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Südstadt

Gedanken zur Zukunft des Waidmarktes – ein Gastbeitrag

Montag, 2. September 2024 | Text: Gastbeitrag | Bild: Kamil Rachwal

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Eusebius Wirdeier, Fotograf, Bildhauer, Herausgeber, vor allem aber Chronist vieler Ereignisse und Prozesse in Köln und dem Rheinland, hat auch den Einsturz des Stadtarchivs vor 15 Jahren und die Entwicklung rund um das Unglück und die Einsturzstelle fotografisch, in Büchern dokumentiert. Auch er war, wie Autor Markus Küll, auf der Bürger-Info-Veranstaltung der städtischen Projektwerkstatt „Perspektive Waidmarkt“ – in seinem Gastbeitrag beantwortet er Fragen rund um die Entwicklung seit dem Archiveinsturz vor gut fünfzehn Jahren (Anm. der Redaktion)

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Wie haben Sie den Diskurs um den Gedenkort in den letzten Jahren erlebt?
Nach der Vergleichsvereinbarung zwischen der Stadt Köln und der ARGE sah es eine Zeit lang so aus, als wollte die Stadt Köln in dem Zwischengeschoss des Gleiswechselbauwerks einen Kulturraum entstehen lassen, wie ich ihn – einer Anregung von Peter Busmann folgend – skizziert hatte. Diese Anregung hatte die Initiative ArchivKomplex unter dem Titel „K3 – Die Halle mit dem Knick“ aufgenommen und bei mehreren Gedenktagen propagiert. So war die Halle mit dem Knick in das Vergleichspaket übernommen und durch einen Ratsbeschluss abgesichert worden – soweit ich mich erinnere. Es ging dabei um eine kulturelle Nutzung im nördlichen Teil der Südstadt, also direkt am Einsturzort – denn dort war nach dem Wegfall des Historischen Archivs im Jahr 2009 eine Art kulturelles Vakuum entstanden – das temporär und bis heute – 2024 – durch eine unzugängliche, abweisende Untersuchungsfläche („Tatort“) und stillliegende Baustelle zu einer fast unerträglichen Dauerbelastung für die in der Nachbarschaft lebenden, arbeitenden, lernenden Menschen geworden war.
Dies war wohlgemerkt eine Vision für eine unterirdische Halle mit kultureller Nutzung NEBEN dem Einsturzort. Diese sollte mit einem Gedenkort auf dem Einsturzort korrespondieren, indem zum Beispiel der räumliche Zugang zur unterirdischen Kulturhalle über den Gedenkort erfolgen sollte. Dazu gab es verschiedene Vorschläge, die im Lauf der Jahre von Peter Busmann, Wolfgang Meisenheimer und Georg Krautkrämer entwickelt worden waren.

Plakat von ArchivKomplex für „Die Halle mit dem Knick“ (Bild: Markus Küll)

Der Kölner Kulturdezernent Stefan Charles war und ist kein Freund dieser unterirdischen Halle, also trat er aktiv dagegen ein und auch der technische Vorstand der Kölner Verkehrsbetriebe AG sprach sich gegen die Halle mit dem Knick aus. Sachargumente wie eine zeitliche Verzögerung durch die Realisierung der unterirdischen Halle fanden auch bei der Oberbürgermeisterin Reker Gehör und so wurde der Ratsbeschluss für die Einrichtung der unterirdischen Kulturhalle zurückgenommen. Inzwischen ist die unterirdische Halle mit Beton zugeschüttet worden – soweit ich informiert bin.
Und die Oberbürgermeisterin hat zusammen mit dem Kulturdezernenten eine Arbeitsgruppe „Ideenwerkstatt“ ins Leben gerufen, zu der einige der am Thema Interessierten eingeladen wurden, einige Leute von ArchivKomplex, eine Architektin und Leute aus der Kultur- und Stadtverwaltung, die in den vergangenen Monaten am Thema „Gedenkort und Zukunft des Waidmarktes“ gearbeitet haben.
Die Ergebnisse wurden der Oberbürgermeisterin übergeben, blieben aber bis jetzt unveröffentlicht. Beim 15. Gedenktag am 3. März 2024 sprach Frau Reker sinngemäß davon, dass daran noch gefeilt würde.
Dadurch, dass diese Ideenwerkstatt von der Stadt beauftragt und auch bezahlt wird, unterliegt diese auch den Regeln der Stadt – und so herrscht Schweigepflicht bei den Teilnehmer*innen der Ideenwerkstatt – was der Sache nicht wirklich gut tut, besonders wenn diese Schweigezone zeitlich noch weiter ausgedehnt wird.

