„Es gibt keinen Frauenfilm.“
Montag, 16. April 2012 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Beim Thema Kulturinfarkt wird das Interview energisch – aber eins nach dem anderen. Es ist 15 Uhr nachmittags, und auf roten Ledersesseln im Alten Pfandhaus trifft „Meine Südstadt“ das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund Köln – genauer gesagt: Leiterin Silke J. Räbiger und Pressesprecherin Stefanie Görtz. Das Pfandhaus ist die ganze Woche über das Festivalbüro, und gezeigt werden von heute an 102 Filme aus 29 Ländern – unter anderem im Odeon.
Warum heißt das Festival eigentlich Dortmund Köln?
(beide lachen) Räbiger: Das ist eine alte Geschichte, und wir reden da gar nicht gern drüber. Es gab ja früher zwei Festivals, und die haben 2006 fusioniert. Im Grunde war es das Ergebnis der damaligen rot-grünen Landesregierung – und der Gedanke, dass eben Gelder gespart werden mussten. Heute finanzieren unter anderem die Städte Köln und Dortmund das Festival kontinuierlich.
Mit welchem Etat?
??Räbiger: Jetzt für Köln haben wir 450.000 Euro.
Und festangestellte Mitarbeiter?
Görtz: Ja, wir haben drei Stellen: die Leitung, die Geschäftsführung und eine Organisations-Kraft. Wir grüßen an dieser Stelle die Nummer drei, den einzigen festen Mann im Team: Der liegt gerade im Krankenhaus.
Was hat Sie ins Pfandhaus in die Kölner Südstadt geführt?
Räbiger: In Köln gibt es kaum Spielorte, die ein Drumherum mit Räumlichkeiten bieten. Das Kulturamt hatte vor zwei Jahren schon einmal versucht, uns das Schulz auch hier am Kartäuserwall anzudienen.
Also ist es in Dortmund wohl leichter, einen guten Ort zu finden?
(beide nicken). Görtz: Zum Pfandhaus haben wir relativ spät gefunden. Es läuft ja zeitgleich die ,Art Cologne, und einige kleinere Galerien wollten das Pfandhaus nutzen, konnten sich aber nicht einigen. Da haben wir dann ,hier gerufen. Die Computer und das WLAN funktionieren schon bestens.
Festival-Pressesprecherin Stefanie Görtz.
Kommen wir mal zum Thema: Was ist ein Frauenfilmfestival?
Räbiger: Es gibt keinen Frauenfilm, da werd ich gleich barsch (lacht).“
Görtz: Für uns heißt das eher: Filme, die von Frauen gemacht werden. Es geht uns um Regisseurinnen, um Frauen allgemein in der Filmbranche – um Bildgestalterinnen, um Kamerafrauen: Da liegt der Anteil in Deutschland so um die 9 Prozent. Oder in der Filmmusik: Da ist der Anteil der Komponistinnen noch niedriger.
Räbiger: Es gibt ja schon wenig Regisseurinnen, die lange Filme drehen. Und gerade in der Bildgestaltung fehlen die Vorbilder, die ,role models. Als Bildgestalterin ist man für einen Riesen-Stab von Mitarbeitern zuständig. Und die Beleuchter zum Beispiel, die sind bis heute durchweg männlich. Also nach dem, was wir erzählt bekommen, geht es am Set manchmal hammerhart zu.
Görtz: An den Hochschulen ist das Verhältnis von Männern und Frauen inzwischen ausgeglichener, also bei Regie und Produktion zum Beispiel. Aber schlagen Sie mal das Fernsehprogramm auf und zählen Sie, wie viele Filme in der Woche von Frauen gemacht sind. Es gibt viele Gatter, die eine Frau öffnen muss: den Verleih, das Kino, dann das Fernsehen.
Gibt es eigentlich auch ein Männerfilmfestival?
(beide lachen) Räbiger: Die Berlinale. Oder nehmen Sie die Auswahlkommissionen, da ist der Frauenschnitt auch nicht gerade gut. Schauen Sie mal, wie die Jurys besetzt werden.
