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Eine Südstadt für alle! Politik

„Eine Stadt, die nix will, kriegt auch nix!“ – Teil I

Donnerstag, 11. April 2013 | Text: Gastbeitrag | Bild: Bernd Arnold

Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Sagte Baudezernent Franz-Josef Höing auf einer Veranstaltung des BDI im Domforum Anfang des Jahres. Und spielte darauf an, dass eine Stadt die Qualitäten für Stadtentwicklung definieren müsse und ruhig selbstbewusst in Verhandlungen mit Investoren gehen solle.
Wochen später treffen wir ihn in seinem Büro im 15. Stock des Technischen Rathauses in Deutz. Bei einem amtlichen Behördenkaffee und einer großen Schale Gummibärchen reden wir knapp zwei Stunden über die verschiedensten Themen aus seinem Zuständigkeitsbereich: über Friedhöfe und Städtebau heute und vor hundert Jahren, über Grandesse von Grünanlagen und die Instandhaltung der Kölner Verkehrsinfrastruktur, über bauliche Dichte, großstädtisches Milieu und die Entwicklung neuer Quartiere.

Wieviel Einfluss haben Sie denn, wenn ein Investor kommt und sagt, ich hab´ mir dieses oder jenes überlegt?
Franz-Josef Höing: Ich hab kein Feindbild im Sinne von: Der böse Investor plant was, und ich kann es nicht verhindern. Es gibt ja nicht DEN Investor, da gibt es einige, mit denen man wunderbar zusammen arbeiten kann, weil die auch ein ähnliches Qualitätsverständnis haben. Sicher gibt es da unterschiedliche Rollen, und unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Stadt im Blick zu behalten. Wichtig ist, dass man sich da auf Augenhöhe begegnet.

Aber nochmal zu Ihrem Einfluss. Ein Investor denkt ja auch betriebswirtschaftlich, während die Stadt das Gemeinwesen im Blick haben muss. Und insofern kann das ja durchaus den Gewinnmaximierungswünschen von Investoren widersprechen.
Franz-Josef Höing: Eine Stadt ist immer gut beraten, selbstbewusst ihre Interessen zu vertreten. Eine Stadt, die nix will, kriegt auch nix.

Das hört sich ja gut an, aber was genau will die Stadt, was wollen Sie? Sie sagen ja, die moderne Stadt sei im Wesentlichen gebaut.
Franz-Josef Höing: Ja, die Stadt des 21. Jahrhunderts ist gebaut. Aber das heißt ja nicht, dass sich darin jetzt nichts mehr verändert.

 


Franz-Josef Höing (rechts) im Gespräch mit den Redakteuren Judith Levold und Stefan Rahmann.

 

Dann sprechen wir doch mal über eine Fläche, die sich definitiv verändern wird. Es geht um die 100-Hektar-Fläche um den Großmarkt herum mit dem Entwicklungskonzept Südliche Innenstadt-Erweiterung (ESIE). Dort ist stadtplanerisch in größerem Maßstab was zu reißen. Welche Vorstellungen haben Sie für das Areal?
Franz-Josef Höing: Gigantisch ist es nicht, aber für den Kölner Maßstab ist es schon ein sehr großes neues Stadtquartier, das da entstehen wird. Nicht von heute auf morgen, sondern mit langem Atem. Und was ich da will, ist ein städtisches Milieu, das heißt: nicht nur ein schönes Wohngebiet oder schöne Häuser, die einen städtischen Maßstab haben, aber im Grunde ja auch nur Wohnen sind. Sondern ich will wirklich eine Lebendigkeit.. Wenn man mal kritisch in die Stadtbaugeschichte der letzten Jahrzehnte zurückblickt: Diese Vorstellung, man könne alles bis ins kleinste Detail planen – da bin ich ein bisschen zurückhaltender. Wir werden rechtliche Bedingungen formulieren, wir können das bauliche Gerüst, den Behälter vorgeben für städtisches Leben. Auch für im wahrsten Sinne freie Räume, damit sich städtisches Leben entfalten kann. Ich habe da keine technokratische Vorstellung vom Planen. Ein solches neues Quartier ist eher Anlass, darüber nachzudenken, wie weit mein Einfluss reicht und wie flexibel Strukturen sein müssen, die ich mir überlege. Und wie wandelbar sie sind für Bedürfnisse, die wir heute noch nicht kennen. Auf dem Großmarktareal stelle ich mir wirklich eine Mischung unterschiedlichster städtischer Funktionen vor, eine Architektur, die ich jetzt noch gar nicht als Bild genau im Kopf habe. Aber auf jeden Fall eine, die flexibel ist.

