„Die Nazis wollten keine Vielfalt“ – kleine Geschichte der Synchronisation im Kino
Sonntag, 23. März 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Wer in Deutschland ins Kino geht, sieht meistens die deutsche Fassung eines Films. Das heißt: Eine Produktion, die aufwändig synchronisiert wurde. Das gilt für viele Filme aus dem Ausland – vor allem natürlich für die Blockbuster. Viele der Synchronstimmen sind inzwischen eng mit den Charakteren verbunden: Christian Brückner als Robert De Niro, Daniela Hoffmann als Julia Roberts und Jamie Lee Curtis.
Jürgen Lütz ist Geschäftsführer des Odeon-Kinos, und als wir auf der Berlinale mit ihm sprachen, tauchte als „Beifang“ das Thema Synchronisation auf. Also will „Meine Südstadt“ heute wissen, was es auf sich hat mit dieser Tradition des Synchronisierens, die es in Frankreich zum Beispiel gar nicht gibt.
Herr Lütz, Sie sagen, die Synchronisation begann so in etwa in den Dreißiger Jahren. Gibt es einen Zusammenhang zur NS-Zeit?
Ab 1933 wurde ja großer Wert auf das „Deutschtum“ gelegt. Also war es dem NS-Regime wichtig, dass von der Leinwand auch die deutsche Sprache erklang. Es gab kein Interesse an englischer oder französischer Sprache.
Das war also auch eine politische Entscheidung.
Es passte in die politische Kultur. Wenn Sie das mal nachlesen, dann sehen Sie, welche Länder in den 30er-Jahren synchronisiert haben, das war mir auch neu: Deutschland, Italien, Spanien. Also überall dort, wo der Faschismus Alltag war und wo die Bedeutung der eigenen Kultur überwog. Mit Vielfalt konnten die nichts anfangen.
Die Nazizeit war also ein Schub für die Synchronisationstechnik.
Ende der 30er-Jahre gab es so gut wie keine europäischen Filme mehr im deutschen Kino, meist liefen Eigen-Produktionen, das konnte man besser kontrollieren. Synchronisation hieß ja auch: Wer sich die Übersetzung überlegt, hat ein Interesse daran, dass der Film in der Zielregion besser konsumierbar ist.
Was heißt das?
Es wurde an den Bedeutungen manipuliert. Zum Beispiel bei „Casablanca“: Da wurden in Spanien zu Francos Zeiten in der Synchronfassung aus Ingrid Bergman und Humphrey Bogart einfach Geschwister gemacht. Im Original ist es ja so, dass die beiden einmal ein Paar waren und sich wiedertreffen. Unter Franco wurden sie zu Geschwistern. Vermutlich steckt da auch dahinter, dass es eben ein katholisches Land ist und konservativ dazu, gerade in Sachen voreheliche Beziehung. Es war also eine Form von Zensur.
Was brachte der Zweite Weltkrieg für eine Entwicklung?
In Europa war das der Stillstand für die Filmproduktion – ausgenommen war die Propaganda. Da wurde der Film vor die Karre gespannt. Die deutsche Propaganda stand gegen den Rest der Welt, und die ausländische gegen Hitler. Damals entstand auch das Filmklischee des bösen Deutschen – das wurde dann später in den 50er-Jahren über die Synchronisation ein bisschen abgemildert.
Wie haben die Alliierten nach dem Krieg Einfluss genommen?
Die Siegermächte wollten mitbestimmen, was kulturell produziert wird. Englische Filme mit Untertiteln reichten nicht. Sie sagten: Wir müssen synchronisieren, damit die Deutschen unsere Sichtweise auch wirklich kennenlernen.
Wo besteht denn da der Unterschied zur Synchronkultur der Nazis?
Der Vergleich liegt nahe, aber das Ziel war eben ein anderes. Die Deutschen sollten nach dem Krieg lernen, wie toll die USA und der amerikanische Lebensstil sind.
Sie haben vor einigen Jahren das Calmuth-Tal bei Remagen besucht, dort lag eines der großen deutschen Synchronstudios.
Genau. Das ist ein riesiger Komplex in einem Wald, der sich zu einem Talkessel weitet. In der Nähe von Remagen baute man nach dem Zweiten Weltkrieg einen großen Studiokomplex, die „Internationale Filmunion“, mit Synchronstudio und Produktion von Nachrichtensendungen, zum Beispiel für die Wochenschau. Irgendwann wurde das stillgelegt. Der Eigentümer des Komplexes fragte uns vor ein paar Jahren, ob wir dort mal nach alten Projektorteilen schauen wollen, also Teilen aus den Fünfziger Jahren. Die könnten wir zum Beispiel für die alten 35-Millimeter-Projektoren in unseren Bonner Kinos „Rex“ und „Neue Filmbühne“ gebrauchen.
Das muss für Sie sehr abenteuerlich gewesen sein da im Wald. Was war denn noch da an Technik?
Es war alles noch da. Die Tonbandmaschinen, die Projektoren. Man musste für die Synchronisation den Film abspielen und die Sprecher aufnehmen und das Ganze dann zusammenmischen. Also auch die Originalmusik mit der neuen Sprachfassung mischen.
Wie geht das?
Man braucht ein Licht-Ton-Negativ. Dafür müssen Sie die beiden Negative anlegen, also das vom Ton und das vom Bild – und dann wird das zusammenkopiert.
Welche Rolle spielt die Synchronisation heute in Deutschland?
Es ist eine Tradition, Filme auf deutsch zu sehen. Der Reiz liegt darin, dass man alles mühelos versteht. Untertitel sind ja unter Cineasten sehr umstritten, weil man eben das Bild verlassen muss, um am unteren Rand die Titel zu lesen. Man kann das trainieren, aber es geht eben ein Teil der Bildinformation verloren. Bei einer guten Synchronisation kann man den Schauspielern ins Gesicht schauen.
Welche Zukunft haben Untertitel?
Früher waren die OmU-Fassungen knapp. Es gab vielleicht drei bis fünf Kopien in Deutschland. Eine lief in Berlin, eine in Hamburg und eine in München, vielleicht auch eine in Köln. Bis die anderen Kinos an diese Fassungen kamen, vergingen manchmal zwei Monate nach dem Bundesstart.
Und heute?
Sind die Filme ja digitalisiert. Das heißt: Die Kopien sind nicht mehr knapp. Jetzt können alle Kinos gleichzeitig zum Bundesstart den Film auch als OmU zeigen. Im Odeon zum Beispiel konnten wir Philomena auch als OmU spielen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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