„Eigentlich wollen wir die Menschen nicht stören“
Freitag, 8. März 2024 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Letzte Generation
Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
Es geht um nichts weniger, als um unsere Lebensgrundlage. Das haben die verschiedenen Protestformen, die sich um die Klimakatastrophe drehen, in der wir uns befinden, gemeinsam. In diesem gemeinsamen Ziel erhalten die Initiativen dafür auch viel Zuspruch. Allerdings nicht nur. Ob Schulstreik oder Demonstrationen, Critical Mass oder Protestmärsche – immer besteht ein Teil der Reaktionen auch aus Spott, Hohn und Verärgerung.
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Thai Gourmet am Ubierring – Köstlichkeiten aus Vietnam und ThailandDie meiste Häme – und auch Wut – bekommt dabei seit einigen Jahren die Gruppe „Letzte Generation“ zu spüren. Das liegt vor allem daran, dass ihre Aktionen meist entweder drastisch und auffällig waren, wie das Bewerfen von teuren Gemälden mit Kartoffelbrei. Oder dass sie viele andere Menschen in ihrem Alltag behindert haben, wie durch die Straßenblockaden. Anfang diesen Jahres soll nun ein tiefgreifender Strategiewechsel vorgenommen werden: Weg vom Kleben und rein in die Politik. Die „Letzte Generation“ will in diesem Jahr zur Europawahl antreten. Daneben sollen Großdemonstrationen und gezielte Störaktionen die Hauptprotestformen bleiben.
Die Anfänge der Initiative
Ihre Namensgebung soll mit einem Tweet von Barack Obama in Verbindung stehen: “We are the first generation to feel the effect of climate change and the last generation who can do something about it.” („Wir sind die erste Generation, die den Effekt des Klimawandels zu spüren bekommt, und die letzte Generation, die etwas dagegen machen kann.“)
Ziviler Ungehorsam als Mittel der Wahl
Südstädter Robin ist 19 und auch bei der Letzten Generation dabei. Seit Dezember 2022 macht er dort mit. Davor ist er auch auf mehreren Demos von Fridays for Future gewesen, aber das Demonstrieren allein, sagt er, hätte es dann ja nicht gebracht. „Nachdem mehrere Jahre lang immer wieder sehr viele Menschen auf die Straße gegangen sind, gezeigt haben, wie wichtig das Thema ist, wurde am Ende immer etwas sehr Halbherziges beschlossen“, stellt er fest. „Das hat dann zu einer gewissen Frustration geführt.“ Zivilen Ungehorsam zu betreiben, aber gewaltfrei, das habe ihn überzeugt. „Zum Beispiel einen Kohle-Bagger zu stürmen, das geht mir persönlich vielleicht ein bisschen zu weit. Ich kann verstehen, dass Menschen das machen, aber das wäre für mich persönlich nicht das, was ich machen möchte. Aber eben dieser friedliche Protest auf der Straße, der strikt und immer gewaltfrei bleibt. Das ist einfach für mich die Lösung.“
Überzeugung und Training
Als er von der Letzten Generation hörte und sich dann ausführlicher informierte, entschied er, in der Gruppe genau das gefunden zu haben, das er gesucht habe. Er meldete sich zuerst unverbindlich zu Vorträgen und Trainings an, um sich die Bewegung näher anzuschauen.
„In den Trainings“, erzählt Robin, „werden zunächst die Basics geklärt: Warum machen wir das? Wie machen wir das? Was ist der Konsens, auf den sich alle einigen sollten. Und dann geht es ganz viel auch um den rechtlichen Teil, welche Konsequenzen das haben kann, was ich mache. Und dann kommen natürlich auch noch viele Fragen auf, die dann beantwortet werden. Und dann haben wir so ein kleines Schauspielrunde gestartet, in der man einfach so eine Blockade-Situation durchgeht.“
Das sei zwar eine gute Vorbereitung, sagt er, aber in der Realität sei es natürlich dann doch auch jedes Mal anders.„Sobald die Menschen aus den Autos aussteigen auf einen zukommen“, erzählt der 19-Jährige, „setzen wir uns oft hin, einfach weil dann die Hürde, auf den einzutreten, der auf dem Boden sitzt, viel höher ist. Es gibt trotzdem Menschen, die das machen, aber es sind dann doch weniger.“
Auch positive Überraschungen gibt es dabei immer wieder, etwa, wenn Ordnungskräfte oder Umstehende zum Ausdruck bringen, dass sie ihre Haltung und ihren Einsatz gut finden.