Was Sie skizzieren zu den Themen großstädtisches Milieu, bauliche Verdichtung wegen Flächenknappheit, Mix von Nutzungen, neue Nachbarschaften: In älteren Vierteln wie Nippes oder der Südstadt ist das ja alles gewachsen. Aber wenn ich jetzt ein neue Fläche wie das Großmarktareal habe und soll die entwickeln: Da kann ich ja nicht sagen, das kann man jetzt erst mal 30 Jahre wachsen lassen…
Franz-Josef Höing: Das ist ein Missverständnis. Nehmen Sie das Beispiel Gründerzeit. Die Dinge sind im Zeitraffer gebaut worden. Das war alles andere, als eine organische Wachstumsphase. Mit einer unglaublichen Intensität, in einem unglaublichen Stakkato sind da städtische Baufelder entwickelt und Straßen gebaut worden. In Windeseile war alles zugebaut.


 

Wann hat sich das denn dann so gemischt und so divers entwickelt?
Franz-Josef Höing: Die baulichen Strukturen, die Zuschnitte der Häuser, die Tiefen von Hinterhöfen sind dort so, dass das nicht einfach so readymade ist. Also die Idee, wir bauen, und dann ist das fertig und hat keine Chance mehr, sich zu verändern –  das ist die Grund-Crux. Vielfalt stellt sich auch nicht auf Knopfdruck ein. Man kann eigentlich nur durch ein paar wenige Vorgaben die Möglichkeit schaffen, dass sich Dinge auch verändern können. Das ist jetzt sehr banal: Was für den Stadtbenutzer wichtig ist, ist die Erdgeschossebene, und da ist wichtig: Welchen Bezug hat ein Erdgeschoss zum öffentlichen Raum? Welche Nutzungen sitzen im Erdgeschoss? Wenn man durch die Stadt geht, stellt man fest: Immer da, wo es lebendig ist, da wird das Erdgeschoss nicht als Wohnraum genutzt. Die Frage ist, wie man das auch planungsrechtlich sichern kann. Wir haben einen ganzen Instrumentenkoffer, um Vielfalt Raum zu geben.

Nochmal zurück zum Großmarktgebiet: Halten Sie die förmliche Festsetzung zum Sanierungsgebiet für ein geeignetes Instrument, um von der Stadt gewollte Nutzungslösungen in diesem Areal umzusetzen?
Franz-Josef Höing: Das ist jetzt erst mal ein formales Gerüst, damit wir bestimmte Sachen kontrollieren können. Das ist EIN Mosaikstein, aber keine Garantie dafür, dass man ein lebendiges neues Stückchen Köln da baut. Aber große Teile der Fläche gehören uns ja schon, und immer dann, wenn die Stadt Eigentümer ist, hat man ganz andere Möglichkeiten. Man kann nicht zuletzt andere Qualitäten einfordern, als wenn Sie jetzt nur über den Bebauungsplan Dinge steuern können. Leider gehört uns nicht alles. Sie wissen, dass die Stadt da in Verhandlungen steht mit den verschiedensten Eigentümern, um Flächen zu erwerben.

Sie sprachen mal von „nicht lesbaren Stadträumen“ und davon, Stadträume lesbar zu machen und sinnvoll zu verbinden. Wenn in den Verbindungsraum zwischen den Veedeln Südstadt und Bayenthal ein Justizzentrum gebaut würde, ist das etwas, das die Stadt will?
Franz-Josef Höing: Was die Stadt bis dato will, sehen Sie ja in diesem Plan aus dem ESIE, und da steht jetzt nicht Justizzentrum.

 


Sanierungsgebiet. Grafik: Stadt Köln

Ja, aber wenn wir über Wünsche sprechen, Sie  haben ja einen groben Rahmen abgesteckt für das, was Sie sich wünschen für dieses Quartier.
Franz-Josef Höing: Nein, also es ist jetzt nicht so, dass ich mir das gewünscht habe, dass wir über ein Justizzentrum reden müssen in den nächsten Monaten oder dass das eine von meinen Visionen wäre, wenn ich aus dem Fenster gucke. Aber ich glaube auf eine solche Diskussion wird man sich einstellen müssen. Und da wird man überlegen müssen, ist das ein No Go, oder lässt sich auch das Thema Justizzentrum nochmal etwas anders denken? Also die müssen ja erst mal auf uns zukommen, und dann muss man diskutieren. Wie das dann ausgeht, das vermag ich im Moment nicht zu sagen.

