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Gesellschaft

Die Freiheit, im Alter bei Merzenich Brötchen zu verkaufen

Donnerstag, 30. März 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Meine Südstadt

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Im Alter bitter arm zu sein, davor haben viele Menschen Angst. Eine Angst, die berechtigt ist, denn laut des aktuellen Armutsberichts vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Anfang März erschienen ist, liegt die Armutsquote von Rentnern bei knapp 16 %. Die Kölner Initiative „Ohne Moos nix los“ sucht Lösungen für das Problem der wachsenden Altersarmut. „Meine Südstadt“ hat sich mit Gründerin Helga Daniels und ihren beiden Mitstreiterinnen Margareta Meister und Andrea Baumgartner zu einem Gespräch getroffen.

Meine Südstadt: Frau Daniels, Sie haben die Initiative „Ohne Moos nix los“ gegründet. Was war Ihre Absicht und wofür steht die Initiative?
Helga Daniels: Ich habe einen Impuls bekommen von einer Gruppe, die es in Essen gibt: „Mäuse für Ältere“. Die habe ich bei ihrem ersten Treffen besucht und nachdem ich sie besucht hatte, dachte ich, dass ich das in Köln auch machen könnte. Die Idee ist, dass man sich austauscht unter Gleichen sozusagen und es zum Thema machen kann. Wie geht es mir damit, wenn ich jetzt in Rente bin, zu wenig Geld habe, hinzuverdienen muss? Wie finde ich eine Stelle und wo suche ich? Wer hat denn schon was? Tipps werden so weitergereicht. Darüber hinaus hatten wir von Anfang an den Anspruch, das nicht nur individuell zu machen, sondern auch die politische Dimension davon in den Blick nehmen.

Meine Südstadt: Befassen Sie sich auch mit den Folgen, die es für die Einzelnen hat, wenn sie nur eine kleine Rente haben oder sogar Grundsicherungs-Leistungen beziehen?
Helga Daniels: Es ist ja schon die Frage, ob ich es offen mache: Ich habe nicht genug Rente. Und wie wirkt das eigentlich? Psychisch, sozial usw.. Da habe ich persönlich auch Probleme mit, also mich als arm zu bezeichnen. Ich habe nicht das Gefühl, arm zu sein. Armutsgefährdet ist man, wenn man weniger als 60 % des mittleren Einkommens hat und das liegt so bei 1.000 Euro. Nach der Definition bin ich auch armutsgefährdet. Das Erleben aber ist so, dass ich ein sehr reiches Leben mit vielen Interessen habe, ich wohne auch in einem Umfeld, das nicht arm ist, das spielt auch eine Rolle. So ist die Ambivalenz, offen damit umzugehen. Wie geht es Euch damit?

Margareta Meister: Ich stehe dazu, dass ich nicht diese Rente habe, wo ich großzügig sein kann. Natürlich versuche ich, das Beste aus der Situation zu machen, aber was ich so im täglichen Ablauf merke: dass ich oft sage: „Nein, brauche ich nicht.“ Ich habe immer im Blick, dass ich mit meinem Geld auch zurechtkomme. Das beeinträchtigt mich schon und ich suche mir dann Möglichkeiten, irgendwo aufzufangen und nicht in so eine Art Loch zu fallen. Das möchte ich nicht. Mittlerweile suche ich händeringend einen Minijob auf 450 Euro-Basis. Denn Tatsache ist: „Ohne Moos nix los“. Ich bewerbe mich immer wieder, um was auf die Beine zu stellen, bis jetzt leider nicht erfolgreich. Ich habe noch nichts.

Andrea Baumgartner: Ich versuche auch, mit dem, was ich habe, klarzukommen. Aber wenn man mal größere Ausgaben hat, dann merkt man schon, dass man in einer sehr prekären Situation ist. Ich versuche es halt auch immer über Zeitung oder Internet. Da habe ich jetzt auch was gefunden.

Helga Daniels: In Mainz-Bingen gibt es seit zwei Monaten die „Vermittlungsstelle Seniorenjobs“ Das ist ein Modellprojekt für zwei Jahre und wurde maßgeblich von dem dortigen Senioren-Beirat gepusht. Es ist eine kommunale Vermittlungsstelle, die öffentlich zugänglich und finanziert ist. Wir haben für uns als Ziel entwickelt: So was soll es auch in Köln geben! Weil es ganz viele Unsicherheiten gibt für die, die in der Situation sind. Es gibt kein Arbeitsamt mehr, niemand ist zuständig für die Vermittlung. Man muss in die Anzeigen-Portale und Zeitungen gehen und ist auf sich alleine gestellt. Wir decken das ja zum Teil ab. Man könnte auch sagen: Es ist in dem Sinn eine Selbsthilfe-Gruppe.

