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Kultur

„Wer singt, braucht keinen Therapeuten.“

Freitag, 18. Mai 2018 | Text: Alida Pisu | Bild: Oliver Köhler

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Freud&Leid äußern sich für die Kölner Mezzosopranistin Agnes Erkens im Gesang und waren für immer Triebfedern, sich der Musik zu widmen. Die Kraft der Natur habe sie sehr geprägt, die Musik ermögliche ihr, Gottes Schöpfung gesanglich auszudrücken. Das Singen habe ihr aber auch geholfen, Verlusterfahrungen wie den Tod ihrer Geschwister zu verarbeiten. Meine Südstadt sprach mit ihr über die heilende Kraft des Singens und was das Besondere an Konzerten für Babys ist.

Wie kamen Sie zur Musik?

Ich bin mit Musik groß geworden. Vor allem mütterlicherseits. Das war eine Großfamilie mit acht Kindern, die in der Landwirtschaft aufgewachsen sind. Die ganze Landarbeit wurde immer mit Gesang gemacht, auf dem Feld wurde gesungen, selbst unter den Kühen wurde gesungen. Auch auf allen Familienfesten, es ist mir quasi in die Wiege gelegt worden. Als kleines Kind habe ich schon viel gesungen und die Großmutter hat immer gesagt: „Hört mal das Stimmchen von dem Kind. Das ist was ganz Besonderes, damit muss was passieren.“

Und was ist dann damit passiert?

Das künstlerische Potential habe ich geerbt. Auch vom Vater, der Theater gespielt und Bühnenbilder gemacht hat. Schon sehr früh habe ich mich mit der Schöpfung beschäftigt, mit dem Gedanken: „Wozu bin ich auf der Welt? Worum geht es im Leben und wer bestimmt, was mit mir passiert? Wer hat die Fäden in der Hand?“ Sicherlich auch aus dem Grund, dass ich schon sehr früh mit dem Tod konfrontiert wurde. Die Kriegsgeneration mit den gefallenen Geschwistern meines Vaters wie meiner Mutter und dann meine früh verstorbenen Geschwister, das war für mich ein höherer Einfluss, denn das wünscht man sich ja nicht. So etwas passiert. Also wusste ich: es gibt eine höhere Instanz. Das als Vorgeschichte. Der Ruf in mir, mich mit künstlerischen Dingen zu beschäftigen, war unglaublich laut. Aber meine Eltern wollten natürlich Sicherheit, das war damals weit verbreitet.

Trotzdem sind Sie diesem Ruf gefolgt.

Ich habe mir eine Gesangslehrerin gesucht, erst mal nicht mit dem Ziel, Sängerin zu werden, ich wollte es für mich machen. Was daraus geworden ist, habe ich nicht erwartet. Es war eine Entwicklung und Führung.

Damit hat sich die Frage, wer die Fäden zieht, beantwortet?

Ja. Dazu kam: Ich habe mit 28 Jahren meinen ältesten Bruder verloren, ich bin die einzige Überlebende von fünf Geschwistern. Das Thema Überleben hat mich dann auch in der Musik bewegt. Im Rahmen meiner Gesangsausbildung habe ich mich mit der jüdischen Literatur und dem hebräischen Gesang auseinandergesetzt. Mit Klagegesängen, ich habe mich auch sehr beschäftigt mit Liedern aus den Konzentrationslagern und Klageliedern in der geistlichen Musik. Diese Musik hat mir geholfen, meinen eigenen Schmerz über die vielen Verluste zu verarbeiten. Nach vier Jahren Gesangsausbildung hatte ich dann meinen ersten Auftritt bei einer großen Hochzeit in Porz, mit einem „Ave Maria“. Die Reaktionen waren überwältigend. So viele weinende Menschen, die sagten: „Was haben Sie denn für eine Stimme?“ Die Frage ist ja immer: fühle und fülle ich das, was ich singe? Und ist es beseelt? Wenn ich singe, bin ich in Verbindung mit dem „Spirit“. Dann singt es sowieso in mir. Das ist so groß, es ist mit Worten schwer zu fassen. Aber wenn ein künstlerisches Medium überhaupt etwas Göttliches erfassen kann, dann ist es in der Regel die Musik. Musik kommt von Gott und Singen heißt Preisen. Das, was Gottes Schöpfung ist.

Spürt das Publikum das?

Natürlich. Wenn ich in Resonanz zum Göttlichen gehe, wird das auch bei den Zuschauern berührt. Nach Konzerten, vor allem mit der alt-jüdischen Musik, kommen Menschen zu mir und sagen: „Ich bin da berührt worden, wo meine Heimat ist.“ Und unsere spirituelle Heimat ist bei Gott.

Kann man sagen, dass Singen eine „heilende“ Kraft hat?

Ja, ich habe es selbst erlebt. Und ich gebe auch Workshops, in denen ich das vermittele. Was ist das Heilsame am Singen, was bewegt es in unserem Körper? Ich biete den Menschen an, die heilende Kraft in sich selbst zu erleben. Mit Anregungen und Übungen wird das fühlbar gemacht. Auch in Einzelarbeit, in meinem Raum in der Mainzer Straße. Wir machen Körperarbeit mit Atmen, Weiten, Loslassen. Singen ist ja im Prinzip eine Form von Loslassen. Neulich hat mir jemand auf Facebook geschrieben: „Wer singt, braucht keinen Therapeuten.“ (lacht)

Sie geben im Rautenstrauch-Joest-Museum Konzerte für Babys. Wer hatte die Idee dazu?

Wiegenlieder aus aller Welt hatte ich schon immer als Projekt. Ich bewege mich ja in einer Kombination zwischen Klassik und Weltmusik. In der Musik ist der völkerverbindende Teil ganz wichtig. Weil Musik Nationen miteinander verbindet. Da löst sich unser Ego auf. Wenn wir zusammen Musik machen, sind wir nicht der aus dem Land und die mit der Religion. Sondern da verschmelzen wir auf einer bestimmten Ebene alle miteinander. Musik als universelle Sprache.

Die auch Babys schon verstehen.

Und vorbehaltlos reagieren. Da kommt eine Trommel und plötzlich ein ganz anderes Instrument, es ist immer ein tolles Erlebnis. Wir haben Instrumente wie Flöten oder Rasseln, mit denen wir Klänge machen, die die Babys miterleben. Es ist immer erstaunlich, dass dann ganz viel Ruhe einkehrt. Da kommen Kleinkinder bis 2 Jahren und die hören wirklich zu. Mit der Zeit krabbeln manche auch nach vorne, fangen an zu tanzen, ich tanze dann mit. Andere wollen auf den Arm, dann habe ich sie im Arm und singe einfach weiter.
Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr über Agnes Erkens hier.
Die nächsten Konzert-Termine:
19. Mai 2018, 10:30h: Weltmusik für Babys, Konzert im Rautenstrauch-Joest-Museum, 50667 Köln, ANMELDUNG dringend erforderlich, unter rjm-veranstaltungen@stadt-koeln.de
20. Mai 2018: Agnes Erkens singt geistliche Lieder im Pfingstgottesdienst in der Lutherkirche, 50677 Köln

Text: Alida Pisu

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