Strafanzeigen für das Klima-Engagement
Wenn es dann doch mal zu einer Anzeige kommt, muss man damit rechnen, die Kosten selbst zu tragen. Zwar gibt es einen Unterstützungs-Fundus auch für Strafgelder, aber kam könne sich nicht darauf verlassen, dass der dauerhaft ist.
Ein weiterer Geld-Fond ist vor allem dafür da, die Aktionen finanziell zu ermöglichen. Wenn Aktivist*innen der Letzten Generation, die sich bereits für die Gruppe eingesetzt haben, extra von weit her nach Berlin anreisen, um dort zum Beispiel bei Protestmärschen mitzumachen, kümmert sich die Organisation um Unterkünfte, Verpflegung und übernimmt sogar die Fahrtkosten. Aber auch bei den vorhandenen Geldern kann man nicht davon ausgehen, dass der Vorrat unerschöpflich ist, weshalb die Organisation stetig Spenden sammelt.
Robin selbst nimmt regelmäßig an Blockaden und Protestmärschen teil. In den Medien war aber die Gruppe ja vor allem so präsent, weil aus ihr auch krassere Aktionen hervorgingen und -gehen. Die Kartoffelbrei-Würfe in Museen etwa, Neuwagen, die mit Öl übergossen wurden oder das Beschmieren von Gebäuden mit Öl.
„Diejenigen, die sich aktiv an solchen Aktionen beteiligen, überlegen sich das vorher sehr gut“, erklärt Robin. „Allein schon, weil klar ist, dass einen sowas noch sehr lange beeinflussen kann. Tatsächlich sind es nicht selten Personen, die bereits unter der Pfändungsgrenze leben – und wo mit Strafgeldern nichts holen ist. Es ist in jedem Fall eine heftige Entscheidung, aber ich kann auch verstehen, warum Menschen sagen, das ist mir wichtig genug.“
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Kartäuserkirche – Evangelische Gemeinde KölnEinige Sonder-Proteste hat auch Robin schon mit begleitet, aber immer, um Fotos zu machen. Jede Aktion wird grundsätzlich professionell mit eigenem Film- und Fotomaterial begleitet. Die Medienarbeit ist fast so wichtig wie die Aktionen selbst.
Akribische Vorbereitung
Bei den Aktionen wird genau geplant. Das gilt sowohl für die Störungen, die mit Sachbeschädigungen einhergehen, als auch für die Straßenblockaden und Protestmärsche. Die Plätze für Blockaden etwa, so Robin, seien immer so ausgewählt, dass die beiden Fahrtrichtungen voneinander und von den Fußgängerwegen getrennt seien, damit keine Autos in den Gegenverkehr oder über Gehwege fahren und andere gefährden. Auch wähle man bewusst Stellen an Ampeln oder ähnlichen Punkten mit stehendem Verkehr, um Verletzungsrisiken zu minimieren.
„Es gibt immer noch Menschen, die uns vorwerfen, dass wir den Diskurs verzerren“, sagt Robin. „Und dass wir dann das Gegenteil dadurch erreichen, was wir eigentlich wollen, weil die Menschen einfach nur sauer sind und man gar nicht mehr über den Klimaschutz redet, sondern nur darüber, was wir machen. Aber ich bekomme jedes Mal auf der Straße mit, wenn man mit Polizisten redet und es stehen andere Menschen drum herum, dass man immer wieder auf das Klima- und Umweltschutz-Thema zu sprechen kommt. Und das ist eigentlich der Konsens, dass man doch was machen muss. Aber irgendwie passiert nichts. Es passiert nur was, wenn man drüber redet. Den Diskurs stoßen wir auf jeden Fall mit den Aktionen an. Immer wieder.“
Notwendige Störung
Auch auf der Straße gibt es jedoch gelegentlich Gegenvorschläge, weil Passanten mit der Wahl der Protestform eben doch nicht so zufrieden sind.
