„Die Stimme vergisst man als Erstes…“
Donnerstag, 6. September 2018 | Text: Judith Levold | Bild: Marc Loecke/Judith Grümmer
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Sagt Südstädterin Judith Grümmer, als langjährige Radioautorin beim Deutschlandfunk mit besonderem Bezug zu Ton und Stimme, über ein Merkmal beim Tod eines Nahestehenden. Schon mit Ende 20, gerade selbst Mutter geworden, hatte sich die Journalistin mit Schwerpunkt Medizin gefragt, was sie täte, wäre sie unheilbar krank. „Ich würd mir ein Mikrofon schnappen und einfach drauflos erzählen“ erinnert sie sich heute an ihre Überzeugung von damals.
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Im Laufe der Jahre entwickelte sie dann über ihre Arbeit mit Familienhörbüchern und ihre Beschäftigung mit Palliativmedizin die Idee zum individuellen Hörbuch: Der Audiobiografie. In diesem Tondokument erzählen unheilbar Erkrankte in ihrer letzten Lebensphase für ihre Kinder, ihre Partner, ihre Freunde, und: Für sich selbst. Aus ihrem Leben, aus ihrer Geschichte, aus ihrer Gefühlswelt. Eben alles, was sie über sich noch sagen wollen.
Die Fremde im Zug
Dass ihr gegenüber PalliativpatientInnen so offen von sich reden, überrascht Judith Grümmer nicht: „Ich bin ein bisschen wie die Fremde im Zug auf einer Fahrt von München nach Berlin: Man erzählt mir ein paar Stunden was und dann verschwinde ich wieder aus dem Leben des Erzählenden. Und am Ende der Fahrt gibt´s dann ein Hörbuch.“ sagt sie (Die richtigen Hörbuchaufnahmen dauern in der Regel drei volle oder 6 halbe Tage, je nach Befinden der Erzähler, Anm. d. Red.).
Für das seit 2014 vorbereitete und offiziell im März 2017 begonnene Pilot-Projekt konnte sie die Palliativstation der Uniklinik Bonn gewinnen: Professor Lukas Radbruch, zugleich Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, unterstützt zusammen mit seinen MitarbeiterInnen ihre Arbeit. Sein Team stellt Patientenkontakte her und begleitet die Hörbuchproduktion medizinisch und wissenschaftlich, untersucht u.a. den therapeutischen Nutzen für PalliativpatientInnen und ihre Angehörigen. Ein Gespräch mit Nachbarin Judith Grümmer.
Meinesuedstadt: Was ist Deiner Ansicht nach der besondere Nutzen der Hörbucharbeit für PatientInnen, die unheilbar erkrankt sind?
Judith Grümmer: So ein Hörbuch ist etwas, das man selbst gestalten kann, es bringt einen in eine aktive Rolle, stellt das Leben in den Vordergrund, nicht die Krankheit oder das Sterben. Und ich stelle fest, dass es für die Menschen wichtig ist, sich in dieser Arbeit nicht als „Patient“ zu erleben, sondern als „Gabi, Michael, Maria“, also das zu erzählen, was sie als Mensch ausmacht, jenseits von Symptomkontrolle, Blutwerten, Messdaten oder Chemotherapie.
Welche Rolle spielt dabei für PatientInnen, noch jüngere Kinder zu haben, die sie zurücklassen müssen?
Das ist für viele Hauptmotiv für das Hörbuch: Sie wollen ihren Kindern oder Partnern etwas von sich mitgeben und die Deutungshoheit über ihr Leben behalten. Das heißt, sie erzählen ihre Geschichte so, wie sie sie erlebt haben, entwerfen Titel für die einzelnen Kapitel, wählen Musik aus und schaffen so ein Erinnerungsstück, das so gestaltet ist, wie sie selbst in Erinnerung bleiben wollen.
Was bedeutet das für die Angehörigen, für die Kinder? Kann es ihnen helfen?
Ich bin davon überzeugt, dass das Trost spendet, denn es kann ja auch in unterschiedlichen Stadien der Trauer angehört werden und ist ein intensiverer Eindruck als ein Foto oder ein paar geschriebene Zeilen. Zumindest ist das die Rückmeldung, die ich bekomme.
Ist das nicht für Dich als Chronistin und Audio-Produzentin sehr belastend, all´ diese Geschichten zu hören?
Nein. Natürlich sind viele traurige Momente darunter, wenn ich ein paar Tage intensiv mit einem Menschen arbeite, aber vor allem ist es das pralle Leben, das da erzählt und eben in dem Moment auch gelebt wird. Die Leute entdecken so viele Erinnerungen wieder und sehen ihr Leben dann eher als volle Scheune, denn als abgeernteten Acker. Klar wird geweint, geschrien, geschwiegen – aber das halte ich aus. Mich muss man nicht schonen, ich verschwinde wieder aus dem Leben der ErzählerInnen, sie besprechen Sachen, mit denen sie ihre Familien erstmal nicht belasten wollen und ich stehe außerhalb des medizinischen Systems, sie erwarten keinen therapeutischen Rat..
Hast Du Dich denn darauf vorbereitet, auf diese Arbeit?
Ja, im Prinzip sehe ich meine ganze medizinjournalistische Arbeit über die Jahre irgendwie als Vorbereitung. Das mündete einfach in dieses Projekt. Ich war ja viel auf Palliativstationen, habe mit Schwerkranken oder Sterbenden gesprochen. Auch habe ich im vorletzten Jahr an einer Palliativ-Care-Fortbildung teilgenommen. Aber mir ist wichtig, zu betonen: Ich bin keine Therapeutin, ich bin Chronistin und Hörbuchproduzentin.
Du bist selbst gerade betroffen, dein Mann ist nach dreijähriger Palliativphase Anfang des Jahres gestorben und gleichzeitig hast Du mehrere Audiobiografien aufgenommen und bearbeitet – hat Dich das nicht fertig gemacht?
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Privatpraxis für Physiotherapie Frauke StöberJa, das haben meine Söhne mich auch gefragt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Mir hat das Kraft gegeben, gerade die Arbeit mit einer Patientin im Juni noch, die hat mich irgendwie sehr getröstet. Da ist so viel Kraft und Lebensfreude in dieser Frau gewesen, Wahnsinn. Und: Ich habe von meinem Mann leider kein Hörbuch, das einzige, was mir von seiner Stimme geblieben ist, ist ein Spruch auf meiner Mailbox „Liebe Judith, um 15h wird der Rollstuhl angeliefert, kannst Du dann bitte vom Einkaufen wieder zurück sein?“
Judith Grümmer hat gerade ein weiteres Hörbuch fertig gemacht – für die PatientInnen ist das Hörbuch übrigens kostenlos, die Rheinenergie Stiftung Familie finanziert das Projekt in der Pilotphase. Judith Grümmer besucht die PatientInnen mit Aufnahmegerät, Kopfhörern und Mikrofon entweder zu Hause oder auch in der Klinik/Hospiz, lädt sie aber auch alternativ für die Arbeitssitzungen in ihr Wochenendhaus in der Eifel ein – das hängt von Befinden und Vorlieben der PatientInnen ab und wird individuell vereinbart. Ziel, auch der Palliativmediziner im Projektteam ist, die Audiobiografie zukünftig als festen Bestandteil im Behandlungsprogramm von PalliativpatientInnen zu etablieren.
Mehr über Judith Grümmers Projekt und ihre Arbeit mit einer erkrankten Mutter am Abend im WDR Fernsehen: Lokalzeit aus Köln, 6.09.18, 19:30h und Frau TV, 6.09.18, 22:10h
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