Vorausgesetzt, es gäbe eine Mehrheit, die sagt, nein, an der Stelle da wollen wir ein Justizzentrum überhaupt nicht – gibt es da was aus ihrem Instrumentenkoffer, um das dann zu verhindern?
Franz-Josef Höing: Na ja, es braucht ja Planungsrecht für so einen Bau an der Stelle, und dann muss man überlegen, geht das oder geht das nicht. Man muss sich fragen, kann man den kompletten Justizzentrums-Bedarf auf der BLB-Fläche unterbringen? Schließlich wollen wir ja auch die grüne Fuge dort nicht auf eine Kordel reduzieren. Das mit der Verlängerung des Inneren Grüngürtels muss ja auch glaubwürdig sein.

In welchen Zeiträumen rechnen Sie eigentlich bezüglich des Sanierungsgebietes?
Franz-Josef Höing: Ja, das ist eine interessante Frage. Es hat konkret was mit der Frage zu tun, wie es mit der Flächenverfügbarkeit aussieht. Wenn der Standort zur Verfügung steht, dann dauert das mit der Bebauung vielleicht gar nicht so lange. Also, ich glaube, wenn man mal loslegt, schafft man es wahrscheinlich so in zehn, fünfzehn Jahren, dieses Quartier zu bauen

Gibt es da denn überhaupt schon konkrete Überlegungen, wie das Verfahren angeschoben werden soll?
Franz-Josef Höing: An diesem Standort, in dieser Größenordnung möchte ich das jetzt nicht in einem klassischen Architektenwettbewerb abarbeiten. Sondern wenn, und das ist ein Vorschlag, den wir entwickeln, mit interdisziplinären Teams, wo dann Stadtplaner, Architekten, Freiraumplaner und  Verkehrsplaner einbezogen sind. Also nicht allein Architekten. Denn da geht es ja nicht nur um Architektur. Das sind Fragen von Nutzungsmischung, von Maßstab und von der öffentlichen Beteiligung. Dabei kann man Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit einholen, und deren Votum in die weitere Arbeit einbeziehen. Mir ist da ein dialogisches Verfahren lieber als eine Closed-Shop-Veranstaltung.

Das hört sich an, als würde das dauern.
Franz-Josef Höing: Ja, wissen Sie, so ein Ding dauert. Da legen Sie nicht einfach einen Schalter um.
 

Und der Grüngürtel, also das Rückgrat der Stadt, wie Sie sagen, das müsste dann ja schon mal als Grundgerüst auch mitgedacht werden, oder?
Franz-Josef Höing: Sicher muss das mitgedacht werden. Aber was bis wann realisiert sein muss, steht dann auf einem anderen Blatt.

…erst bauen, dann Grün?
Franz-Josef Höing: Das ist auch so eine Debatte. Aber ich muss sagen, wenn wir den Großmarkt verlagert haben, dann wird die Stadt gucken müssen, über Grundstücksverkäufe Rückflüsse zu haben. Wir haben diese Bedarfe konkret nach Wohnbauflächen. Insofern hätte ich auch eine Sympathie dafür, erst frei zu räumen und dann zügig mit der Entwicklung anzufangen.

Kann man da parallel arbeiten? Dass man sich sozusagen mit dem Grün, wenn da abgerissen wird, langsam voran fräst und das Areal dann gleichzeitig auch baulich entwickelt?
Franz-Josef Höing: Also ich sehe das bislang so, dass man das so macht. Wie parallel das genau ist, das vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Und wenn wir an die Flächen nicht herankommen, dann muss man gucken, was kann man da trotzdem auch am Rande eines bereits bestehenden Stadtgebiets schon machen.

Was verstehen Sie unter „das Grün soll großstädtisch sein?
Franz-Josef Höing: Ja,  das habe ich mir schon gedacht, wenn ich das mal so sage, dann fragen alle: was soll denn das sein? Ich muss sagen, trotz aller Pflegesituationen, die wir vielleicht nicht an jeder Stelle so hinkriegen wie wir das leisten müssten, sind der Äußere und der Innere Grüngürtel da besonders stark, wo sie auf alles verzichten. Also diese großen, offenen Wiesen, diese grünen Konturen links und rechts, das finde ich, obwohl sie jetzt 80 Jahre alt sind, sind die großen, starken Dinge dieser Stadt. Und sie haben wirklich auch eine Grandesse. Ich finde, das hat einen Maßstab, der unglaublich beeindruckend ist. Und damit meine ich besonders die Stellen, wo es im wahrsten Sinne des Wortes Freiräume gibt.

