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Kultur

„Es ist soo schön, dass Du da bist!“

Mittwoch, 23. November 2016 | Text: Lisa Stiemer | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

In langen grauen Überhängen schreiten die Zuschauer in den Aufführungssaal. Zunächst ist noch unklar, was es mit der improvisierten Verkleidung auf sich hat, schnell aber wird deutlich: Die Zuschauer sind Teil des Bühnenbildes. Und damit: des Nichts. Im Kreis sitzend, bilden sie dessen Rahmen.

Das Ensemble Futur3 wagt sich in 90 Minuten an einige der größten Fragen des Lebens, die sich jeder Mensch stellt: „Wie ist es vom Nichts zum Etwas gekommen? Was ist das Nichts? Und wenn es nichts ist, was ist es dann?“ Kurzum also: Warum gibt es die Welt – und warum uns? André Erlen und Stefan H. Kraft haben sich dafür mit Ludger Lütkehaus‘ Buch „Nichts. Abschied vom Sein, Ende der Angst“ keine so ganz einfache Lektüre als Grundlage gewählt. Die Inszenierung versteht sich aber auch nicht als geschlossenes Stück. „Nichts- ein theatrales Essay“ betitelt, beginnt sie erwartbar essayistisch in Betrachtungen des Nichts und des Seins.

Zwei Männer in Anzügen – schick, aber auch etwas skurril – stehen sich auf undefiniert sandig-aschiger Fläche gegenüber. Sie schauen sich nicht an, interagieren nicht miteinander. Das Licht ist gedämpft, ein Pendel schwingt unaufhörlich zwischen den beiden und schneidet die Luft. Dann spricht eine Off-Stimme. Der Raum wird stärker in Licht gehüllt, die Gesichter der Männer sind nun erkennbar, und es beginnt ein fließender Übergang der Off-Stimme zum Monolog der Darsteller. Sie sprechen vom Urknall und der Entstehung der Erde, die aus dem Nichts geschaffen wurde und wechseln sich dabei in ihren Reden ab. Es ist der Versuch, unser Leben auf der Erde, das Sein, physikalisch und wissenschaftlich zu erklären. Schließlich stimmt düstere Musik in die Monologe ein, die Stimmen schwellen an und die Männer reden nun gleichzeitig, sich zugewandt, fast schon miteinander. Plötzlich tritt Ruhe ein.

 

Einer der Männer setzt einen der Gegenstände, die zwischen ihnen stehen, in Bewegung und gibt damit den Anstoß zu einer Kettenreaktion, die die Aneinanderreihung von Zufälle zu symbolisieren scheint, die die Erde und damit die Grundlage unseres heutigen Lebens, haben entstehen lassen. Was folgt, ist eine Abfolge kleiner, wohlüberlegter Szenen, die das Gedankenkonstrukt des Nichts aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Mal als schwere Kost in Form eines Dialogs aus Goethes Faust, mal ganz leicht als Vater-Sohn-Geschichte, in der der Vater die Existenz des Sohns mit den immer wiederkehrenden Worten: „Es ist so schön, dass du da bist“ feiert.

In klug gewählten Ausschnitten collagiert die Produktion geisteswissenschaftliche Texte, die sich mit diesem Thema ebenfalls auseinandergesetzt haben, von indischer Schöpfungsmythologie und antiken Dramen über religiöse Sinnsuche – den Götterfunken – bis zu Ingmar Bergmann und zum Existentialismus des 20. Jahrhunderts.

Aber auch Midas und Silen aus der griechischen Mythologie kommen zu Wort und diskutieren über die Unerreichbarkeit des Nichts. Aufgelockert wird das Zweier-Spiel durch schriftliche Dialoge, die über den Köpfen der Darsteller an eine Wand projiziert werden. „Warum ist Etwas und nicht Nichts?“ wird da gefragt oder die Idee aufgeworfen, sich einfach aus dem Leben, dem Sein, ins Nichts zu denken. In einem der Dialoge bleibt zumindest die Handlungsfreiheit, sich dem Seienden durch Suizid zu entziehen. Immer wieder kommt dabei der Bezug zu Themen wie Einsamkeit, Leere, aber auch Verbundenheit und der Suche nach Gott auf.

Das Thema des Nichts wird aus verschiedenen Blickwinkeln mit fast schon zu vielen verschiedenen Fragestellungen betrachtet, denn was man hört, braucht eigentlich Zeit zum Nachdenken, bevor schon der nächste Gedanke kommt. Klar ist, dass hier nur Denkanstöße geliefert werden können und Klärungen nicht das Ziel sind. Die Darsteller Andre Erlen und Stefan Kraft springen jedoch mit Leichtigkeit von Szene zu Szene, die Übergänge sind dabei mal fließend, mal sprunghaft, oft ernst, häufig aber auch sehr witzig. Und immer wieder kehren sie in die Meta-Ebene zurück – zwei Menschen, die in Dialog und Monolog das Sein und das Nichts und ihre jeweiligen Bewertungen und Einordnungen hinterfragen.

Gleichzeitig werden die Gedanken der Zuschauer in sehr tiefgehende Bahnen gelenkt, an anderer Stelle lacht das Publikum gemeinsam über die Darsteller. Futur3 hat es damit geschafft, das doch eher schwierige Thema kurzweilig und mit Leichtigkeit umzusetzen, und wird damit tatsächlich seinem Anspruch gerecht, so der Pressetext, „über das Theater einen emphatischen Zugang zu den großen Themen unserer Zeit zu finden“.

Großartig auch das Fazit des Abends: das Nichts als Partner des Seins. Ohne Nichts kein Sein – ohne Sein kein Nichts. Am Ende fügen sich die szenischen Annährungen an die großen Themen von Nichts und Sein zusammen und lassen nur eine Frage offen: Wer hat dann das Sein aus dem Nichts erschaffen?

 

 

 

NICHTS (UA)?

Ein theatrales Essay?

Futur3 – freies Theaterkollektiv Köln??

Spiel: André Erlen, Stefan H. Kraft ?

Künstlerische Leitung: Erlen, Kahnert, Kraft, Wirth ?

Uraufführung 19. November 2016?

Weitere Aufführungen: 23. / 24. /25. / 26. / 27. /29. / 30.11.2016

Orangerie – Theater im Volksgarten?

Volksgartenstr. 25, 50677 Köln

Text: Lisa Stiemer

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