Ein Rad auf Umwegen
Mittwoch, 11. Mai 2011 | Text: be süd
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Es geschah an einem Montag! Nicht zu fassen – es ist weg! Einen Moment nicht aufgepasst. Ich hasse Montage! Der Montag begrüßt mich wie immer, ich werde von meinem Feind aus meinem schönen Traum herausgerissen. „ Mensch!
Es geschah an einem Montag! Nicht zu fassen – es ist weg! Einen Moment nicht aufgepasst. Ich hasse Montage! Der Montag begrüßt mich wie immer, ich werde von meinem Feind aus meinem schönen Traum herausgerissen. „ Mensch! Ich wollte gerade ins Meer springen!“ Während ich böse Blicke Richtung meines geliebten Feinds (meines Weckers) schieße, schreie ich ins Universum: „Ich brauche noch 5 Minuten!“ Schlaftrunken, sehr langsam, verabschiede ich mich von meinem gemütlichen Bett und mache mich auf dem Weg Richtung Kaffeekanne. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist – morgens bin ich absolut unfähig ganze Sätze auszusprechen. Ich grunze unverständlich vor mich hin (mein Partner versteht mich als Einziger! Nichtmal ich selbst verstehe mich!). Ich habe eindeutig den Montagblues! Hilfe! Immerhin scheint die Sonne…
Ich habe es tatsächlich geschafft, aus dem Haus zu kommen. Zielbewusst steuere ich auf mein Liebstes zu. Ich möchte mich auf kein anderes setzten! Mein geliebtes Fahrrad, seit Jahren mein ständiger Begleiter in guten und in schlechten Zeiten! Mit ihm habe ich Abenteuer erlebt, Spaß gehabt. Ich liebe es, im dritten Gang zu fahren, gemütlich, den Wind in meinen Haaren, dieses Gefühl der Freiheit. Während die Autofahrer in der Hitze auf der Rheinuferstraße im Stau stehen, schwebe ich entspannt vorbei. 1 zu 0 für mich! Mein Rad und ich, wir sind das perfekte Paar, da können Kate und William einpacken! Kann man eine Beziehung zu einem Fahrrad haben? Haben Fahrräder eine Seele? Ich habe wirklich den Eindruck mein Fahrrad versteht mich. Es weiß genau, wohin ich will, wir führen quasi eine telepathische Beziehung! Ist das normal? Als Kind hatte ich ein Lieblingskuscheltier (wo ist es nur geblieben?) – als Erwachsener habe ich mein Fahrrad! Wir haben zusammen Urlaube verbracht in Frankreich und Italien, wer stand in Momenten der Einsamkeit bei mir? Mein Rad! Es hat mir neue Wege gezeigt und, Moment mal, schnief….
ich muss die Tränen wegwischen… So geschah es: Nach einen arbeitswütigen Montag radelte ich, zusammen mit meinem Rad, in die Freiheit, in Richtung Park. Mein Ziel war ein schönes schattiges Plätzchen! Das Wetter perfekt, im Park wimmelte es nur so von Menschen und Hunden und Bällen, und den Montag hatte ich erfolgreich fast hinter mich gebracht. Leider eben nur fast. Zu meinem Erstaunen erkenne ich einen alten Ex-Südstädter, er läuft gerade in den Park. Seit acht Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen, und jetzt steht er grinsend vor mir! Einmal Südstädter, immer im Herzen Südstädter! Ein schönes Wiedersehen und ein Anlass, länger im Park zu bleiben! Es geschieht, was geschehen soll. Wir sitzen lange zusammen, trinken, lachen, schwelgen in alten Erinnerungen, genießen die Abenddämmerung. Am nächsten Tag muss ich zum Zahnarzt, etwas verschlafen laufe ich in den Hof. Mit einem Schlag bin ich hellwach: „Mein Fahrrad ist weg!“ Es wird mir plötzlich heiß und kalt, Schweißperlen treten auf meine Stirn, meine Hände sind feucht, mein Kopf rätselt im Schnelldurchlauf. Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie ich mich gestern, ohne mich umzusehen, von meinem Fahrrad entferne! Oh, nein! Ich renne in den Park und – was ist? Nichts ist! Das Rad ist weg! Mein Freund, mein Begleiter, einfach weg! Tränen schießen in meine Augen, eine tiefe Traurigkeit überkommt mich. Ich habe leider keine Zeit, ich muss zum Zahnarzt! Also leihe ich mir schnell ein anderes Rad. Pfui! Das Rad fährt nur im ersten Gang, das heißt ich muss Gas geben, ich sehe sicherlich wie eine Comicfigur aus. Während ich wie ein Verrückter radele und kaum vorwärts komme, denke ich an mein Rad. Ich bin der größte Depp der Welt! Ich korrigiere mich selbst – der größte radlose Depp der Welt! Hat mein Rad mich verlassen, frage ich mich. Ist es das Ende unserer Beziehung? Mit wem treibt es sich wohl herum? Braucht es eine Auszeit? Werde ich es je wieder sehen? Furchtbare Gedanken lassen mich nicht los, befindet sich mein Fahrrad gerade in den Händen böser Schrotthändler? Ist es gestohlen worden? Wird es auseinandergenommen und in Einzelteilen verscherbelt? Oder ist mein Fahrrad einfach traurig weg gefahren, weil ich unachtsam war und es einfach vergessen habe? Wie konnte ich nur! Ich sehe, wie mein Rad mit gesenkter Lampe losfährt. Eigentlich kannte ich so starke Gefühle gegenüber meinem Fahrrad nicht – bis es weg war. Ich schreibe Zettel und hänge sie überall auf. In der Hoffnung, mein Fahrrad noch zu finden….
Dann kommen die Erinnerungen, das erste Mal, das wir uns begegneten, die Kennnenlern- Phase, das erste Schloss, die Abende mit Sonnenuntergang. Jetzt ist es weg. Immer wieder entgleitet mir ein Seufzer, und ich höre mich sagen: „Mein Rad ist weg!“ Eine ganze Woche vergeht. Wie stehen die Chancen, dass man nach einer Woche sein Fahrrad wiederfindet? 0 zu 999. Das war’s. Adieu, Goodbye und Farewell. Tschüss, geliebtes Rad. Verhofft, unverhofft, mitten in der Nacht, bekomme ich einen Anruf (träume ich gerade?) und die Stimme sagt: „Ich glaube, ich habe dein Fahrrad gefunden.“ Im Traum bin ich plötzlich hellwach! Wie bitte? Ich glaube, dein Rad steht auf dem Ubierring an der Haltestelle, angelehnt an einen Zaun. Ich springe los und renne Richtung Ubierring und …. mein Rad ist da! Wie das Schicksal so will, gefunden an einem Montag! Wer hätte das gedacht? Ein Montag mit Happy End!
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