Dietmar und der Sohn von Elvis
Donnerstag, 4. April 2019 | Text: Jasmin Klein | Bild: Jasmin Klein
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Dietmar Geigle habe ich auf einer Party in Mannheim kennengelernt. Er arbeitete damals für eine Filmproduktion, deren Chef ich später heiratete. Wir kennen uns seit mehr als 22 Jahren. Schon damals war er, und ist auch heute noch, Drehbuchautor. Was neu ist: Er schreibt jetzt auch Romane. „Ausgerechnet Graceland“ handelt von Mütze, dem leiblichen Sohn von Elvis, von ihm gezeugt in seinen Jahren als Soldat in Deutschland.
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SeverinstorburgDietmar lebte lange in der Südstadt und so treffen wir uns im Café Walter. Dietmar ist immer noch ein sehr großer Mann, hat immer noch einen klitzekleinen, schwäbischen Akzent und wohnt mittlerweile in Lindenthal. „Mein Schwiegervater wohnt in der Rosenstraße, daher bin ich regelmäßig hier. Früher war ich gerne im Ecco, im Wippenbecks und in der Fiffibar, als sie noch in der Rolandstraße war. Zum Bingo gehe ich heute noch in die Haifischbar. Viele Freunde leben hier, ich bin nicht weg.“
Wir starten bei einem Cappuccino mit dem Interview, und ich erfahre Dinge von ihm, die ich nicht wusste, weil ich nie danach gefragt hatte.
Du bist beim Drehbuch gut im Geschäft, man kennt Dich in der Branche. Aber jetzt hast Du ein Buch geschrieben.
Elvis Presley lebte zweitweise in Deutschland und lernte hier auch die 15jährige Lisa Marie, seine spätere Ehefrau, kennen. Ihm wurden zahlreiche Affären nachgesagt, da kann es ja sein, dass er in Deutschland ein Kind gezeugt hat. Ich wollte aus der Idee einen Film machen und habe dazu mit einer Filmproduktion gesprochen, aber die Reise nach Memphis war denen zu teuer. Dann dachte ich mir: Schreib ich halt ein Buch!
Der 17jährige Punk namens Mütze wohnt in Bad Nauheim und findet im Nachlass seiner Mutter, die tragisch ums Leben gekommen ist, Liebesbriefe von Elvis Presley. Er rechnet nach und kombiniert, dass Elvis sein leiblicher Vater ist. Ungewollt macht er sich auf den Weg nach Graceland in Memphis. Auf dem Weg dorthin trifft er viele Persönlichkeiten aus der Musikbranche, kommt über Paris nach New York, trifft im CBGB’s die junge, noch nicht berühmte Madonna und bringt ihr das Schlagzeugspielen bei, kriegt den großen Stromausfall mit, bei dem es zu Plündereien kommt, an deren Ende der Hiphop entsteht. Wie auf Schienen führt der Weg an Musikern aus der Zeit vorbei. Alles hängt miteinander zusammen, nichts kommt zufällig daher. Es ist ein witziger, zeitgenössischer Coming-of-age-Roman.
Du selbst bist in einem kleinen, schwäbischen Dorf groß geworden. Was brachte Dich dazu, überhaupt Geschichten zu schreiben?
Das wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Ich komme aus einem sogenannten bildungsfernen Haushalt: Mein Vater war Schichtarbeiter bei Daimler, meine Mutter Näherin und Hausfrau. Neben der Bibel besaßen wir genau noch ein Buch: Eine Ausgabe von Reader’s Digest mit verschiedenen Kurzgeschichten. Darunter auch Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Ich war der Alien der Familie, ich fand Geschichtenlesen und -erzählen aufregend. Mit 15 entdeckte ich in der Stadtbibliothek Thomas Mann. Mit den Buddenbrocks konnte ich nichts anfangen, die waren mir zu lang, zu wenig Handlung. Felix Krull dagegen fand ich kurzweilig und erheiternd. Das Buch ist ja unvollendet, und dann schrieb ich aus Enttäuschung darüber den Roman einfach weiter.
Fanfiction zu Felix Krull?!
Ja, das war albern.
Aber wie wird man vom Krull-Fanfiction-Autor zum Drehbuchautor für RTL-Serien?
