Die Schule „met Hätz un Siel“!
Montag, 4. Februar 2013 | Text: Betsy de Torres | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
In katholischen Grundschule Zugweg herrscht buntes Treiben. Aus einem Klassenzimmer hört man ein Gemisch aus lebhaftem Kindergelächter und ein Kauderwelsch vieler Sprachen. Auf einmal herrscht Stille. Der heutige Schulleiter Bruno Praß (kein gebürtiger Kölner, doch 52 Jahren in Köln haben ihre Spuren hinterlassen) setzt sich, mit einem Lächeln im Gesicht, einer Gitarre in der Hand, und einem kölschen Lied auf die Lippen. Wir befinden uns in der Kölsch AG, und die Kinder singen kölschen Klassiker, so wie damals
Direktor Bruno Praß im Hintergrund und die Kölsch AG der KGS Zugweg.
Die katholische Grundschule Zugweg hat sich wie keine andere Schule hier im Veedel der Pflege des kölschen Brauchtums verschrieben. Tünnes und Schäl, Inbegriff der Ur-Kölner, bodenständig, treu und humorvoll, sind hier deutlich zu spüren. Die Seelen der Vergangenheit schweben durch die Flure der Schule.
Der 113-jährige zweiflügelige, dreigeschossige Backsteinbau hat eine bewegte Zeit hinter sich. In stillen Momenten, könnte man meinen, die Stimmen von damals zu hören, wie sie ihre Geschichte erzählen. Könnten die Wände sprechen, würden sie aus einer Zeit erzählen, als die Schule noch katholische Volksschule hieß, die Schüler zwischen sechs und vierzehn Jahren waren und sie in Mädchen- und Knabentrakt aufgeteilt wurden. Sie würden von heimlichen Treffen vor der Toilette erzählen, von Krieg und Kanonenöfen, Kälteferien, aber auch von Hoffnung, Integration und kölschen Tönen. Foto: Schule Zugweg im Jahr 1925 als Postkarte /Archiv
Im Laufe der Jahre haben die ehemaligen Rektoren, Lehrer, Schüler und ihre Familien die Liebe zur kölschen Tradition wie hier eingepflanzt. Heute pflegt die Schule die schönen Früchte und pflanzt weiter. Menschen wie Schulleiter Hans Flock, der durch seine Liebe zu Heimatgeschichten und Tradition das Interesse der Schüler am kölschen Fasteleer weckte, und Hans Jonen, Lehrer am Zugweg, der den Text für das Lied von Jupp Schmitz schrieb („Am Aschermittwoch ist alles vorbei“).
Die ehemalige Schülerin Carola Williams aus der Zirkus Familie, die sagte, sie hätte die schönste Zeit ihrer Kindheit hier verbracht, stiftete der Schule nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Dach. Ihre Zirkustiere sorgten 1949 für große Aufmerksamkeit beim ersten Kölner Rosenmontagszug. Ihr haben wir es zu verdanken, dass der Geißbock das Wappentier des 1. FC Köln wurde und heute noch ist.
Es sind aber auch die Menschen aus dem Veedel, die ihre Schule stark prägten. Die Kölner Familien, die hier in der Südstadt verwurzelt sind. Die seit drei Generationen die gleiche Schule besuchten, die zum Teil den gleichen Lehrer wie ihre Eltern hatten, die Köln in Trümmern sahen, die Wohnungsspekulanten der 70er Jahre den Stirn boten und heute hier noch leben. Die Familie Odenthal aus dem Zugweg zum Beispiel ist eine echte Südstadt-Familie. Herr Odenthal ist zur Volkschule Zugweg gegangen, so wie sein Vater, seine Mutter, sein Onkel, seine Frau, seine Tochter und sein Sohn. Jahre, nachdem die Glocke zum letzten Mal schlug, befindet sich Hans Peter Odenthal wieder auf dem Weg zur Schule – dieses Mal mit einer Quetsch.
Herr Odenthal mit der Quetsch auf der Schulsitzung (2. v.r.)
Glückliche Umstände haben es ermöglicht, dass befreundete und meine eigene Familien und Freunde seit 1974 die Musik bei der Schülersitzung machen dürfen. Für uns als Kölsche ist es wichtig, die kölschen Klassiker – Fastelovend met der Quetsch und der decke Trumm – lebendig zu halten. Urkölsche Straßenmusik! Doch eins steht fest; die Kinder stehen immer im Vordergrund. Es macht große Freude, sie und ihre Lehrer zu begleiten, und es erinnert uns an den Karneval unserer eigenen Schulzeit“, sagt Hans-Peter Odenthal. Im Jahre 1966 nahm er zum ersten Mal bei der Schülersitzung teil. Zwei Jahre saß er beim Elferrat, 1968 sang er bei der Sitzung Dat Leed vun der Huhstroß. Fastelovend und kölsche Musik haben Tradition bei ihm in der Familie.
