Elternabend im Cinedom
Dienstag, 13. Januar 2015 | Text: Jasmin Klein | Bild: Barbara Siewer
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Am Montagabend machen Fotografin Barbara und ich uns auf den Weg in den Cinedom. Hier wird die Kino-Premiere von Frau Müller muss weg! stattfinden. Schon im Parkhaus kommen uns andere Fotografen mit schweren Kameras um den Hals
entgegen. Im Foyer hat sich halb Köln zur Premiere versammelt. Oder doch nicht!? Nein, sie stehen an den Kassen an, um sich Tickets für Der Hobbit 3 oder Honig im Kopf zu kaufen.
Direkt am Haupteingang ist ein langer roter Teppich ausgelegt, der durch das Foyer führt, vorbei an den Absperrgittern, vorbei an einem riesigen Filmplakat. Vor diesem Plakat sollen sich später die Prominenten fotografieren lassen. Direkt gegenüber ist das Kamera-Podest aufgebaut, auf dem sich Barbara einen Platz ergattert, denn die Fotografen stehen separat von Reportern.
Sönke Wortmann, einer der erfolgreichsten deutschen Regisseure, hat seine Firma Little Shark Entertainment GmbH in der Kölner Südstadt. Sein neuer Film ist die Kino-Adaption eines sehr erfolgreichen Theaterstücks von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das zur Zeit auch in Köln im Theater im Bauturm aufgeführt wird, und das Wortmann schon 2012 am Berliner Grips-Theater inszeniert hatte. Es geht um fünf Eltern, die um die Gymnasialempfehlung ihrer Grundschulkinder bangen und gemeinsam beschließen: die Lehrerin Frau Müller muss weg! Eine Komödie über einen Elternabend.
Alwara Höfels, Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Mina Tander, Anke Engelke, und Ken Duken auf und vor dem Film-Plakat (v.l.n.r.).
Entlang der Absperrgitter kleben DIN-A-4-Blätter mit den Aufdrucken PRINT, RADIO, ONLINE usw. Ich stelle mich zu ONLINE. Ich bin die einzige. Neben mir stehen zwei Jungs von DIE FILMSEITE.
Warum steht bei Euch der Firmenname, und bei mir nur ONLINE?
Wissen sie auch nicht. Links von mir, bei RADIO, steht Sarah Klee. Die Romanistik-Studentin arbeitet seit anderthalb Jahren als Redakteurin bei Filmspur, der Filmrubrik beim Uni-Radio Kölncampus.
Was fragt man die Schauspieler denn so am Roten Teppich? Gibt es Standardfragen?
Ja, es gibt Fragen, die kann man immer stellen: ‚Konnten Sie sich mit der Rolle identifizieren? Wie war die Stimmung am Set?‘ Heute kann man zum Beispiel sehr gut fragen, wie die eigene Schulzeit war.
Weiter links und damit näher am Anfang des Roten Teppichs bringt sich die Fernsehkamera der WDR Lokalzeit in Position. Moderatorin Manuela Klein (mit mir weder verwandt noch verschwägert) ist selbst gestylt wie eine Prominente: aufwändiges Make-Up, Haare onduliert, schöne Jacke. Sie darf auf den Roten Teppich und wartet dort auf ihre Interview-Partner, die aber noch nirgends in Sicht sind. Es wird langsam eng, die Zeit läuft, es soll live gesendet werden, und es sind nur noch 15 Minuten bis zum Ende der Sendung.
Rechts von mir stehen die Teams von WDRWestArt, RTL und ARD Brisant. Das lese ich von den DIN-A-4-Blättern ab. Die können auch vom Roten Teppich aus gelesen werden. So weiß jeder Prominente sofort, wem er ein Interview geben wird. Oder nicht will. Aber sollte.
Die Plastikfolie, die auf dem roten Teppich klebt und die ich bis gerade eben noch für schicken Glitzer gehalten habe, wird von zwei Mitarbeitern nun abgezogen. Erkenntnis: Der Rote Teppich ist nur billige Meterware aus dem Baumarkt. Eben noch Glitzer, zwei Stunden später Restmüll.
