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Kultur

Die inneren Dämonen, die äußeren Umstände

Dienstag, 7. Februar 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Schon mal was von „Lenz“ gehört? Sicherlich, ist der Begriff doch durch die Redewendung „sich einen Lenz machen“, also mal faul sein, bekannt. Weitaus weniger bekannt dagegen ist der Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz, ein Zeitgenosse Goethes, den er glühend verehrte. Er wäre wohl längst vergessen, hätte nicht Georg Büchner in seiner fragmentarischen Erzählung „Lenz“ einen Einblick in den Geisteszustand des Dichters gegeben, der an einer Schizophrenie litt. Ihr ausgeliefert war, mit ihr kämpfte, um sein Leben und sein Seelenheil rang. Büchners Erzählung forderte Theatermacher immer wieder zur Adaption heraus, im „Freies Werkstatt Theater“ brachte Thomas Hupfer nun eine beeindruckende Inszenierung auf die Bühne.

Vor inneren Dämonen retten

Weiß dominiert das Bühnenbild. Weiße Wände. Weiße Steine, die eingrenzen und aussehen wie große Kieselsteine, die oft auf Gräbern zu finden sind. Weiß ein Kasten, der mal als Weg, mal als Gefängnis fungiert. Weiß, wie abgestorben, ein trostlos anzuschauendes Bäumchen. Seltsam, dass sich die Assoziation an ein Grab einstellt, obwohl der geistig verwirrte Lenz (Achim Conrad) doch Zuflucht gefunden hat bei Pastor Oberlin (Thomas Hupfer) und seiner Frau Friederike (Rike Will). Der Pastor, der ihm zur Begrüßung freudestrahlend um den Hals fällt. Kann er Lenz vor sich selbst und seinen inneren Dämonen retten? Ist er der Heilsbringer? Früh deutet sich an, dass er es nicht ist, nämlich als Oberlin in seinem Garten, den er hegt und pflegt, Schneckengift verstreut. Nein, dieser Garten ist kein Paradiesgarten, hier muss Lenz um sein Überleben kämpfen. Oberlin bringt es auf den Punkt: „Das Schicksal hat Lenz auf eine Nadelspitze gestellt und ich bete zu Gott, dass er sich halten kann.“, sagt er zu seiner Frau.

Guter Wille verkehrt sich ins Gegenteil

Friederike hat Angst vor Lenz, während der Pastor Lenz bewundert. Ein Konflikt ist programmiert. Und das ist das Tragische, denn eigentlich wollen alle nur das Beste, scheitern aber an sich selbst und den Umständen. Und zeigen beklemmend auf, wie sich alles um einen Menschen drehen, wie er die Kräfte aller kosten kann, wenn er anders ist. So sehr aus dem Rahmen fällt, dass guter Wille sich in sein Gegenteil verkehren und in Erbarmungslosigkeit ausarten kann. Wobei die Frage legitim ist, ob im Irrsinn, im Irresein an und in der Welt, nicht auch die Normalität dessen, was eine Gesellschaft lebt, zur Debatte steht. Nicht immer hat die Mehrheit Recht. Wer sich an den Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnert, der weiß, dass die vermeintlich Irren der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Und dass der Blick in den Spiegel dazu führt, in eine Zwangsjacke zu stecken, was sich nicht anpassen kann oder will.

Flachmann und verschiedene Sprachen

Lenz jedenfalls kann es nicht. So sehr er sich auch bemüht und so sehr der Pastor ihn auch unterstützt. Wenn Lenz etwa davon spricht, dass er glaubt, verrückt zu sein, weil seine Mutter ihm erschienen ist, in einem (natürlich) weißen Kleid, sie müsse in Not sein. Und der Pastor ihm dann entgegnet, er hätte auch schon mal eine Vorahnung gehabt, dass sein Vater gestorben sei und es hätte sich als wahr herausgestellt. Auch, wenn sie sich da wie Kumpel gegenüber sitzen und aus einem Flachmann trinken, sprechen sie doch verschiedene Sprachen und alles Bemühen hilft nichts. Lenz ist und bleibt hin- und hergerissen zwischen fast körperlich zu sehendem Seelenschmerz, den peinigenden Erinnerungen an den prügelnden Vater, seinen literarischen Ansprüchen an sich selbst und dem inneren Konflikt mit einem Gott, den er nicht begreift. Aber wie kann er ihn auch begreifen, da nicht auszumachen ist, woher kommen soll, wonach Lenz sich sehnt: „Freedom, Hope, Justice“.

 


„Freedom, Hope, Justice“ / Foto: Meyer Originals

Würde Gerechtigkeit von Gott kommen, dann hätte dieser Friederikes Neugeborenes nicht in den Armen seines Vaters Oberlin sterben lassen. Er hätte stattdessen Lenzens Angebot, sein Leben für das des Kindes zu geben, angenommen. Wären Menschen gerecht, dann hätte Friederike gesehen, dass Lenzens Ausgeliefertsein viel größer und bedrohlicher war als ihre Angst. Und sie hätte den Brief an seinen Vater mit der Aufforderung, sich um seinen kranken Sohn zu kümmern, vielleicht nicht geschrieben. Hätte, hätte…

„So lebte er dahin“

Mit dem Tod des Kindes ist alles vorbei. Friederike setzt sich durch, der Pastor setzt sich ab von Lenz. Er legt ihm Fesseln an, Lenz wird weggebracht. Und wenn er dann im weißen Anzug und mit Sonnenbrille auf dem weißen Kasten sitzt, heißt es zwar im letzten Satz von ihm: „So lebte er dahin.“ Trotzdem sieht er vital aus, wie ein Entertainer. Hätte er das Glück gehabt, in der heutigen Zeit zu leben, würde er vielleicht in die Rubrik des exzentrischen Künstlers fallen, bei dem Genie und Wahnsinn nahe beieinander liegen. Wie schon gesagt: hätte, hätte…

 

Die Inszenierung lotet die Grenzen des Menschlichen und des Möglichen aus. Sie wären schwer auszuhalten, wenn es nicht doch einen Funken Hoffnung auf „Freedom, Hope, Justice“ gäbe. Diesen Funken legt Thomas Hupfer in das „Aus der Rolle treten“ seiner Akteure. Wenn sie sich gegenseitig fragen, wer nun welche Szene spielt und Oberlin betont, weiterspielen zu wollen, weil er dafür bezahlt würde. Da ist Ausatmen und der Anflug eines Lächelns angesagt!

Die Güte in Person

Achim Conrad IST Lenz, mit jeder Faser seines Körpers, in all seiner bodenlosen Verzweiflung. Rike Will beeindruckt als eine Frau, die sich von diesem belastenden Dämon Lenz, der Unglück über die Familie gebracht hat, befreien muss, in aller Radikalität. Und Thomas Hupfer ist die Güte in Person, erst als es gar nicht mehr anders geht, liefert er Lenz aus. Man kann es sogar verstehen. Begeisterter Applaus für ein Trio, das auf schmalem Grat kunstvoll wandelt.
 

 

„LENZ“ nach dem Fragment von Georg Büchner.
Koproduktion movingtheatre.de & FWT mit den Kreuzgangspielen Feuchtwangen.
Bühnenfassung und Inszenierung: Thomas Hupfer

Mit: Rike Will, Achim Conrad, Thomas Hupfer.

Freies Werkstatt Theater, Zugweg 10, 50677 Köln

Die nächsten Termine: 8., 9. Februar, 22., 23., 24., 25. März 2017

Text: Alida Pisu

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