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Kultur

Die „Underdogs“ vom Neumarkt

Sonntag, 13. Mai 2018 | Text: Johann Zajaczkowski | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Drugland“, ein theatraler Rundgang um den Kölner Neumarkt herum, verhandelt hochaktuell (drogen-)politische Fragen, lässt die Grenze zwischen Publikum und Bühne verwischen und bemüht sich um die Befreiung Drogenabhängiger aus ihrer randständigen, untergeordneten Position – zumindest einen Abend lang. Kritisches Theater von heute, wir haben die Erstaufführung angesehen.

Echte Körper gegen Klischees

Die 17. Ausgabe des Sommerblut Kulturfestivals greift in diesem Jahr das Thema „Körper“ auf und auch in „Drugland“ geht es natürlich um den Körper bzw. den Umgang mit ihm – das Stück ist eine Festival-Eigenproduktion von Südstädter Rolf Emmerich, der Sommerblut von Beginn an künstlerisch leitet. Im Mittelpunkt von Ensemble und Stück stehen zwölf Laiendarsteller*Innen, die vor allem eins verbindet: ihre Suchterkrankung. Dass hier echte drogenabhängige Menschen mitmachen, wird erst in ihrem ersten Auftritt deutlich. Mit dem unisono-Ausruf „wir sind nicht frei erfunden“ irritieren sie aber auch sofort: Die Suchterkrankung ist ihnen nämlich nicht unbedingt anzusehen, eine „Zerlegung“ von Klischees – sie beginnt hier schon im Prolog. Trauriger, weil realer Hintergrund des Stücks sind allerding dann doch die gut zweihundertfünfzig Menschen, die allein in NRW 2017 am Konsum illegaler Drogen bzw dessen Folgen starben.

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Die Auseinandersetzung mit der Abhängigkeit passiert in „Drugland“ vor allem entlang der persönlichen Komponente, der individuellen Lebensgeschichte. Der im echten Leben, im politischen Diskurs, so gut wie gar kein Platz eingeräumt wird. In „Drugland“ macht sie die Individualität jedes (drogensuchtkranken)Menschen hinter dem verallgemeinernden Label „drogenabhängig“ sichtbar. Ins Mikrofon sprechen die Darsteller ihre Namen und Geschichte, in der ersten Szene Osman. Osman ist seit 25 Jahren drogenabhängig, saß 11 Jahre im Gefängnis und hat 6 Therapien hinter sich. Während er in eindringlichen Worten erzählt, wie es ist, süchtig zu sein, setzt Hayato Yamaguchi -neben den vier Schauspieler*Innen der einzige Profi auf der „Bühne“- seine Worte in tänzerische Bewegung um.

Experten des Alltags

Regisseur Stefan Herrmann hat für das Stück als Form einen Rundgangs gewählt, so dass die Besucher sich nicht einfach in den Sessel zurücklehnen und klassisches Theater von der Guckkastenbühne konsumieren können. Das Publikum wird vielmehr Zeuge von sieben locker miteinander verknüpften Szenen, die an verschiedenen, fußläufig erreichbaren Orten rund um den Neumarkt, einem Hotspot der Kölner Drogenszene, gespielt werden. Es spielen also das Gesundheitsamt der Stadt Köln, das Rautenstrauch-Joest-Museum, die U-Bahn-Haltestelle oder der Joseph-Haubrich-Hof mit. Konkrete Fragen nach Zusammenleben im öffentlichen Raum, auch mit Suchtkranken, verhandelt dieses Theater eben an Ort und Stelle, zeigt die Drogenabhängigen als Experten ihres Alltags.

Neben ihren persönlichen Geschichten bekommen die Abhängigen auch eine Stimme als Gruppe, die sich Gedanken zu einer möglichen Therapie der Zukunft macht – durchaus ein utopisches Moment im Stück, denn ein solcher Perspektivwechsel seitens der Politik ist in der Realität eher selten. Die Politik kommt dementsprechend szenisch auch nicht allzu gut weg: Während Lokalpolitiker sich bei einem (legalen) Kölsch über die Konflikte rund um den Neumarkt unterhalten, kommen diese ausschließlich als Probleme vor, die im Law&Order-Stil gelöst werden wollen. Argumente zu alternativer Lösung von Drogenproblemen, am Beispiel etwa der Schweiz, tragen die Experten des Alltags zwar kenntnisreich vor – die Politiker tun sie aber angetrunken und schwitzend ab.

