Essen und erpressen
Montag, 14. November 2011 | Text: Kathrin Rindfleisch
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Und so sitzen sie am Tisch: eine Großmutter, die ganz sicher weiß „jetzt nachgeben bedeutet Anarchie und damit Minis, die auf Nasen rumtanzen“, ein Großvater, der aus lauter Mitleid beinahe die Mission gefährdet, ein Exempel zu statuieren („Kommt, gebt ihr doch wat, et hat doch gleich sonst Hunger“) und eine Mutter, die vor einer Woche aufgehört hat, ein schlechtes Gewissen zu haben und dank de
Und so sitzen sie am Tisch: eine Großmutter, die ganz sicher weiß „jetzt nachgeben bedeutet Anarchie und damit Minis, die auf Nasen rumtanzen“, ein Großvater, der aus lauter Mitleid beinahe die Mission gefährdet, ein Exempel zu statuieren („Kommt, gebt ihr doch wat, et hat doch gleich sonst Hunger“) und eine Mutter, die vor einer Woche aufgehört hat, ein schlechtes Gewissen zu haben und dank derartiger Entschlusskraft ihr flatterhaftes Nervenkostüm gegen eines aus Drahtseilen eingetauscht hat („Nein, Du bekommst erst noch was, wenn Du aufgegessen hast“). Ja, und nicht zuletzt „et“, dieses kleine Wesen, das unter dem mitleidigen Blick ihres Opas und den unbeirrbaren Augen von Mutter und Großmutter so sehr mit sich zu kämpfen hat („Ich ess das nicht, obwohl ich essen möchte!“).
Dabei hatte alles so harmonisch angefangen: Oma Rita kocht und Smilla weiß schon im Vorfeld, was sie alles mag und was überhaupt nicht. Doch zur Überraschung der Mutter und zum Wohl des Kindes (würde ich zumindest als Hobby-Ökotrophologin sagen), läuft das abendliche Mahl diesmal nicht auf trockene Nudeln mit Käse hinaus. Nein, Smilla probiert trotz anfänglicher Abneigung den Kohlrabi, um zu bestimmen, dass er gut schmeckt, und packt sich gleich zwei Spinat-Feta-Blätterteigtaschen auf den Teller. Fleisch mag sie „sowieso am liebsten“ und ein Löffel Reis geht ja wohl immer.
Und an dieser Stelle –nachher ist man ja immer schlauer – hätten wir`s einfach gut sein lassen sollen. Wir hätten das Glück (und so möchte ich diese Laune nennen, die Smilla einen gut gefüllten Teller mit ganzen vier verschiedenen Komponenten in freudiger Erwartung vor sich stehen lässt) nicht herausfordern sollen. Wir hätten auf einem Teller, der ohnehin schon zum Bersten gefüllt war mit den herrlichsten Speisen, nicht noch den Löffel Bratkartoffeln packen sollen.
Zu meiner Verteidigung sei gesagt: Dass ich mir mit dem äußerst harmlosen Satz „Erst mal nur ein paar Bratkartoffeln, Du kannst ja später mehr haben“ den Zorn der Götter einhandeln würde, also das war mir nicht klar. Kaum aber hatte ich die Bratkartoffeln mit „nur“ und „ein paar“ rar gemacht, wurden sie von meiner Tochter zum Objekt ihrer Begierde und damit gleichzeitig vom Erd- zum Zankapfel.
Was daraus folgte, war eine zwanzigminütige Szene aus der Reihe „Mama ist doof oder Wie bekomme ich meinen Willen?“, in deren Höhepunkt wir wieder zum Beginn dieser Geschichte kommen. Tränen der Wut, Sturheit und Verzweiflung laufen Smilla heiß die Wangen runter, als sie immer wieder monoton nach mehr Kartoffeln verlangt und auf den durchaus plausiblen Einwand meinerseits, dass sie erst mal das essen solle, was sie auf dem Teller hat, auf den ohnehin nichts mehr passt, steigt sie ein in die zweite Phase, die Drohphase mit dem Versuch der Kontrollrückgewinnung. „Wenn Du die Kartoffeln nicht drauf machst, dann esse ich gar nichts mehr“. Mein zugegebener Weise äußerst reibungsarme Antwort, nämlich dann eben nichts zu essen, nimmt dem Essen mit einem Schlag jegliche Bedeutung und entzieht ihm so jeder Machtkompetenz.
Wie befreiend, als das endlich ankommt, dreißig „Mach mir mehr Kartoffeln drauf!“ später. Weil es dann einfach nur noch ums Essen geht, und das macht sie dann auch in Ruhe, essen was auf dem Teller ist, schließlich hat sie ja Hunger. Und was mich angeht, ich lass mich nicht von Bratkartoffeln erpressen – die will ich lieber essen!
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