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Gesellschaft

„Es ist Krieg gegen uns alle“

Samstag, 26. Februar 2022 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Petra Maria Wirth

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Die in der Südstadt lebende ukrainische Sängerin, Komponistin und Schauspielerin Mariana Sadovska unterstützt ihre Familie, ihre Freundinnen, Freunde und ihre Heimat von Köln aus.

Sie hatte in den vergangenen Monaten bereits zu verschiedenen Solidaritätsveranstaltungen und Demonstrationen aufgerufen. Zuletzt hatten sich Mitte Februar im von ihr initiierten Happening „MAKE ART NOT WAR“ zahlreiche Künstlerinnen und Künstler zu Wort gemeldet.

Meine Südstadt hat mit ihr gesprochen, als sie gerade unterwegs war, um Hilfsgüter zu besorgen.

Meine Südstadt: Wie geht es Dir?
Marina Sadovska: Ich bin so viel unterwegs und in Gesprächen, dass ich krank geworden bin; ich musste mich erst einmal wieder auf die Beine bekommen. Wir müssen jetzt bei Kraft bleiben und agieren können, um unseren Freund:innen in der Ukraine, die gerade unter Bombenbeschuss sind, helfen zu können – in jeder Hinsicht, die möglich ist. Ich fahre gerade mit einer ganz tollen Freundin zum Einkaufen, Schutzwesten und Helme für die Freiwilligen, die gerade in Kiew sind. Das sind sehr viele Leute, die gerade Kiew gegen die russische Armee verteidigen. Und die brauchen so viel es eben geht, um sich zu schützen.

Wo kauft Ihr hier Helme?
Wir fahren jetzt gerade zu einem militärischen Second Hand Shop.

Und wie geht es Deinen Freund:innen und Deiner Familie in der Ukraine?
Heute Morgen habe ich natürlich als erstes in die Nachrichten geschaut und mich gefreut, dass Kiew steht. Alle Leute, die ich kenne, waren heute Nacht im Keller oder in Metrostationen. Aber sehr viele Leute haben sich gemeldet und gesagt: „Wir leben noch.“

Wie hältst du Kontakt zu ihnen?
Also ich habe gestern gelesen, dass unser Außenminister gesagt hat, dass viele Länder, inklusive Deutschland, jetzt Telefonanrufe in die Ukraine kostenlos geschaltet haben. Ich kann kostenlos telefonieren mit meiner Familie und mit allen in der Ukraine. Wir halten auch Kontakt durch Social Media, also Facebook oder WhatsApp, alle möglichen Kanäle.

Es gibt ja jetzt auch viele Hinweise darauf, dass man gerade jetzt einmal mehr und gründlicher die eigenen Informations-Quellen prüfen soll. Über welche Quellen informierst Du Dich?
Es gibt die ukrainische Zeitung „Ukrajinska Prawda“. Da arbeiten viele Journalist:innen, die ich persönlich kenne. Und auch „Neue Zeit“, auch eine Zeitung und ein Internetportal, wo sehr viele Menschen arbeiten, die ich persönlich kenne. Sonst informiere ich mich hauptsächlich eins zu eins durch Posts auf Facebook, die Leute posten, die ich persönlich kenne, ich leite keine anderen weiter. Vor allem keine Informationen, die nicht objektiv sind.

Was kann man von hier aus tun?
Wir bitten alle darum, Druck ausüben auf die deutsche Regierung. Mir ist bewusst, dass es jetzt auch Deutschland treffen wird. Es wird schwieriger für uns werden und alles wird teuer werden. Aber wir müssen es jetzt schaffen, dass Russland von SWIFT abgeschaltet wird. Wir müssen es jetzt schaffen, dass die NATO den Himmel über der Ukraine schließt. Es hilft, uns vor Bombardierungen zu schützen. Wir wollen Druck ausüben für richtig harte Sanktionen, die nicht noch so ein bisschen Spielraum für Putin lassen.

Dazu habe ich privat an alle meine Freund:innen auf der ganzen Welt gestern einen Aufruf geschrieben. Es wird immer wieder Demonstrationen geben, zu denen ich aufrufe. Auch eine Bitte um finanzielle Spenden habe ich gestern Nacht verschickt. Heute morgen hatte ich schon 3000 Euro auf meinem Konto, für die ich gerade in Apotheken Medikamente bestellt habe, die wir nutzen können für das Wichtigste.

Das ist Deine private Kontoverbindung.
Ja genau. Es gibt auch eine offizielle Kontoverbindung, bei der man direkt in die Ukraine Geld spenden kann. Nur haben manche gesagt, dass das nicht geklappt hat, deshalb habe ich mein Konto angegeben.

Ich mache alles voll transparent. Natürlich gibt es jetzt auch die Gefahr, dass auf einmal Spenden hier in Deutschland gesammelt werden und wir die Leute nicht kennen, die das machen. Man muss jetzt ein bisschen aufpassen, das ist mir bewusst. Wir machen das zusammen mit dem Generalkonsulat in NRW. Das ist sehr, sehr sichere Quelle.

