Friedenspreis für einen Verbrecher?
Freitag, 16. Mai 2014 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: RM Photographer
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
In diesem Jahr findet der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan statt. Wie hat dieser Einsatz Deutschland verändert? Was hat der Einsatz gebracht? Und im September wird der irakisch-stämmige deutsche Dichter Ahmed al Jabouri den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für sein Gedicht Der Brunnen erhalten. Doch vielleicht ist er gar nicht so edelmütig, wie es scheint. Hat er Dreck am Stecken?
Cut. Das ist der Beginn der Geschichte um den fiktiven Dichter Ahmed al Jabouri. Die in Köln neu formierte Gruppe Musikdebatte Köln bringt ihre erste Premiere auf die Bühne. Djaizat al Salam Friedenspreis. Politischer Zunder als Oper? Genau das haben sich die ehrenamtlichen, in der Musikdebatte Köln aktiven Künstler vorgenommen. Ein Crash von Politik und Musik, von Politik und Oper.
2010 begann der Opernregisseur Christian von Götz am Libretto für Djaizat al Salam Friedenspreis zu schreiben. Zuvor hatte er Gespräche mit der ukrainischen Übersetzerin Xsenja Melnitschuk geführt. Sie sprachen über den Afghanistan-Krieg der UdSSR gegen die Mudschaheddin, die mehr oder weniger offen von NATO-Staaten unterstützt wurden. Der Krieg dauerte zehn Jahre, von 1979 bis 1989.
Zehntausende sowjetische Soldaten wurden verwundet, körperlich und psychisch fürs Leben gezeichnet. Etwa 15.000 sowjetische Soldaten verloren ihr Leben in Afghanistan. Viele ukrainische Väter kamen nicht aus dem Krieg zurück. Wie sieht es heute mit den Wunden des Afghanistan-Krieges in den Familien der verstorbenen Soldaten aus? Wie sehen sie den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan heute? Was für Folgen wird er für deutsche Familien haben?
Christian von Götz beschäftigte dieses politische Thema sehr, und gleichzeitig beschäftigt ihn die Abwesenheit von politischen Themen in Opern. Schaut man sich die Spielpläne der großen Opernhäuser an, findet man dort kaum politische Opern. Da musste er selbst ran und die Idee verwirklichen. Von Götz führte also weitere Gespräche mit Betroffenen; er sammelte Biografien, wahre Begebenheiten und verflechtete sie zur Handlung von Djaizat al Salam:
Die Protagonistin Xsuscha Melnitschuk (Csilla Csövari Sporan) ist ukrainisch-stämmige Deutsche, die ihren Vater in Afghanistan verloren hat. Nach dem Tod ihres Vaters war ihre Mutter mit ihr und ihrem Bruder nach Deutschland ausgewandert. Xsuscha wird Opernsängern, verliert jedoch ihre Stimme an dem Tag, als auch mein Bruder in Afghanistan starb.
Durch ihren Geliebten, den irakisch-stämmigen Dichter Ahmed al Jabouri, erhält sie eine Stelle in einer Redaktion und wird Journalistin & Dolmetscherin. Für das Gedicht Der Brunnen soll der Dichter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Xuscha will ihn vor Erhalt des Preises interviewen und entlockt ihm ein Geheimnis, das ihn zu einem Verbrecher macht. Sie möchte seine Scheinheiligkeit und die Scheinheiligkeit des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan entlarven.
Seit 2012 arbeiten wir an der Musik, erklärt Christian von Götz bei der Pressekonferenz. Wir das sind Künstler, die sich zu der offenen Gruppe Musikdebatte Köln gefunden haben. Wir haben zusammen gekocht, gegessen, uns Nächte um die Ohren geschlagen, diskutiert und debattiert. Alle bringen ihre Arbeit ehrenamtlich ein. Das ist faszinierend.
Rund 20 Menschen haben 2013 ofiziell die Musikdebatte Köln gegründet. Ihr Anliegen ist es, konkret aktuelle politische Themen in der Oper darzustellen. Ein verrückter Zufall, dass es jetzt auch politische Unruhen in der Ukraine gibt, die dem Stück eine weitere Nuance zukommen lassen. Wie in jeder Debatte, prallen hier auf der Bühne stark gegensätzliche Meinungen aufeinander. Beide haben irgendwie ihre Berechtigung.
Die Musik wurde im Kollektiv komponiert und entsteht mit arabischen Instrumenten. Die Musik wurde arabischen Klängen angepasst, ist aber weit entfernt von traditioneller arabischer Musik. Es gibt Einflüsse der arabischen Musik, aber es entsteht Neue Musik. Es ist freitonale Musik mit vielen Jazz-Einflüssen, beschreibt von Götz. Es gibt komponierte und sehr festgelegte Stellen, aber es findet auch viel Improvisation statt.
Selbst der Sopran improvisiert, erfindet Passagen immer wieder neu. Das kann nicht jede Sopranistin. Csilla Csövari ist eine sehr virtuose Sopranistin. Hier kann sie auspacken, was sie kann. Sie hat auch Texte frei rezitativ erfunden. Und an einigen Stellen kommt dann ein Kommentar aus der Musik. Und das ist immer wieder anders, jedoch immer ähnlich. Die Struktur ist ähnlich. Wir wollten politische Themen musikalisieren, versinnlichen und emotionalisieren. Das Experiment ist geglückt.
Die Premiere von Djaizat al Salam findet am Freitag in der Trinitatiskirche statt. Mit von der Partie ist Südstadt-Künstler Alessandro Palmitessa am Saxophon. Von Götz: Die Trinitatiskirche hat sich als freier Opernort etabliert. Wir wollten keine konventionelle Bühne. Das Publikum betrachtet das Geschehen auch aus verschiedenen Positionen. Das Publikum geht mit zu drei verschiedenen Positionen in der Kirche. Diese Vorgehensweise brachte natürlich ein paar Probleme mit der Akustik mit sich.
Wer zu den Vorstellungen von Djaizat al Salam geht, sollte nicht auf das Programmheft verzichten. Hier ist der komplette Text zum Nachlesen abgedruckt, und im Glossar zum Text werden viele Begriffe, geschichtliche und politische Begebenheiten erklärt.
Entstanden ist eine eigenwillige Opernform mit politischem Inhalt weg von Boy meets Girl. In diesem Stil möchte die Musikdebatte Köln weitermachen. Geplant sind ein großes und ein kleines Projekt pro Jahr. Mehr dazu findet ihr hier.
Djaizat al Salam Friedenspreis
Uraufführung und Premiere 16. Mai 2014, 20 Uhr
2. Vorstellung 17. Mai 2014, 20 Uhr
Trinitatiskirche
Filzgraben 6
Eintritt 12, ermäßigt 8 Euro
Karten gibt es ausschließlich an der Abendkasse. Vorreservierungen möglich per Mail an karten@musikdebatte.com
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