„Es gibt noch viel mehr Unwägbarkeiten“
Montag, 14. März 2011 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Schon lange hatten wir ein Interview mit Dr. Guido Bracke geplant. Der Geo-Chemiker zählt zu den Südstädtern mit einem beruflich bedingt gut fundierten Wissen zu Fragen der Atomenergie. Er lebt mit seiner Familie unweit des Volksgartens, doch man sieht ihn hier nicht so oft: Häufig ist der 47-Jährige auf Geschäftsreise in Deutschland, Osteuropa, Sibirien unterwegs – als Sachverständiger in Sachen Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Durch die Ereignisse von Japan und die neu entfachte Energiediskussion in Deutschland war klar: Nun ist der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch gekommen.
Guido, was ging dir durch den Kopf, als du am Freitag von der Situation in Japan erfahren hast?
Ich dachte: Extremerdbeben plus Tsunami – das ist so ein Ereignis, dafür sind die Kernkraftwerke auch in Japan nicht ausgelegt. Sie sind technisch sicher, zu 99,9 Prozent und mehr, aber eben nur für die vorher untersuchten und ausgelegten Ereignisse. Das was dort jetzt passiert – anders als in Tschernobyl nicht durch falsche Benutzung verursacht, sondern durch eine Naturgewalt – ist bei Atomenergie einfach möglich: eine Verkettung von Umständen, die dazu führt, dass alle technischen Maßnahmen versagen, um Atomenergie im Griff zu behalten. Die Naturereignisse haben unsere ausgelegten Anforderungen an Sicherheit überschritten. Und letztlich ist es so mit allen Großtechnologien möglich. Ob bei einer Chemiefabrik ist, die mit Ammoniumnitrat arbeitet, oder einem Kernkraftwerk: Eine Gesellschaft hat einen großen Nutzen davon, aber ein Restrisiko, etwas Unkalkulierbares bleibt, weil man nicht gegen alle Natureignisse eine technische Sicherheit schaffen kann.
Auch wir haben hierzulande schon Erdbeben erlebt. Man hat ein komisches Gefühl im bezug auf die AKW-Sicherheit. Wie ist deine Einschätzung – sind wir sicher?
Im Vergleich zu Japan ja. Die Ereignisse, wie sie dort passieren, könnten so hier nicht stattfinden. Wir leben was die geologische Situation angeht in einer vergleichsweise sehr ruhigen Zone. Was die gesellschaftliche Situation hinsichtlich Anforderungen an die Sicherheit angeht – das ist ein anderer Aspekt für die Sicherheit.
Was könnte ein entsprechendes Risiko hier sein? Seit dem 11. September reden wir über Terrorakte.
Schon vor dem 11. September waren die Atomkraftwerke auf das Einschlagen eines Kampfjets ausgelegt. Nach den Anschlägen von New York gab es dann eine Studie dazu, wie es aussehen würden, wenn ein ganzes Passagierflugzeug einschlagen würde. Dafür sind die meisten Atomkraftwerke in Deutschland nicht ausgelegt. Man kann sie auch nicht sinnvoll baulich nachertüchtigen – eine Betonhülle von 60 cm auf 2 Metern aufzurüsten, das ist technisch und wirtschaftlich unsinnig. Aber man hat ein paar Maßnahmen überlegt, wie z.B. Flugzonen und Abwehrschilde, die es Piloten schwer machen würden, ein Atomkraftwerk zu treffen.
Ehrlich gesagt klingt das nicht beruhigend.
Es gibt noch viel mehr Unwägbarkeiten in bezug auf Atomkraft. Was macht der Mensch in 100 Jahren – und wie wird die Welt bis dahin mit Atomkraftwerken umgehen? Was wäre, wenn ein Meteorit einschlägt? Solche Risiken kann man zwar berechnen, aber es ist im Grund unmöglich, dafür entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu schaffen.
Was ist machbar, um zumindest aktuell höchste Sicherheit zu gewährleisten?
Auf jeden Fall muss man die Sicherheitsanforderungen immer wieder neu überprüfen. Auch die Frage der Entsorgung, sprich Entlagerung, sollten wir lieber heute als morgen klären. Die Tendenz ist aber, die Beantwortung dieser Frage hinauszuschieben. Zum einen seitens der Industrie: Die hat viel Geld zurückgestellt für die Endlagerung, und je länger sie es zurückstellen kann, desto mehr verdient sie damit. Die Kosten werden immer weiter in die Zukunft verschoben. Und die Politik will die Frage auch nicht klären – das Thema ist allen sehr unangenehm.