Ok, wir reden jetzt nicht über einen gestalteten Botanischen Garten oder die Flora. Aber Grün kann ja auch noch mal anders sein als zum Beispiel rechts und links der Luxemburger Straße stadtauswärts oder am Aachener Weiher…
Franz-Josef Höing: Ja, aber genau weil es eben hier im geplanten Sanierungsgebiet gar nicht sooo üppig ist, muss man alles daran setzen, dass es nicht noch kleiner wird.

 

Justizzentrum – ist „keine Vision beim Blick aus dem Fenster“.

Parks oder Grün in Köln, da finde ich Wiese, Bäume, Bänke. Da sind ja vielleicht auch andere Dinge noch denkbar, zum Beispiel, dass sich das Grün stark in ein Wohngebiet verästelt. Die Frage ist, wie das genutzt werden soll. Es soll ja be-nutzt werden.
Franz-Josef Höing: Ich halte nichts davon, die Dinge zu stark zu funktionalisieren und immer exakt sagen zu wollen, welche Freifläche jetzt für was genutzt werden wird. Das ist ja das Problem, dass wir oft, auch wenn man sich neuere Sachen anguckt, immer ein bestimmtes Nutzerverhalten oder Nutzungsspektrum abbilden. Ich finde das Offenhalten besser. Nehmen wir ein Beispiel: Mir ist lieber, wir machen keinen Bolzplatz, den wir abzäunen und mit einer Tartanschicht auskleiden und damit auch ein Stück wieder isolieren. Ich bin an solchen Stellen mehr dafür, alle bringen Pullover mit, ziehen die aus, benutzen die als Torpfosten und kicken ein bisschen, verstehen Sie?

Ok, dann ist aber Freiraum auch nicht nur im räumlichen Sinne Freiraum, wo ich dann am Rand stehen und den Blick über die freie Fläche genießen kann. Sondern, dann heißt das ja auch, bei diesen Grünflächen handelt es sich um freie Räume, in denen sich auch mal was entwickeln kann, und in dem die Bürger der Stadt auch temporäre oder randständige Nutzungen entfalten, zum Beispiel mit produktivem Grün.
Franz-Josef Höing: Ja, aber man muss natürlich auch gucken, dass über so ein System, das Sie da jetzt skizzieren, nichts privatisiert und der Öffentlichkeit entzogen wird.

Nein, schon öffentlich…
Franz-Josef Höing: Und ich will auch auf keinen Fall irgendeine Schrebergartenwelt, so sympathisch mir diese Nutzungen auch an anderen Stellen in der Stadt sind, das kann ich mir an der Stelle überhaupt nicht vorstellen. Nun gibt’s ja so Ansätze, wie auch in Berlin, Tempelhof, das sind sicher alles Ansätze, über die man nachdenken muss. Diese Grandesse, das klingt jetzt vielleicht ein wenig snobistisch, aber wenn sich die kombinieren lässt mit diesen anderen Freiräumen, in die die Bürger sich hineinentwickeln, dann ist das hochgradig sympathisch und da können auch nochmal ganz neue Arten von Parks entstehen…
 

 

Teil II des Interview lesen Sie hier.

Weitere Artikel aus der Serie „Eine Südstadt für alle!“ lesen Sie hier.

 

 

Autoren:

Judith Levold

Anfangs als Studentin von Sprachen & Kultur, wohnt sie einfach mit Unterbrechungen für München oder Mailand total gerne in diesem Dorf. Weil sie soviel Kaffee trinken muss, um ihre energiezehrende Arbeit als Autorin beim WDR und anderswo auf die Reihe zu kriegen, geht sie gerne ins „Latte Macchiato“: hier kostet der gemilchte Kaffee nur einsachtzig und ist so lecker und so stark, dass man fast drauf kauen kann. Außerdem gratis dort temperamentvolle Gespräche über Fußball und andere Politikfelder.

 

Stefan Rahman

Lebt seit 31 Jahren in Köln, davon 28 in der Südstadt. Zuvor reifte er im Sauerland zum Borussia-Dortmund-Fan, was ihn aber nicht hindert, auch dem beklagenswerten FC den Aufstieg zu wünschen. Ansonsten schreibt er lokale Geschichten für die Kölnische Rundschau und betreibt im NeuLand Garten Stadtentwicklung mit Erdbewegung. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, die vor allem seinen Hang zu exotischen Kopfbedeckungen „total peinlich“ finden.

 

Text: Gastbeitrag

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