„Dürfen wir dich ein Stück schieben?“
Dienstag, 7. Mai 2019 | Text: Alida Pisu | Bild: Oliver Köhler
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Für viele Kindergärten und Kindertagesstätten ist es längst eine Selbstverständlichkeit, das Miteinander der Generationen zu fördern und damit auch das gegenseitige Verständnis füreinander. Insbesondere zwischen Kindern und SeniorInnen. Warum das so ist, wie es gestaltet wird und was Alle davon haben, das habe ich mit zwei Besuchen herausfinden wollen.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Ralph Ley – SteuerberaterMein erster Besuch führt mich in die Kindertagesstätte Kartause, die eine Kooperation mit dem Seniorenheim Clara-Elisen-Stift unterhält. Leiterin Gisela Stumpf hat mich zur Mitarbeiterbesprechung eingeladen und dazu ermuntert, dem Team Fragen zu stellen. Ich lasse mich nicht lange bitten.
Wie kamen Sie auf die Idee, Kinder und SeniorInnen zusammen zu bringen?
Gisela Stumpf: Es ist jetzt 20 oder sogar 25 Jahre her, dass wir an St. Martin ins Stift rüber gegangen sind und mit den alten Menschen Martins-Lieder gesungen haben. Daraus hat sich ganz viel weiterentwickelt. Wir bekommen eine Liste mit den Geburtstagen. Und dann besuchen und besingen wir diejenigen, die 70, 75, 80 Jahre alt werden. Ab 80 Jahren gehen wir jedes Jahr hin. Feste Termine sind auch das Sommerfest und die Weihnachtsfeiern. Weihnachten besuchen wir allerdings nur die Seniorenkreise an der Kartäuserkirche. Zur Adventszeit gehört unbedingt die Engel-Aktion. Da backen die Eltern im Vorfeld Engel, die Kinder malen Engelbilder, die vervielfältigt werden und in jede Engel-Tüte kommt so ein Engelbild dazu. Die Kinder schwirren dann aus, verschenken die Engel z.B. auf der Severinstraße, im Vringstreff oder eben auch im Clara-Elisen-Stift.
Besuchen die Senior/innen auch die Kinder?
Ja, es gehen wechselseitig zwei Gruppen rüber. Die eine mit einer kleinen Abordnung Kinder, bei der anderen kommen von drüben Bewohner in Begleitung eines Mitarbeiters zu uns. Dann machen wir gerne einen Stuhlkreis. Das ist ein verbindendes Element zwischen Kindern und SeniorInnen, weil die alten Menschen die Kinderlieder ja auch noch kennen und mitsingen. Die haben einfach Spaß, hier zu sein und zu sehen, wie die Kinder miteinander agieren. Es findet auch ein Austausch statt. Denn die Kinder fragen gerne: „Wie alt sind Sie?“ und hören aufmerksam zu, wenn die Menschen erzählen. Selbst sehr junge Kinder, die sonst nie den Mund aufmachen, finden das auf einmal ganz toll.
Es ist also eine schöne Erfahrung für Alle?
Manchmal fließen bei den SeniorInnen auch Tränen. Vielleicht, weil sie an die eigenen Enkel denken, die sie nicht so häufig sehen. Oder weil sie nie eigene Kinder hatten und damit auch keine Enkelkinder.
Werden die Kinder auf die Besuche vorbereitet und freuen sie sich darauf?
Wenn ich den Kindern sage, dass wir rüber gehen, lassen die alles stehen und liegen und stehen schon an der Tür. Bei Geburtstagen z.B. besprechen wir vorher, wen wir besuchen und in welchem Alter derjenige ist. So lernen die Kinder, was alt bedeutet, und was sehr alt bedeutet. Im Nachhinein besprechen wir mit den Kindern, was sie gesehen und ob die Leute sich gefreut haben. Weil eben schon mal Tränen fließen. Die Kinder sollen verstehen, dass es manchmal auch Freudentränen sind.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
ODEON – das SüdstadtkinoWie gehen die Kinder damit um, dass sie teilweise sehr alte Menschen mit Einschränkungen erleben?
Die Kinder gehen ganz normal damit um. Als eine mittlerweile Verstorbene noch lebte, haben die Kinder sie sehr gerne in ihrem Rollstuhl über unser Außengelände gefahren. Sie wurde schon empfangen mit der Frage: „Dürfen wir dich ein Stück schieben?“ Kinder nehmen eine Einschränkung als etwas wahr, was zum Altwerden dazu gehört. Dass man dann vielleicht nicht mehr so viel reden kann, nur noch Freude zeigen kann und Lachen, das sind Erfahrungen, die den Kindern nicht mehr fremd sind, weil wir es schon so lange machen. Ihnen ist klar: „Die können bestimmte Dinge nicht mehr so“ und das findet bei ihnen eine hohe Akzeptanz.
Beeindruckt bedanke ich mich bei Gisela Stumpf und ihren MitarbeiterInnen und gehe einige Tage später ins Clara-Elisen-Stift, um einen Besuch der Kinder zu begleiten.
Punkt 10.00 Uhr stehe ich im Foyer des Hauses und da kommt auch schon eine kleine Kinder-Karawane in Zweierreihen durch den Garten auf mich zu. Es ist ein Vorteil für beide Partner, dass nur der Garten durchquert werden muss, der zwischen den Einrichtungen liegt – ein Besuch ist also leicht zu bewerkstelligen.
Herr Zeller, der das Stift leitet, eilt herbei und schlägt vor, die BewohnerInnen zu besuchen, die noch beim Frühstück sitzen. 3 Minuten später: Überraschung, die Kinder sind da und sie singen mit Inbrunst ihre Lieder. „Es war eine Mutter, die hatte 4 Kinder. Den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter…“ Kannte ich noch nicht, singe den Refrain aber munter mit. Wer von den SeniorInnen ebenfalls singen kann, tut es, manche allerdings beschränken sich aufs Klatschen. Wenngleich die Begeisterung der Kinder auf sie übergesprungen ist und ich in leuchtende Augen blicke. Hier treffen kindliche Lebensfreude und unbändige Energie auf die Gelassenheit und die Einschränkungen des Alters. Was der allseitigen Freude aber keinen Abbruch tut. Ganz im Gegenteil.
Bei „Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald…“ wirft Herr Zeller sich sowohl vor Kindern als auch SeniorInnen zu Boden und dirigiert mit weit ausholenden Bewegungen. Klappt gut und der Spaß ist fast mit Händen zu greifen. Es ist nicht zu übersehen: Die Kinder sind ein Geschenk für die alten Menschen und spüren selbst das Besondere daran, anderen eine Freude machen zu können.
Dir gefällt unsere Arbeit?
meinesuedstadt.de finanziert sich durch Partnerprofile und Werbung. Beide Einnahmequellen sind in den letzten Monaten stark zurückgegangen.
Solltest Du unsere unabhängige Berichterstattung schätzen, kannst Du uns mit einer kleinen Spende unterstützen.
Paypal - danke@meinesuedstadt.de
Artikel kommentieren