Wenn nun aber schon Umweltminister Röttgen sagt: „Atomenergie ist ein Auslaufmodell“, dann könnten wir ihn doch beim Wort nehmen.
Ein Auslaufmodell ist sie in Deutschland auf jeden Fall. Schon allein, weil hier seit 10, 15 Jahren keine Weiterentwicklung stattfand und es im Moment die politische Lage nicht zulässt. Selbst wenn hier ein Atomkraftwerk neu gebaut würde, müssten wir heute die Technik importieren. Wir wären zum Bau selbst nicht mehr in der Lage. Wir werden in wenigen Jahrzehnten AKW-frei sein, und es bleibt genug Zeit zu überlegen: Wo kommt der Strom her und was machen wir mit dem Müll, wo soll er gelagert werden. Klappt das gut mit der Energieffizienz, mit der Speicherung? Es gibt schon jetzt Grenzen für die alternativen Energien – die ganze Nordseeküste mit Windrädern zuzupflastern, ist jedenfalls keine Lösung. Dann könnte das bedeuten, dass wir den Atomstrom importieren – aus Frankreich, Finnland, Schweden.
Tatsächlich wird überall um uns herum munter Atomstrom erzeugt. Allein in Frankreich gibt es 50 AKWs – die Franzosen denken nicht im Traum ans Abschaffen. Leben wir in Deutschland mit unserem Ausstiegswillen unter einer Käseglocke?
Sagen wir so: Atomkraft ist eine interessante Großtechnologie. Es liegt viel Energie drin und noch mehr, wenn man Wiederaufbereitung machen würde – was hierzulange gesetzlich verboten ist. Von daher wird es immer Länder geben, die die Kernenergie nutzen werden. Das gilt meiner Meinsung nach auch für Japan. Das Land kann es sich nicht leisten, damit aufzuhören. Sie werden weiterhin Atomenergie nutzen, in großen Maßstab. Sie werden auch versuchen, das Land um die betroffenen AKWs trotz Verseuchung weiter zu nutzen – und vermutlich werden sie das auch können, im schlimmsten Fall erst in einigen Jahrzehnten, falls eine starke radioaktive Kontamination der Umgebung stattfinden wird.
Wenn du entscheiden könntest – was wäre für dich der ideale Energieweg für Europa?
Ich würde mit Blockheizkraftwerken, also Kraft-Wärme-Kopplung in kleinem Rahmen, anfangen. Wer z.B. mit Gas heizt, kann gleichzeitig Strom produzieren und ins Netz speisen, damit kann man statt 60 Prozent Energieeffizienz heute sogar rechnerisch über 100 Prozent erzielen. Dazu bedarf es einer ganz anderen Infrastruktur, einer langfristigen Entscheidung der Gesellschaft. Dann könnte man zusätzlichen Strom einspeisen, wenn die Windenergie dafür ausreicht.
Und Atomenergie?
Ich bin nicht unbedingt dafür, sie weiter in großem Maßstab zu verwenden, ich bin aber auch nicht grundsätzlich dagegen. Man braucht einen zuverlässigen Staat, eine Gesellschaft die dafür sorgt, dass die Atomkraftwerke sicher sind und die Technologie und der Müll vernünftig an die nachfolgenden Generationen übergeben werden. Meiner Ansicht nach sollte man über die Aufbereitung der Brennstäbe nachdenken. Wenn man von dem abgebauten Uran, für das z.B. in Sachsen und anderswo auf der Welt ganze Landschaften zerstört wurden, nach einmaliger Benutzung heute über 90 Prozent des nutzbaren wegschmeißt, dann ist das sicher nicht effizient und auch nicht umweltfreundlich. Wenn man es hingegen aufbereitete, die Technologie weiterentwickelt, könnte man vielleicht weg von den großen Kraftwerken mit entsprechend hohen Risiken, hin zu kleineren, effizienteren, die weniger Energie in Abwärme verpuffen lassen und die in einem echten Krisenfall wie jetzt in Japan weniger Schadstoffe freisetzen würden.
Links:
Kernkraftwerk Fukushima auf Wikipedia
Informationen des Bundesumweltministeriums zur Lage in Japan
Heute abend (Montag, 14.03.2011), 18 Uhr, finden bundesweit Protestaktionen gegen Atomenergie statt, in Köln unter anderen am Dom und am Rudolfplatz.
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