Bisher sind ja sämtliche Bitten, Appelle, Demonstrationen etc., die sich an Russland gerichtet haben, völlig umsonst gewesen. Welchen Wert haben Demonstrationen hier trotzdem?
Ich habe meinem Mann gefragt: Wo sind die Deutschen, die gegen Krieg demonstrieren, die gegen den Krieg in Irak demonstriert haben? Es muss jetzt sein, wir müssen die Öffentlichkeit erreichen. Die Menschen sollten verstehen, dass auch Ihre Leben gefährdet sind. Also auch ganz direkt, und deshalb müssen wir alle agieren. Die Demonstrationen können wirken, weil dann die Politiker:innen und die Regierung unter Druck stehen.

Bei unseren bisherigen Demonstrationen waren wir zusammen mit Menschen aus Belarus und Georgien. Die Türkische Gemeinde war da. Und was mir persönlich sehr wichtig zu betonen ist: Alle meine russischen Freund:innen, die in Deutschland leben, sind auch mit uns da und sagen ganz klar: Wir sind auch gegen Diktatur, gegen die russische Aggression in der Ukraine. Sie entschuldigen sich öffentlich bei der Ukraine. Das ist ganz wichtig zu sagen: Es ist kein russisch-ukrainischer Krieg, das ist der Krieg eines Diktators gegen die freie demokratische Welt.

Auch in Russland gehen ja Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg zu demonstrieren – was ja noch viel gefährlicher ist als hier.
Absolut.

Hast Du Hoffnung?
Ich bin mit Künstler:innen in der ganzen Welt verbunden und ich kriege sehr viel Unterstützung. Ich habe zwei Dinge, die ich als Mantra wiederhole: We resist, wir werden nicht aufgeben. Und: Ohne Hoffnung könnte ich das alles jetzt heute nicht machen.

Am ersten März organisiert Tamara Lukasheva, meine Kollegin, Sängerin, Jazzsängerin aus Odessa, ein Benefizkonzert im Stadtgarten mit vielen, vielen deutschen Musiker:innen. Ich werde auch dabei sein. Eine Kuratorin aus Hamburg, Elisa Erkelenz, organisiert Benefizkonzerte in Berlin und in Hamburg. Also es gibt viele Leute, die verstehen, dass wir jetzt agieren müssen, Haltung zeigen und starke Position annehmen und laut sein. Hoffnung gibt mir auch Deine Anfrage für das Interview. Und dass ich es geben kann, im Auto, während meine Freundin mich fährt und wir Schutzwesten kaufen.

In unserem Interview vor einigen Jahren hattest Du gesagt, dass es für Dich manchmal auch sehr schwierig gewesen sei, hier zu sein als es um den Maidan ging, so weit weg. Dass Du Freund:innen und Familie hast, die drüben sind und Du hier diese Distanz, diese Zerrissenheit ja sehr intensiv gespürt hast – und darum hier Wege gesucht hast, trotzdem unterstützen zu können. Das ist jetzt vermutlich noch einmal umso mehr der Fall.
Ja, sehr. Eigentlich sollte ich gerade jetzt in Charkiw sein. Das ist eine Stadt ganz im Osten. Da sollte ich einen Workshop leiten und mit Studierenden von der Theaterakademie Musikstücke proben. Als die deutsche Botschaft alle deutschen Bürger:innen aus der Ukraine evakuiert hat, habe ich verstanden, dass ich keine Heldin bin. Ich habe Angst, hinzufahren – ich bin nicht gefahren. Ich habe vorgestern die halbe Nacht mit dem Theaterregisseur telefoniert, aus Charkiw, mit dem wir dieses Projekt vorbereitet haben. Er hat das Projekt organisiert. Er saß mit seiner Frau die ganze Nacht im Keller, während Charkiw bombardiert wurde. Ich fühlte mich so hilflos, dass als ich aufgewacht bin, ich zu meinem Mann gesagt habe, ich fahre nach Berlin und trete in einen Hungerstreik vor dem Bundestag, um die Politik zu bewegen. Ich war bereit, das zu tun. Mein Mann, André Erlen, hat mir abgeraten, mich abgehalten und hat gesagt, dass es das absolut letzte Mittel ist. Wir müssen jetzt unsere Kraft nutzen, um alle Menschen zu erreichen, dass sie die Stimme erheben.  Und dass sie nicht mehr sagen, die Situation ist kompliziert. Das ist jetzt ganz klar. Das ist Krieg gegen die freie Welt, es ist Krieg gegen uns alle.

 

Wer zugunsten der Ukraine für humanitäre und medizinische Zwecke spenden will, kann das direkt über Mariana Sadovskas Konto tun. Dabei sollte bitte als Verwendungsnachweis angegeben werden:

„Für humanitäre Hilfe in der Ukraine“.

Maryana Sadovska
IBAN   DE12500502011235532478
Swift BIC  HELADEF1822

oder per paypal: andriku@web.de

 

Text: Nora Koldehoff

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Kommentare

  • Jens Philip Höhmann sagt:

    》We resist, wir werden nicht aufgeben.《
    Es gibt Leute, die das fordern.
    Die haben ganz offensichtlich nicht verstanden, dass mit einer Aufgabe das Leid der Ukrainer nicht aufhören, sondern nur eine andere Form annehmen würde.
    Bei allen Schrecken des Krieges, auf gar keinen Fall will man Verhältnisse wie in den „Volksrepubliken“ (ich nenne sie Biastokratien) Donezk und Luhansk.

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