Einmal Ehrenamt – immer Ehrenamt
Dienstag, 10. Mai 2016 | Text: Lisa Stiemer | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Viel zu warm angezogen und vom sonnigen Wetter völlig überhitzt betrete ich den Oxfam Shop auf der Bonner Straße 45. Der Secondhand-Laden feiert an diesem Montag (09.05.2016) seinen 25. Geburtstag. Ein guter Anlass für mich eine Stunde mit… der Shop-Leiterin Bonnie Lehmann zu verbringen und in die Welt des Ehrenamts einzutauchen.
?Im Laden selbst zeigen sich die Leute von dem schönen Wetter da draußen unbeeindruckt. Der Raum ist voller Menschen, die an den Regalen stehen, ihre gefundenen Schätze bezahlen wollen oder in den Büchern stöbern. Ein ganz normaler Tag im Laden, wie mir dir Leiterin später erzählen wird. Durchschnittlich kaufen hier 175 Kunden pro Tag ein.? Ich versuche, mir einen Überblick zu verschaffen und suche nach einer Mitarbeiterin, was gar nicht so einfach ist bei so vielen Menschen. Ha, gefunden! Die Verkäuferin verweist mich in einen Hinterraum, wo ich Frau Lehmann finden könne.
?Dort angekommen, bietet sich mir ein ähnliches Bild: Es ist sehr voll. Mit Waren und Helfern, in der Mitte ein langer Tisch, an dem Kleidung sortiert und mit Preisen versehen wird, über dem Tisch eine lange Leine mit Kleiderbügeln und rundherum Regale mit Büchern und anderen gespendeten Gegenständen. Ich spreche die erstbeste Frau an und frage nach Frau Lehmann, mit der ich zum Gespräch „eine Stunde mit…“ verabredet sei. „Bonnie, hier ist jemand von der Zeitung für dich“ ruft sie in den Raum – auch sie muss nun kurz suchen im Gewusel.?
Auf mich zu kommt eine lebenslustige, energiegeladene Dame: Bonnie Lehmann. Sie arbeitet schon seit fünfundzwanzig Jahren bei Oxfam. Seit dem zweiten Tag, wie sie mir stolz erzählt. In der WDR Lokalzeit aus Köln habe sie damals gesehen, dass der Shop gerade aufmache und noch ehrenamtliche Helfer gesucht würden. „Eigentlich gucke ich das sonst gar nicht“, sagt sie und lacht. An diesem Tag vor 25 Jahren aber schon. Manchmal ist das eben fast Schicksal. Nachdem ihre Großmutter verstorben und ihr Sohn ausgezogen war, wurde es still im Haus. Und nur still zu Hause sitzen – das wollte Bonnie Lehmann nicht.
Sie koordiniert die mittlerweile hundert ehrenamtlichen Mitarbeiter, von denen ein Drittel auch schon seit zwanzig Jahren dabei ist. Alle sind in gut strukturierte Arbeitspläne in festen Gruppen von sieben bis zwölf Helfern pro Schicht eingeteilt. „Ich habe seitdem Backen gelernt“, schaltet sich Juliane Liebrecht, seit zwei Jahren ehrenamtlich dabei, in unser Gespräch ein. In ihrer Mittwochsgruppe bringt jeder eine Kleinigkeit zum Essen mit. Und immer nur Marmorkuchen, Marmorkuchen, Marmorkuchen, das war dann auf Dauer zu eintönig. Die einen lernen Backen. Die anderen umgeben sich gerne mit schönen und vor allem vielen Frauen. So wie Wolfgang Haas, einer der vier Männer im Team und immerhin auch schon seit einundzwanzig Jahren im Oxfam-Laden. Während seines Studiums in den 90ern las er hier immer Bücher, verbrachte also viel Zeit im Laden und sei so irgendwann als Helfer eingestiegen. Die bisher älteste Mitarbeiterin legte ihr Ehrenamt letztes Jahr mit 95 Jahren nieder, die nun älteste Helferin ist 91 Jahre alt. An mir läuft eine ältere Dame energisch und schnellen Schrittes vorbei. Sie ist auch schon 80 Jahre alt, bemerkt Frau Lehmann. Ich staune nicht schlecht. Die Mitarbeit im Laden hält offenbar jung!