Görtz: Bei der Berlinale gab es im großen Wettbewerb nur einen Film von einer Frau. Bei insgesamt glaube ich 18 Filmen.
Das heißt: Wir brauchen ein Frauenfilmfestival??
Görtz: Ja, immer noch. Wir hatten schon die Idee, dass es eines Tages überflüssig wird, aber wenn Sie die schnöden Zahlen ansehen, dann sind wir da noch lange nicht.
Sie machen dieses Jahr einen Schwerpunkt über die arabische Welt. Warum gibt es keinen Film, der nach dem Beginn der Unruhen entstand – sondern nur Filme von vorher?
Görtz: Es stimmt, dass auch während des Wandels viel entstanden ist. Aber vieles waren auch Schnellschüsse, die den westlichen Medienbedürfnissen geschuldet sind und die Lage noch nicht tiefer analysiert und reflektiert haben. In der deutschen Geschichte war es ja auch so: Es hat lange gedauert, bis es gute Filme über den Fall der Mauer gab. Dem arabischen Film wohnt, glaube ich, grundsätzlich ein revolutionäres Potenzial inne, da bahnt sich was an in den Filmen. ,Forbidden von Amal Ramsis ist an dem Tag fertig geworden, als in Ägypten der Aufstand losging.
Festivalleiterin Silke J. Räbiger.
Stichwort Kulturinfarkt: Ist das polemische Buch, in dem eine radikale Kürzung der Kulturgelder gefordert wird, auch bei Ihnen angekommen?
Räbiger (reagiert sofort): Aber sicher ist das angekommen. Eine Ungeheuerlichkeit, dieses Buch. Völlig absurd. Sicher, man muss immer darüber diskutieren, wie die institutionelle Kultur sich verändern muss. Wir selbst zählen uns zur freien Szene. Sehen Sie, ich glaube, dass zwei Prozent des Bruttosozialproduktes in die Kultur gehen. Rechnen Sie das Geld für die Institutionen runter, dann das für die freie Szene, und dann daraus das Geld für die Filmkultur. Also, da wird mir schlecht, wenn in dem Buch so ohne Not aufs Spiel gesetzt wird, was wir brauchen… (sie hat sich jetzt warm geredet und spricht mit Verve). Man kann Kulturförderung gern mit Auflagen verbinden, aber an den Kulturetat auf diese Weise ranzugehen, das finde ich abenteuerlich. Kultur, das ist doch ein Stück Menschenrecht. Man kann Institutionen in Frage stellen, aber die Kultur? Das finde ich infam, und das empört mich. Wer diskutiert denn heute noch leidenschaftlich über Kultur? Wer bezieht denn Stellung, wer zeigt Stolz? Wer ist hier in Köln denn noch leidenschaftlich für die Kultur unterwegs? Es gibt viel zu wenig Herzblut. Schauen Sie sich den WDR an, alles wird da abgefeiert, aber die Kultur?
Haben Sie als Frauenfilmfestival eigentlich Kritiker?
Räbiger (lacht): So richtig traut sich keiner da ran.
Görtz: Wir werden gut wahrgenommen, es gibt wenig Kritik, das kann man glaube ich mit etwas Stolz schon sagen.
Was erwartet uns noch in den kommenden Tagen?
Görtz: Also ganz lokal gesprochen, zum Beispiel der Film ,Nichts für die Ewigkeit der Kölner Filmemacherin Britta Wandaogo. Das ist eine Dokumentation, eine Familiengeschichte, da geht es um ihren heroinabhängigen Bruder, das ist ein sehr persönlicher Film.
Und sonst?
Görtz: Wir haben zum vierten Mal eine Kooperation mit der FH Köln: Die machen den Festival-Blog, das sind 20-Jährige, die haben nochmal einen ganz anderen Blick. Das ist auch eine Art von Nachwuchsförderung. Und natürlich die lange Filmnacht am Samstagabend mit Kurzfilmen, da gibt es ja eine eingefleischte Fangemeinde.
Frau Räbiger, Frau Görtz, vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Infos sowie das Komplete Program finden Sie unter: www.frauenfilmfestival.eu
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