Und jetzt kommen die ersten Gäste der Premieren-Veranstaltung. Aber wie sehen die denn aus?! Dicke Winterjacken, kein Glamour, keine High Heels. Das sind ja gar keine Prominenten. Sie scheinen sich dafür auch zu schämen. Mit gesenktem Kopf und mürrischem Blick huschen sie schnell über den Teppich.
Schauspieler Peter Nottmeier (Switch Reloaded) kennt auch das Theaterstück.
Aber jetzt kommt er wirklich, der erste, echte Promi! Er läuft an uns vorbei. Ich rufe: Herr Nottmeier!, er dreht sich um und kommt zu uns, Sarah von Kölncampus interviewt ihn. Er hat das Theaterstück schon gesehen und ist gespannt auf die Umsetzung. Wäre er selbst ein Elternteil, hätte er sicherlich dieselben Probleme, lacht er.
Immer mehr Menschen laufen jetzt über den Teppich. Es wird laut, ein Tumult, Schreie, eine Prügelei? Aber nein: es sind nur die Fotografen, die ständig die Schauspieler beim Namen rufen, um ihren Blick auf sich zu ziehen und Klick zu machen. Es bildet sich ein Stau: Das Rote-Teppich-Volk wartet, bis das Fotografen-Volk seine Bilder hat. Letztlich dasselbe Motiv, von 30 Fotografen gleichzeitig aufgenommen.
Plötzlich -Überraschung- kommen von rechts, entgegen der Laufrichtung, Regisseur Sönke Wortmann und Anke Engelke angelaufen, sie in einem sehr figurbetonten und sehr schönen Kleid.
Wir sind pünktlich. Oder sind wir zu spät? Wir sind gelaufen!, ruft sie.
Ich sehe beiden von schräg hinten beim Interview mit Manuela Klein von der Lokalzeit zu. Anke Engelke ist so zierlich, in ihr Kleid passte nichtmal mein Bein. Wortmann und Engelke plaudern nett mit der anderen Frau Klein, was man in der WDR Lokalzeit sehen, ich aber, nur einen Meter entfernt, nicht hören kann bei der Gesamtgeräuschkulisse, dann ist die Live-Schaltung auch schon wieder vorbei. Engelke ruft jemandem Frohes Neues! zu, der antwortet Toitoitoi!, Engelke ruft zurück Mein Handy ist kaputt!, und dann kommen sie und Wortmann auf uns zu, um sich interviewen zu lassen.
Ich selbst stelle keine Fragen, höre aber gerne zu, was meine Kollegin Sarah mit dem großen Mikrofon fragt. Sönke Wortmann, heute mit raspelkurzem Haar und Vollbart, erklärt, er habe bei seinen drei Kindern Glück mit den Lehrern und der Schule und sei ansonsten eher entspannt. In seiner eigenen Schulzeit war er zwar nie der Einser-Schüler, aber auch nie versetzungsgefährdet.
Jetzt wird es unübersichtlich, viele Gäste laufen über den Roten Teppich, es kommt zur Situation, dass man jemand Interessanten vorm Mikro hat (Sönke Wortmann), dafür aber einen anderen, genauso Interessanten (Dieter Nuhr) weiterlaufen lassen muss.
Anke Engelke geht ruhig und entspannt von Interviewer zu Interviewer und lässt sich von jedem befragen. Sie selbst erinnert sich an eine sonnige Schulzeit, die sie im Rückblick sicher auch zu glorifizieren glaubt. Es befremde sie, wenn Eltern sich so über ihre Kinder stülpen und alles wissen wollen. Es ist nicht erstrebenswert, alles von den Kindern zu wissen. Die wissen ja auch nicht alles über die Eltern.
Anke Engelke begeistert die Fotografen.