Nach der Bundeswehr studierte ich Wirtschaft, Germanistik, Politik und Geschichte, schrieb Kurzgeschichten, war Redakteur beim Meier, einem Stadtmagazin in Mannheim, schrieb als Ghostwriter Bücher für Leute, die keine Zeit haben, Bücher zu schreiben.
Für wen?
U.a. für Gunther von Hagens, das „Anatomiehandbuch“. Und alles ohne Google und Wikipedia, sondern mit Recherche und Fernleihe. Bereits in Mannheim setzte ich mich mit dem Genre Film auseinander, realisierte Musikvideos, schrieb kleine Storys, die dann umgesetzt wurden, las mich in die Dramaturgie ein. Klassisches Drehbuch ist zu 90% Handwerk. Viele Hollywoodfilme kannst Du mitstoppen: nach 20 Minuten kommt Plotpoint 1, dann Plotpoint 2, dann Showdown. Exposition, Anfang, Mitte, Schluss, dazwischen ein paar Wendungen, das ist reines Handwerkszeug. Das Ganze originell zu verpacken, DAS ist die Kunst.
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COMEDIA Theater – ein Haus für AlleUnd 1998, kurz nach mir, kamst Du auch von Mannheim nach Köln.
Unsere gemeinsame Bekannte, die „Schnecke“ war meine Ansprechpartnerin bei der Ufa. Es war die Zeit des langweiligen Fernsehens. Ich habe ZU ambitionierte Serien entwickelt, Horror, abgefahrene Sachen, die keine Sau haben wollte. (lacht) Timing ist auch wichtig! Ich habe dadurch gelernt, meine Nische zu suchen; diese Nische war bei mir dann der Humor.
Damals gab es viele Sitcoms, da habe ich bei einigen mitgeschrieben, die auch relativ erfolgreich waren.
Was rätst Du Menschen, die auch Drehbücher verfassen wollen?
Fürs Networking empfehle ich, an Akademien zu gehen, am besten nach Ludwigsburg. Die Hochschule steht dem Markt am nächsten. Viele waren in Ludwigsburg, das ist eine Kaderschmiede für TV-Schaffende, z.B. der Regisseur Bora Dağtekin (Türkisch für Anfänger, Fack Ju Göhte), der als Autor anfing, oder auch RTL-Fiction-Chef Philipp Steffens. Die Hochschulen in Hamburg, Berlin und München sind eher auf Kino ausgerichtet, wobei sich das auch wandelt.
Ist das jetzt Dein Tipp für Menschen, die den Wunsch haben, Drehbuchautor zu werden?
Nein. Ehrlich gesagt kann ich niemandem empfehlen, Drehbuchautor zu werden. Du brauchst viel Zeit, Du kriegst so oft eins in die Fresse, 95% steigen irgendwann aus. Das macht keiner auf Dauer. Außer, Du findest Deine Nische. Aber es ist ein spannender Job.
Bei mir lief das auch kurios: ich nahm an einem kleinen Pitch in Berlin teil und kam so zu Action Concept in Frechen, die gerade eine Sitcom planten. Daraus wurde nichts, aber so entstand mein Kontakt zu RTL. Ab da wurde ich von Sitcom zu Sitcom gereicht: „Alle lieben Jimmy“ (der für den Emmy nominiert wurde), dann eine Serie mit Jürgen von der Lippe, dann eine mit Gaby Köster – das war alles Anfang der 2000er. Dann kam das große Sitcom-Sterben, das war ziemlich bitter, und das hatte verschiedene Gründe: Gaby Köster, mit der ich gerade an einer neuen Sitcom arbeitete, wurde krank. „Die Camper“ wurden abgesetzt. Bei „Mein Leben und ich“ wurde die Hauptdarstellerin zu alt, „Nicola“, Mariele Millowitsch, wollte eine neue Serie machen…
Da musste ich schauen, was ich mache, und so kam ich zur Soap. Das war eine sehr gute Schule. Persönlich war es die Hölle: Viele Egomanen sitzen an einem Tisch, man plottet (schreibt Serienhandlungen, Anm. der Red.) in vier Tagen fünf Folgen á 30/45 Minuten. Von den sog. Skriptern schreibt einer eine Outline, der Editor geht über den Text, der wird dann mit der Redaktion besprochen. So werden 2,5 Stunden pro Woche produziert. Eine harte und gute Schule. So mischte ich mit bei „Marienhof“, „Verbotene Liebe“, „Anna und die Liebe“, „Lena-Liebe meines Lebens“ – Viele Liebe eben. Das ist sehr lehrreich, aber total bekloppt. Bei Misserfolg liegt es am Autor, bei Erfolg am Protagonisten…
Wenig sinnstiftend?