Andrea Baumgartner: Wir erzählen uns auch, was wir für Erfahrungen machen als ältere Menschen. Für manche Arbeitgeber ist man einfach schon zu alt. Aber ich hatte mal in der Zeitung eine Anzeige gelesen, habe angerufen und mit dem Herrn gesprochen. Es ist so ein Ausbildungsförderungsprojekt. Er sagte, eigentlich wäre es schon möglich, wo ich denn wohnen würde. Ich sagte: „In Ehrenfeld.“ „Sehr gut, dann können Sie ja mal rüberkommen, ich bin auch in Ehrenfeld.“ Ich war froh, dass er mich genommen hat und bin dann hin, um den Vertrag zu unterschreiben. Da sagte er: „Das ist ja interessant, ich habe jetzt erst ihr Alter gelesen.“ Aber ich habe den Vertrag doch bekommen. Er fand es toll, dass ich so jugendlich bin und mich engagiere.

 

Ältere Menschen haben sehr viel Berufserfahrung, die für Arbeitgeber ja grundsätzlich sehr nützlich und wertvoll sein könnte. Was hält sie davon ab, ältere Menschen einzustellen? Nur das Alter?
Margarete Meister: Das hat sicher verschiedene Gründe. Vielleicht, dass sie denken, dass ein älterer Mensch öfter krank ist. Oder, wenn man mal von Minijobs absieht, dass sie meinen, für das Geld, das ein erfahrener, älterer Mitarbeiter verdient, zwei jüngere kriegen.

Helga Daniels: Ich kann mir denken, dass es bisher ganz wenig Erfahrung damit gibt bei den potentiellen Arbeitsgebern. Was mache ich denn mit Rentnern? Aber da passiert auch ein Wandel. Nach der Untersuchung „Erwerbstätigkeit und Rente“ gibt es eine Motivation, Rentner einzustellen. Sie sind flexibel, man muss sie nicht unbedingt fest einstellen. Sie haben Erfahrung und sie sind so eine Art Arbeitsreserve, die man, je nach Bedarf, einsetzen kann. Ohne langfristige Verträge.

Ihre Initiative steht unter dem Titel: „Sinnvoll und bezahlt arbeiten im Alter.“ Wie ist das gemeint? So, dass Arbeit sinnstiftend ist?
Helga Daniels: Ich habe ja den Titel erfunden. Sinnvoll war mir wichtig, weil es nicht nur um irgendeinen Job geht. Sondern, es geht um eine Arbeit, die auch Spaß macht. Man darf dabei auch den Anspruch haben, dass man das gerne macht und es insofern auch sinnstiftend ist, was man tut. Zu uns kommen fast alle mit einer qualifizierten, viele mit einer akademischen Ausbildung. Diejenigen, die in einer ganz prekären Situation sind und ungelernte oder schlecht bezahlte Jobs gemacht haben, die kommen gar nicht.

Wie viele Mitglieder hat die Gruppe?
Helga Daniels: Es ist eine ziemliche Fluktuation da. Wenn jemand einen Job oder seine Informationen hat, kommt er nicht unbedingt wieder. Die Kerngruppe, das sind so zehn bis zwölf und dann kommen immer wieder neue. So ist die Gruppe auch konzipiert, Neue können jederzeit dazu kommen und sich vorstellen mit ihren Anliegen.

Margareta Meister: Oder auch erzählen, vom letzten Mal, was seitdem passiert ist. Wie die Dame, die eine Stelle bekomme hatte im Wirtschaftsbereich, wo sie Dateneingabe machen musste. Da habe ich schon gedacht: „Das wäre was für mich.“ Sie wollte das dann auch machen und beim letzten Mal erzählte sie, es wäre nicht das Richtige gewesen und dann wäre ich beinahe vom Stängel gefallen, als sie sagte, sie hätte bei Merzenich angefangen und das hat ihr gefallen. Wir tauschen uns eben auch über die verschiedenen Schritte aus und rekapitulieren sie dann.

Helga Daniels: Merzenich ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir im Alter ja die Freiheit haben, ohne Rücksicht darauf, wie es bewertet wird, zu tun, was uns Spaß macht. Auch, bei Merzenich Brötchen zu verkaufen. Sie war davon ganz begeistert, auch wenn ein Außenstehender vielleicht denkt: Quatsch, was soll das?