Es gab auch noch eine Initiative von Architekt*innen und Städteplaner*innen – um Barbara Theiss – die sich für eine Begrünung des Einsturzortes mit Bäumen als Hauptmaßnahme eingesetzt haben – ohne eine kulturelle Nutzungsmöglichkeit am Waidmarkt.
Und fast ganz in Vergessenheit geraten ist der preußische Portikus, die Eingangshalle zur preußischen Wache am Waidmarkt, die bis zum Einsturz des Stadtarchivs nördlich vom Haupteingang des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums stand. Die beim notgedrungen durchgeführten Abbruch geborgenen Teile dieses Baudenkmals werden in einem Depot des Stadtkonservators aufbewahrt und daraus kann und soll das Bauwerk wieder an dieser Stelle rekonstruiert werden. Es trug dort zur Sichtbarkeit und Verständlichkeit der Stadtgeschichte bei und hatte einen Anteil an der „Aufladung“ des alten Bauensembles am Waidmarkt, zu dem die romanische Basilika St. Georg, die Bauten des Polizeipräsidiums und der Portikus der Alten Wache und das Magazingebäude des Historischen Archivs gehörten.
Soweit meine Wahrnehmung um den Diskurs zum gesamten Waidmarkt, also nicht nur zum Gedenkort.

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Sind Sie aktuell noch aktiv beteiligt?
Ich bin nur noch – und eigentlich wie von Anfang an, also seit Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2002 – durch meine eigenen Aufträge aktiv beteiligt. Ich habe schon kurz nach dem Einsturz des Archivs bei meiner Ausstellung „Köln wie es ist“ im Kölnischen Stadtmuseum – das war Ende 2009/Anfang 2010 – für eine neue kulturelle Nutzung am Einsturzort plädiert und dafür schien mir die Kunsthalle, die am Neumarkt ersatzlos abgebrochen worden war, eine passende Institution zu sein, die auf dem ehemaligen Archivgrundstück am Waidmarkt hätte errichtet werden können. Diese Idee wollte damals niemand haben. Vielleicht war das ganze Thema und das Gelände noch zu negativ besetzt. Und es war damals und für lange Jahre ja auch tatsächlich von Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei, Feuerwehr und Gutachtern, Tauchern beansprucht.
Mich interessiert die Einsturz- und Baustelle immer noch, ich versuche Einblick zu nehmen, mir ein Bild zu machen, habe viele Leute an die Unglücksstelle geführt und ihnen die Problematiken nahezubringen versucht. In meinem Buch „Zeitraffer Waidmarkt – Bildarchiv 2004–2011“ und einem Ausstellungsbeitrag zu „Der Waidmarkt drunter und drüber“ habe ich meine künstlerischen Statements abgeliefert. Auch in Veranstaltungen im HDAK-Kubus und im Odeon-Kino habe ich Stellung zum Thema Kultur- und Gedenkort genommen.

Dokumentieren Sie das Thema weiter?
Ja, ich dokumentiere das Thema weiter und habe in meinem jüngst erschienenen Buch „Fotogeschichten Kölner Südstadt“ (Emons Verlag, 2024) in meiner Bildstrecke drei, vier relativ neue Aufnahmen vom Waidmarkt und vom abgesperrten Einsturzort gezeigt. Wenn ich einmal an so einem Thema arbeite, verfolge ich es über Jahre und wenn es sein muss auch über Jahrzehnte weiter. Das war und ist so bei meinen Beobachtungen im Rheinischen Braunkohlenrevier (seit 1979), beim „Kölner Loch“ (2002 bis 2012), das beim Abbruch der Josef-Haubrich-Kunsthalle entstanden war und erst Jahre später mit einem neuen Museumsbau – ohne Kunsthalle – gefüllt wurde.