Es zahlt die Miete, daher sinnstiftend. 98% aller Autoren haben einen Nebenjob. Ein Job bei der Soap ist ein fester Job, und Du bekommst jeden Monat gutes Geld! Als ich aber die Gelegenheit bekam, wieder etwas anderes zu machen, war ich sofort weg. Ich gucke selbst gar keine Soaps. Sie sind inkonsequent: niemand stirbt, es gibt Konflikte über Konflikte, aber keine nachhaltigen Konsequenzen. Bei „Game of Thrones“ sind sie eben tot, wenn sie böse sind. DAS ist konsequent.
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Aktionsgemeinschaft rund um Bonner Str./Chlodwigplatz e.V.An welchen Serien, die man so kennt, hast Du gearbeitet?
„Jenny“, „Der Lehrer“, und aktuell „Die Läusemutter“, eine Grundschul-Comedy-Serie, die demnächst auf Sat1 startet. Es geht um den Alltag rund um eine Grundschule, an der sich eine neu zugezogene Mutter samt Tochter beweisen muss. Sie startet erstmal in der Hierarchie ganz unten als „Läusemutter“; das sind die Mütter, die nach den Ferien die Köpfe der Kinder nach Läusen durchsuchen müssen. Ein undankbarer Job. Wir haben Michael Kessler, Alex Schubert von der heute-Show, April Hailer, Petra Nadolny. Es wird fies wie „Jerks“, aber positiver. Die Dreharbeiten finden gerade in Elsdorf in einer alten Schule statt.
Was ist der Unterschied zwischen Drehbuch-Schreiben in den USA und in Deutschland?
In den USA gibt es die sog. Skriptdoktoren, die nie in irgendeinem Abspann auftauchen. Die verdienen ein Heidengeld, viel mehr als ein normaler Autor. Kurz vor Drehbeginn werden sie ans Buch gesetzt, schreiben es in sechs Wochen komplett um und bekommen dafür z.B. eine Million Dollar. Damit retten die Skriptdoktoren oft die Produktion.
Sowieso haben dort die Autoren mehr Macht. Als z.B. 2007 die Writers Guild of America (gemeinsame Gewerkschaft der Autoren in der Film-und Fernsehindustrie der USA, Anm. der Red.) zum Streik aufrief, blieben viele Produktionen stehen. In den USA, in Skandinavien und auch in England gibt es nur Autorenfernsehen, die Autoren dominieren die Produktion. In Deutschland wird das Regie- und Redakteursfernsehen praktiziert. Das hat lustigerweise Goebbels erfunden. Er erfand die Redakteure, die Einfluss auf die Produktion nehmen. Als Autor in Deutschland denkst Du Dir die Geschichte aus, ein anderer realisiert sie als Film, und dann ist sie in den Händen des Regisseurs, des Redakteurs und manchmal auch des Schauspielers, der die Dialoge ändert. Gott sei Dank ändert sich das im Moment etwas.
Wieviel Prozent von dem, was Du geschrieben hast, ist tatsächlich realisiert worden?
(denkt länger nach): Vielleicht 30%? Ich mache mittlerweile nur noch Auftragsarbeiten. Denn die Entwicklung von Filmen und Serien ist zu kostspielig, ich kann sie mir nicht mehr leisten. Um heutzutage eine Serie selbst zu entwickeln, musst Du zwei bis drei Jahre Deines Lebens investieren, verdienst aber nur soviel wie ein Sachbearbeiter in EINEM Jahr. Außer, Du bist irgendwo als Creative-Irgendwas angestellt. Darum habe ich immer fünf Bälle gleichzeitig in der Luft.
Einer davon ist Dein neuer Roman. Wir wünschen viel Erfolg!
Buch kaufen: http://bit.ly/ausgerechnetgraceland
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