In dem Zusammenhang erfahren die Zuschauer mal aus quasi „erster Hand“, wie sich das therapeutische Hilfesystem aus Sicht von Betroffenen anfühlt: „Nach zwei Jahren Therapie bin ich aus dem gesellschaftlichen und beruflichen Leben raus“ sagt ein Darsteller. Welche Widersprüche durch ein Leben im Grenzraum von persönlicher Wahrnehmung wie „Ich schade doch niemandem“ und behördlichem Umgang damit, „Was bin ich: illegal oder krank?“ auszuhalten sind, macht „Drugland“ spürbar.
Zu Wort kommen auch diejenigen, die maßgeblich an der Verhandlung des Konflikts „Drogensucht im Öffentlichen Raum“ beteiligt sind: Anwohner, Geschäftsinhaber, Ordnungskräfte und Sozialarbeiter. Ihre holzschnittartige Darstellung mit Charaktermasken (Vernunft, Angst, Menschlichkeit) verleiht dem Stück eine politische Aktualität, die deutlich über den Drogenproblemort Neumarkt hinausweist.

Passanten treffen Suchtkranke

Die stärksten Szenen sind jedoch die, die über die persönliche und kollektive Ebene hinweg zu einer künstlerischen Emanzipation der Abhängigen führen. Eine von ihnen, Inna Berg, kauert in der U-Bahn-Haltestelle Neumarkt an den kalten Fliesen des Tunnels. Aus einem Lautsprecher neben ihr kündet eine vorsichtig tastende Stimme vom Schicksal eines Menschen. Es ist nicht nur ihre eigene Stimme – es ist auch ihre eigene Geschichte, aufgenommen als Soundtrack für „Drugland“ und kommentarlos, unbearbeitet eingesetzt: Nachdem bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, sei sie über einen Freund an Heroin geraten. Bei einem Arztbesuch habe sie sich über juckende Füße beschwert. Die Ärztin habe daraufhin erklärt, dass das Heroin den Ausbruch eines MS-Schubes blockiere. So sei sie bei der Droge geblieben.

Ein geschäftiger Businessmann samt Rollkoffer eilt vorbei (Tänzer Hayato Yamaguchi), studiert den Fahrplan, und will schon weiter hetzen. Doch er bemerkt Inna Berg, setzt sich zögerlich neben sie – und es beginnt eine eigentümlich rührende Choreographie des ungleichen Paares. Und zwar nicht in dem Sinne, dass der Profitänzer das Geschehen dominiert, eher umgekehrt: berührend schön sind die vorsichtigen und doch fließenden Bewegungen von Inna Berg, dass so manchem Zuschauer die Tränen kommen.

Selbsterkenntnis

Dass die Szene (Titel: „Traum mit Engel“) utopisch ist, daran lässt Berg selbst keinen Zweifel – und entzaubert die Menge mit einem gekeiften „Was glotzt ihr so?“, derweil sich der Geschäftsmann nach dem gemeinsamen Tanz entfernt. Zu viel viel „Kuschelkurs“ würde wohl auch die Zuschauer*innen aus der Verantwortung entlassen: Sie sollten sich selbst wiedererkennen in der Rolle des gleichgültig am täglichen Elend der Großstadt vorbeihetzenden Büroplanktons.

Das feine Spiel mit Grenze und Distanz

Damit deutet sich das wichtigste Prinzip dieses Theaterstücks an: Ein Spiel mit Grenzen und der Distanz zwischen Bühne und Publikum, das hier meister- und schalkhaft auf die Spitze getrieben wird.

DRUGLAND bei Sommerblut: nur noch am Sonntag, den 13. Mai, ab 19h am Neumarkt.
Weitere Aufführungen als Gastspiele am
23.05.2018; 20:00 Uhr im Theater im Depot, Dortmund, und am
27.05.2018; 20:00 Uhr im Theater im Ballsaal, Bonn)

Text: Johann Zajaczkowski

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