der intensiven Theaterarbeit von Lars Eidinger an der Berliner Schaubühne erfahren will, dem sei das Samstagsgespräch in der Sendung Mosaik auf WDR3 empfohlen – eine Stunde lang unterhält sich der Schauspieler da mit Moderator Raoul Mörchen.

 

 

Mehr im Netz

Den Podcast findet ihr hier.

Und hier der Trailer zum Film.

 

Text: Judith Levold

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