Es kommen weitere Schauspieler des Films zu uns, Frau Müller Gabriela Maria Schmeide, Mina Tander und Ken Duken, im Film ein Elternpaar, und Alwara Höfels, die eine alleinerziehende Mutter spielt. Allein Justus von Dohnányi schafft es, an uns vorbei zu laufen, ohne sich interviewen zu lassen. Er sieht ganz anders aus als auf dem Plakat. Auch Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann verpassen wir, denn die beiden haben keine Lust auf Presse, zumal zeitgleich gerade die Dügida in Düsseldorf läuft, und da möchte man heute Abend sicher weniger von Journalisten drauf angesprochen werden. Wir kümmern uns hier auch um wichtige Dinge, wie z.B. den bezaubernden Ken Duken, dem ich gerade die Hand gebe und dessen Antworten auf Fragen wie Wie streng ist Sönke Wortmann als Regisseur? ich lausche.
Die drei Jungs von Y-Titty, einem der bekanntesten youtube-Channels, beantworten sehr charmant die Fragen nach ihren Schulabschlüssen. Erkenntnis: Es gibt also auch ein Leben ohne Abitur – als youtube-Star.
Tom Gerhardt verrät, dass Der Name der Rose und Ice Age seine Lieblingsfilme sind und er sich für seinen kleinen Sohn wünscht, dass der ein schönes Leben führt und seinen Weg in selbigem findet.
Und bevor am Ende noch Allgemeinplätze ausgetauscht werden, hört man langsam besser auf. Es ist auch Zeit, alle Besucher sind endlich über den Teppich gelaufen, die Fotografen packen ihre Kameras wieder zusammen, die Interviewer rollen die Mikrofonkabel auf – Feierabend! Die meisten haben den Film schon tagsüber in der Pressevorführung angeschaut oder gar kein Interesse.
Ich hole Barbara im Fotografengewusel ab, und wir gehen ins Kino 4, wo wir die Prominenten wieder treffen, die gerade eben noch an uns vorbei flaniert sind. Jetzt sind wir wieder normale Kinogäste. Von den 705 Sitzplätzen sind alle bis auf zwei in der zweiten Reihe ganz vorne belegt. Barbara und ich setzen uns. Ich lege den Kopf tief in den Nacken. Auf der 222qm großen Leinwand schauen sich Regisseur Wortmann, die Schauspieler, die Mitarbeiter des Films, die Produzenten Oliver Berben und Tom Spieß, Stefan Gärtner von Co-Produzent ProSieben, die Presse und das zahlende Fußvolk den Film an. Die 87 Minuten vergehen schnell. Man merkt dem Film an, dass er auf einem Theaterstück basiert. Es ist eher ein Kammerspiel, dennoch ist der Stoff so stark, dass man über weite Teile gut unterhalten wird. Es geht um ganz viel, das Thema ist wirklich bitter, aber der Film so unterhaltsam, dass die Bitterkeit und die Wahrheit dahinter etwas verschwimmen. In manchen Kritiken wird der Film mit Der Gott des Gemetzels verglichen, weil es um ein ähnliches Thema (überfürsorgliche, hysterische Eltern) geht und es auch auf einem Theaterstück (hier von Yasmina Reza) basiert. Aber man kann die beiden Filme nicht miteinander vergleichen. Wortmann ist eben nicht Polanski.
Zum Schluss werden nochmal alle Beteiligten an die Bühnenleinwand gebeten und bekommen statt eines Blumenstraußes eine mit Süßigkeiten gefüllte Schultüte. Charmant!
Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken und Mina Tander mit den Filmkindern (v.l.n.r.)
Wortmann sagt zum Abschied mit seiner leisen, unaufgeregten Stimme: Wenn Ihnen der Film gefallen hat, dann empfehlen Sie ihn bitte weiter. Wenn er Ihnen nicht gefallen hat, dann lügen Sie.
Ich empfehle diesen Film auf jeden Fall weiter! Ob ich gelogen habe, finden Sie dann im Kino raus. Ab Donnerstag, 15. Januar 2015.
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