Schulsitzung von 1954. / Foto: Archiv
Rückblick – wir schreiben das Jahr 1951. Die Trümmer des zweiten Weltkrieges sind noch sichtbar. Auf Initiative der Oberklassen wird eine Schulsitzung veranstaltet. Es werden Büttenreden und Krätzchen selbst verfasst. Die Lehrerschaft wird damit überrascht. Der erste Präsident der Sitzung ist Hans Dieter Conrady (der Onkel von Herrn Odenthal). Später wird die Sitzung in die Turnhalle gelegt und eine riesige Bühne aufgebaut. In Laubsägearbeiten werden liebevoll Hänneschenfiguren gefertigt, die heute noch den Elferratstisch schmücken. Damals saßen die Leute mucksmäuschenstill in dem Saal und haben den Büttenreden der Schüler gelauscht. Rektor Flock saß am Flügel, Lehrer Paßmann an der Quetsch, sie machten den Tusch, es kam Beifall. Eine tolle Veranstaltung! Der Anfang einer Tradition, die im Jahre 1968 durch die Schulreform und die Versetzung des Schulleiters Paßmann fast den Todesstoß erhielt! Alle saßen da mit Tränen in den Augen. Wie sollte es nur mit unseren Karneval weitergehen?“
Die neue Schulleiterin Frau Neikes hatte die Herkulesaufgabe zu stemmen, die Sitzung auf die Altersklassen sechs bis zehn Jahre runter zu brechen und viele ausländische Kinder zu integrieren. Mit viel Herzblut ging sie an die Arbeit. Herr Odenthal: Das war eine der wichtigsten Stationen in der Schulgeschichte. Es drohte der Einbruch der Tradition des Schulkarnevals. Die Altersklassen hatte sich verschoben, viele ausländische Kinder kamen dazu und viele ihrer Eltern erlebten diese Tradition zum ersten Mal!
Doch Frau Neikes schaffte es, über zehn Nationen in den Schulkarneval zu integrieren. Jedes Kind hatte seine Landesfahne, und in seiner Landessprache hat es das Publikum begrüßt und Kölle Alaaf“ gerufen. Das hat sie in meine Augen toll gemacht! Schließlich wurde sie vom italienischen Staat mit einem Verdienstorden ausgezeichnet und bekam das Bundesverdienstkreuz.
Sie war diejenige, die mich wieder in die Schule zurückholte. Sie fragte mich, Peter, hörens, Herr Flock ist 72″ – das war damals ein biblisches Alter – „Er weed nit jünger. Kannst du dich nit met ihm ens zesammesetze, du mit der Quetsch, er am Klavier, und unser Schullsitzung begleiten? So kam es, dass ich Jahre später meinen ehemaligen Lehrer zu Hause besuchte und mit ihm musizierte. Leider
klappte es bei ihm gesundheitlich im folgenden Jahr nicht mehr. Er setzte sich dann gerne ins Publikum und lauschte. „
Die Zeit schritt weiter voran, eine neue Schulleiterin kam. Frau Voß war Kölnerin met Hätz un Siel. Ihr lag es am Herzen, die kölschen Aktivitäten das ganze Jahr über lebendig zu halten. Sie rief die Kölsch AG ins Leben. In ihrer Zeit erhielt die Schule Auszeichnungen. Sie wurden zweimal mit den Severinsbürgerpreis geehrt. 1992 wurde ihr der Jugend-Förderpreis des Festkomitees Kölner Karneval überreicht.
Herr Odenthal: Ein eindrucksvolles Erlebnis war für mich war auch die Einführung von Herrn Bruno Praß als Schulleiter auf der Schulsitzung 1996. Er kam mit einem Banjo und sang das Pizza-Lied von den Höhnern. Da machten nicht nur die Kinder große Augen – alle waren begeistert. Da wussten wir, die Schule ist in besten Händen. Bruno Praß ist der Richtige. Er mät dat prima!
Einführung des neuen Direktors Bruno Praß (mit ehemaligen Rektor Paßmann, Frau Voß (am Mikro), Frau Neikes und Herr Praß in Schuluniform /Foto: Archiv
Am letzten Sonntag vor Karneval
Die Aula an der Berufsschule Zugweg ist lichtdurchflutet, das Publikum ist bunt kostümiert. Die Kinder sind die Hauptdarsteller und freuen sich. Es herrscht ein lebendiges Miteinander zwischen Eltern, Lehrern und Kindern. Aufregung und Spannung liegen in der Luft. Mehrere Sprachen werden durcheinander gesprochen: italienisch, türkisch, kölsch. Auf einmal ruft der Präsident: Klatschmarsch! Op de Bühn met üch! Kölle un Zochwäch Alaaf! So wie vor 62 Jahren!
Schulsitzung am Sonntag vor Karneval 2013
Weitere Fotos von früher und jetzt finden Sie in der Bildgalerie: Klatschmarsch! Op de Bühn met üch! – Schulsitzung KGS Zugweg
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