Was wäre Ihre aktuelle Einschätzung, was am Waidmarkt entstehen sollte?
Ich bin nach wie vor dafür, am Waidmarkt immer auch eine kulturelle Nutzung vorzusehen, denn das Historische Archiv der Stadt Köln war am Standort Severinstraße 222–228 eine wichtige kulturelle Institution, nicht nur für die Südstadt, nicht nur für Köln, sondern für Deutschland und Europa. Es soll am Waidmarkt also wieder – ca. 30 Jahre nach Baubeginn –eine kulturelle Institution mit Strahlkraft entstehen.
Die Leute dort vor Ort, egal, ob als Anwohner, als Schüler*innen oder als beruflich Tätige, werden nach Fertigstellung des Gleiswechselbauwerks und nach Abschluss der Nord-Süd-Stadtbahn-Bautätigkeit 30 Jahre lang Einschränkungen erlebt haben, die einfach hingenommen werden mussten, aber nicht leicht hinzunehmen waren. Mehr als eine Generation lang dauert dieses „Intermezzo der Stadtgeschichte“ und mehr als drei Jahrzehnte wird die Rekonstruktion des Stadtgedächtnisses dauern, dessen Teile am 3. März 2009 in den Einsturzkrater fielen.

Inzwischen neige ich einer sehr vitalen Lösung für den Waidmarkt zu: Es soll nicht nur ein Gedenkort sein, der dort unübersehbar an diese schreckliche Sache erinnert, sondern es soll eine Lebensfreude und eine positive Kraft von diesem vormaligen Einsturzort ausgehen. Das kann eine Kombination von Wohnen und Arbeiten AUF dem ehemaligen Archivgrundstück sein, vielleicht in genossenschaftlicher Konstruktion, mit gemeinsamen Werkstätten und Grünbereichen im Innenhof, von außen deutlich sichtbar, als Ort zum Nachdenken kenntlich und von jeder „Normalität“ einer bemäntelnden, verdeckenden, geschlossenen Blockrandbebauung befreit.

Eusebius Wirdeier, DGPh (Stand: 19. Mai 2024)

Info-Abend in der Aula der Kaiserin Augusta Schule am Waidmarkt (Bild: Judith Levold)

Nachbemerkung am 30. August 2024

Gestern Abend habe ich als Zuhörer und Zuschauer an der Informationsveranstaltung „Auf dem Weg zu einem neuen Waidmarkt“ in der Aula der Kaiserin-Augusta-Schule (KAS) teilgenommen.
Die Kölner Verkehrs-Betriebe haben zusammen mit dem Leiter der ARGE Süd als Auftakt die weiteren Baumaßnahmen auf dem Einsturzort und im Gleiswechselbauwerk vorgestellt. Der vom Publikum erfragte voraussichtliche Fertigstellungstermin wurde mit plus mindestens sieben Jahre = 2031 angegeben.
Die Veranstaltung, an der auch die Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Dezernenten für Verkehr und Kultur mitwirkten, hat mich angenehm überrascht, weil es keine Ausklammerungen von Reizthemen gab. Die Teilnehmer*innen der Projektwerkstatt erläuterten ihre Arbeitsergebnisse ausführlich und ein Vertreter der Künstlergruppe Observatorium aus Rotterdam entwarf die Vorstellungen für eine einjährige Intervention am Waidmarkt.
Die nach Abstimmung im Publikum vorgezogene Präsentation der Schüler*innen der KAS war erfrischend offen und geistvoll und ergänzte die Ausführungen der Projektwerkstatt sehr gut. Auch die Initiative, die für eine massive Begrünung nicht nur des Einsturzortes, sondern des gesamten Waidmarktes eintritt, konnte ihre Ideen zeigen und erläutern. Jetzt gilt es nur noch, die Sache auch wirklich weiterzutreiben und die Stadtgesellschaft und die Stadtverwaltung zur Umsetzung zu bewegen. Ein neuer Gesprächstermin im nächsten Jahr soll genutzt werden, um die bis dahin erreichten Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen.

Eusebius Wirdeier (30. August 2024)

Text: Gastbeitrag

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