Dirk Gebhardt, der Fotograf, schaltet sich ein: Gibt es eigentlich auch Männer in der Gruppe?
Helga Daniels: Gute Frage! Eher selten. Von der Statistik her haben die Männer höhere Renten. Ich kann es nicht so genau sagen. Die Essener Gruppe, die haben einen Mann und eine Frau, die leiten. Vielleicht fühlen Männer sich davon eher angesprochen. Oder die Art, wie wir miteinander kommunizieren, ist auch anders, das stellen wir immer wieder fest, wenn Männer kommen.

Margareta Meister: Ich denke, dass Frauen auch eher bestrebt sind, sich sozialen Netzwerken anzuschließen. Man schafft sich ein soziales Netz, man fühlt sich aufgefangen, das ist bei Männern nicht so der Fall.

Welche Wirkung hat diese Vernetzung? Hilft man sich da selbst?
Helga Daniels: Also, ich kann für mich sagen, dass es eine Art Solidarität schafft.
Margareta Meister: Erst mal das. Und dann hat man ja ein gleiches Problem. Es ist jetzt nicht so, als würde man etwas erzählen und die anderen gucken einen an: Was sagt sie denn da, das kenne ich überhaupt nicht. Dadurch fühlt man sich ganz anders wahrgenommen.

Andrea Baumgartner: Für mich ist der Informationsaustausch sehr wichtig. Und auch zu hören, was in der Gesellschaft los ist, damit man über den Tellerrand hinaus guckt.

Helga Daniels: Das ist der andere Teil der Treffen, dass das auch thematisiert wird.
Andrea Baumgartner: Um dann auch längerfristig vielleicht doch was zu ändern. So als kleine Gruppe kann man nicht viel ändern, aber in kleinen Schritten muss das ja sowieso geschehen. Mit dem demographischen Wandel wird alles Mögliche auf uns zukommen, da muss man auch mit umgehen. Ich war mal in den USA. Als älterer Mensch ist es da üblich, dass man losgeht und sich was sucht. Ob es jetzt im Museum ist oder an der Kasse. Eine Bekannte hat sich mal als Ehrenamtliche zur Verfügung gestellt, hat eine Weile da gearbeitet und dann wurde sie übernommen.

Was muss sich denn auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ändern?
Helga Daniels: Ganz viel. Aus Sicht von uns Rentnern muss aufgehalten werden, dass das Renten-Niveau immer weiter sinken soll bis 2030. Es ist absehbar, dass es schlechter wird. Die Minijobs stehen ja sehr in der Kritik. Sie werden vielfach von Frauen ausgeübt, die was dazu verdienen, aber rentenmäßig tut sich da nichts. Schulz spricht von Gerechtigkeit, ja sicherlich, denn die Schere geht immer mehr auseinander. Wo bleiben die, die immer weiter absinken? Die Mittelschicht gibt es fast nicht mehr.

Andrea Baumgartner: So wie es für schwer vermittelbare Jugendliche Projekte gibt, weil die gefördert werden müssen, damit sie überhaupt einen Ausbildungsplatz  finden, könnte man das auch für Senioren machen, dass die leichter an eine Stelle kommen. Nicht nur Minijobs, sondern auch gut bezahlte Arbeit.

Helga Daniels: Bei Projekten fällt mir mein Lieblingsprojekt aus München ein, wo Junge für Alte ein Geschäft aufgemacht haben: „Kuchentratsch“. Die jungen Leute haben Rentnerinnen und Rentner gesucht, die gut Kuchen backen können. Dann haben sie eine Küche eingerichtet, eine tolle Webseite aufgezogen, die Bäcker/innen sind als Minijober angestellt und backen zu bestimmten Terminen ihre Spezialkuchen. Das ist eine schöne Gemeinschaft, die Kuchen werden online verkauft und geliefert. Die Kombination von Jung und Alt ist super. Man müsste das in Köln mal auf den Weg bringen!

Vielleicht kriegen Sie es ja „gebacken“. Ich wäre gerne die erste Kundin. Meine Damen, ich danke Ihnen für das Gespräch!

 

 

Mehr dazu
Kontakt: Helga Daniels, h.daniels(at)netcologne.de
Treffen jeden 3. Mittwoch im Monat, 16 – 18 Uhr

Bürgerhaus Stollwerck – Dreikönigenstraße 23, 50678 Köln
 

Text: Alida Pisu

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