Unisono erklären mir alle Ehrenamtlichen, dass der Oxfam Shop in der Südstadt schließlich wie eine Familie für sie geworden sei. Sie haben hier Freundschaften geschlossen, gemeinsam Urlaube verbracht und wenn jemand krank ist oder Geburtstag hat, wird zum Telefonhörer gegriffen – klar!
?Schon in den ersten Jahren konnte der Shop stolz etwa vierzig MitarbeiterInnen vorweisen. Viele kamen damals noch aus dem ersten und bis dato einzigen deutschen Oxfam Shop in Bonn, der zu dieser Zeit noch zentral von Oxfam England geleitet wurde. Der Kölner Laden war der zweite in Deutschland und hat sich seit dem nicht groß verändert. „Heute sehen alle neuen Oxfam Shops gleich aus.“, bedauert Frau Lehmann. Wir nennen uns dann immer ‚unser kleines gallisches Dorf‘.“ Bei den Kunden kommt das gut an. „Ihr Laden hat Seele“, stellte auch schon mal ein Kunde fest.
Am Anfang sei es hier sehr übersichtlich gewesen. „Es war ein Witz.“, sagt Frau Lehmann und holt sogleich ein altes Fotoalbum hervor. Tatsächlich. Derselbe Raum. Sicher auch dieselben Regale, aber nicht vergleichbar mit der Fülle an Waren und Menschen, die ich beim Betreten des Ladens antraf. Secondhand war vor 25 Jahren eben noch nicht in. Neben Kleidung, Accessoires, Büchern und Haushaltswaren werden auch schon mal sehr wertvolle Sachen gespendet. Das Highlight biete aber in jedem Fall das Schaufenster. Nicht nur, dass die Deko immer wieder liebevoll hergerichtet wird und sogar schon vom ehemaligen Chefdekorateur des Kaufhofs hoch gelobt wurde – er konnte einfach nicht glauben, dass hier keine Profis am Werk sind – werden dort natürlich die Schmuckstücke des Ladens ausgestellt. Jeden Donnerstag um 10 Uhr kann man ein Spektakel in der Bonner Straße bewundern: Dann stehen nämlich stehen jede Menge Leute vor der Tür und warten auf die Öffnung des Shops, weil nur an diesem Tag die Waren aus dem Schaufenster verkauft werden. Wenn man sich nicht einigen kann, wird um das Lieblingsstück gewürfelt. Es soll ja jeder eine faire Chance haben, betont Bonnie Lehmann.
Fairness steht hier hoch im Kurs, sowohl im Miteinander als auch den Kunden gegenüber. Gutes tun wollen die Menschen, die hier arbeiten. Wie das Motto der Oxfam Shops Wir machen Überflüssiges flüssig, wollen auch sie mit ihrer unentgeltlichen Hilfe ein Stück dazu beitragen, Armut zu lindern. Der Erlös der Spenden, die hier im Shop verflüssigt werden, fließt in die Not- und Entwicklungshilfe in verschiedenen Ländern. In Krisengebieten, aber auch auf den europäischen Fluchtrouten unterstützt Oxfam Bedürftige. Immer nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Dieser Grundsatz hat auch Bonnie Lehmann überzeugt, zu bleiben und sich nun schon seit einem Vierteljahrhundert für Oxfam Deutschland zu engagieren.
Wenn es nach ihr ginge, würde sie noch bis zu ihrem 100. Geburtstag hier arbeiten, dann ins Altersheim umziehen und dort eine Zweigstelle aufmachen.
Einmal Ehrenamt – immer Ehrenamt, denke ich, als ich mich auch schon von Frau Lehmann verabschieden muss – unsere gemeinsame Stunde neigt sich dem Ende zu und der Laden schließt jetzt auch.
Irgendwann ist eben auch für das Ehrenamt mal Feierabend.
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