„Uns wird ja ganz oft gesagt, geht doch dahin, mach doch mal dies und das. Aber darauf ist meist die Antwort: Ja, das haben wir auch schon gemacht und das hat dann halt leider keiner mitbekommen. Geht in den Bundestag – zum Beispiel. Haben wir schon gemacht. Auch mit einer Stör-Aktion. Da haben wir den Feueralarm ausgelöst. Klar würden wir am liebsten einfach eine große Versammlung vor dem Bundestag machen und sagen, setzt das jetzt um – und dann wird es umgesetzt. Dann müssten wir niemanden im Alltag behindern. Aber das funktioniert halt leider nicht.
In Berlin, da hat einer von uns gesagt: ‚Störung ist nicht alles, aber ohne Störung ist alles nichts.‘ Und ich finde, das beschreibt es eigentlich ganz gut. Denn wenn man nicht stört, dann bekommt es auch keiner mit. Aber wir können auch nicht nur stören. Das ist ja auch nicht das, was wir wollen. Wir wollen ja die Menschen nicht stören. Am liebsten. Aber es geht halt nicht anders.“
Gut vernetzte Organisation
Die Letzte Generation, sagt Robin, stehe mit vielen anderen Organisationen in Kontakt. Fridays for Future, Teachers for Future, Parents for Future und Pychologists for Future zum Beispiel. Letztere arbeiten auch mit der noch jungen Gruppe zusammen und bieten eine psychologische Seelsorge mit an. Auch mit Scientists Rebellion gab es bereits gemeinsame Aktionen. Auch „personelle“ Überschneidungen gebe es zwischen den Gruppen. So sind bei der Letzten Generation auch viele Menschen dabei, die auch bei Extinction Rebellion waren oder sind.
Man hilft sich gegenseitig – und gibt Anleitungen zur Selbsthilfe. „Wir haben sowohl ein Team bei uns, das sich mit rechtlichen Belangen auseinandersetzt“, erzählt der Aktivist. „Und wir haben auch mehrere Soli-Anwält*innen, die uns beraten oder auch vertreten. Es gibt auch Menschen, die sich selbst vor Gericht verteidigen. Auch dafür gibt es ein Training: Wie man Prozesse führt und wie das überhaupt abläuft. Weil die meisten – und ich ja auch – nie damit in Berührung gekommen sind, noch nie im Gerichtssaal saßen. Zu dieser Selbst-Verteidigung gibt es auch noch mal einen Crashkurs. Und: Die Prozesse, sind ja öffentlich, also kann man sie sich angucken und sich ins Publikum setzen. Das habe ich jetzt auch schon zwei Mal gemacht.“
Auch für den Umgang mit der Presse gebe es spezielle Trainings. Manchmal, ergänzt Robin, gebe es aber auch Situationen, in denen diejenigen sich den Kameras und Interviews stellen, die sich dem auch gewachsen fühlen.
Sehr durchmischte Altersstruktur
Dafür, dass es die Initiative erst so verhältnismäßig kurz gibt weist die Letzte Generation ein hohes Maß an Organisation und Professionalität auf. „Das“, erklärt Robin, „liegt auch daran, dass Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen bei uns mitmachen. Also wir haben sowohl Personen dabei, die früher zum Beispiel bei der „Zeit“ gearbeitet haben und jetzt bei uns die Pressemitteilungen schreiben, als auch welche, die professionell Grafik-Designs für Unternehmen Grafiken entwerfen und das bei uns machen, teilweise auch neben ihrem Job in ihrer Freizeit.“
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ODEON – das SüdstadtkinoDenkt man bei der Letzten Generation vor allem an Jugendliche und sehr junge Erwachsene, entspricht das nicht unbedingt der Realität: „Es gibt ja dieses Klischee, dass die Letzte Generation vor allem die ‚junge‘ Generation ist, die die ‚alte‘ aufwecken muss“, sagt Robin. Das ist zumindest mein Eindruck, wenn Medien schreiben, die Jungen gehen jetzt auf die Straße. Aber eigentlich stimmt das gar nicht. Wir haben von 14-Jährigen bis 72-Jährige alle Altersgruppen mit dabei.“
Das Gespräch mit Robin führte Nora Koldehoff Ende 2023 – inzwischen hat er sich dazu entschlossen, nicht weiter bei „Letzte Generation“ mitzumachen
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